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DDR-KONTAKTE Schwund einkalkuliert

aus DER SPIEGEL 40/1962

Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, des ersten Arbeiter- und Mauernstaates der deutschen Geschichte, hat dem Bonner Klassenfeind mit aller Diskretion ein überraschendes Angebot gemacht:

Die DDR-Regierung ist bereit, auf der Ebene von Staatssekretären, oder, wenn Bonn es wünscht, auch auf einer tieferen Etage, Kontakte mit der Bundesrepublik aufzunehmen und Probleme zu besprechen, die über Interzonenhandelsfragen bei weitem hinausgehen. Thema: Ursachen der Spannung an Zonengrenze und Mauer und die Suche nach Möglichkeiten zur Entspannung.

Bonns Berlin-Beauftragter, Staatssekretär Felix von Eckardt, ist bemüht herauszufinden, ob es sich bei diesen Fühlern wieder lediglich um den alten Versuch handelt, auf Umwegen die offizielle Anerkennung der DDR durch Bonn zu erreichen, oder ob die Pankower wirklich bereit sind, über Erleichterungen in Berlin zu sprechen, ohne vorher von der Bundesrepublik als zweiter deutscher Staat anerkannt worden zu sein.

Sowjetische Diplomaten in Bonn haben während der letzten Wochen Andeutungen gemacht, die eher für die zweite Möglichkeit sprechen: Es sei an der Zeit, daß nicht nur Bonn seine Propaganda gegen Pankow, sondern auch umgekehrt die DDR ihre feindselige Haltung gegenüber der Bundesregierung ändere.

Wenn, so sagten diese Sowjetmenschen, DDR-Bürger, die zu Besuch nach Westberlin oder in die Bundesrepublik kommen, nicht mehr durch Gesetz einen Rechtsanspruch auf staatliche Hilfe zur Gründung einer neuen Existenz in Westdeutschland hätten, würden die meisten wieder zurückkehren. In solchem Falle wäre die DDR vermutlich bereit, private Besuchsreisen in größerem Umfang zuzulassen. Ein gewisser Schwund, der sich dann automatisch in Grenzen halte, werde dabei von vornherein einkalkuliert.

Bis vor kurzem noch hatten die DDR -Kontrahenten der Westberliner Treuhandstelle für den Interzonenhandel alle Bonner Vorschläge zurückgewiesen, eventuelle West-Kredite für die DDR mit politischen Erleichterungen für die Zonenbevölkerung zu honorieren.

Aber das weltweite Echo der Schießereien an der Berliner Mauer ging den Kommunisten schließlich doch an die Nerven. »Wir sind in die Mauer nicht verliebt«, beteuerte DDR-Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht, und Nikita Chruschtschow vertraute dem scheidenden Botschafter Kroll an, wie wenig ihm das Mauer-Werk in die politische Landschaft passe.

Die Bundesregierung hat jetzt abzuwägen,

ob sie den roten Ball aus Pankow auffangen soll.

Staatssekretär von Eckardt hat über die Pankower Offerte bisher allerdings nur mit Kanzler und Kanzleramt verhandelt, das Auswärtige Amt hat sich offiziell noch nicht damit befaßt.

Bonner Berlin-Beauftragter von Eckardt: Angebot vom Mauerstaat

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