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SPD Schwung dahin

Ministerpräsident Holger Börner hat die aufsässigen Hessen-Genossen auf Regierungskurs gezwungen. Jetzt droht der Partei eine Abwanderungswelle zu den Grünen.
aus DER SPIEGEL 27/1981

Gernot Grumbach, 28, Vorsitzender der südhessischen Jungsozialisten, bezog eine neue Position. Die »Umorientierung der Politik«, verkündete der Juso-Chef, werde jetzt auch »unabhängig von der SPD in außerparlamentarischen Aktionen« betrieben.

In dem von grünen Protestlern gebauten Hüttendorf auf dem Gelände der umstrittenen Startbahn West bei Frankfurt wollen sich Grumbach und seine Juso-Schar, wenn geräumt wird, »um das selbstgezimmerte Baumhaus versammeln« und verhindern, »daß es einfach von oben runtergeholt wird«.

Auch Manfred Coppik, 37, der als Linksabweichler im Bonner Bundestag gegen Aufrüstung und Atomkraftwerke wettert, hat sich vom SPD-Kurs abgesetzt. Er kündigte seine Mitarbeit im Vorstand des südhessischen Parteibezirks auf, weil ihm dort die »Effektivität der Umsetzung politischer Inhalte zu gering war«. Coppik versteht sich nicht mehr »mit den sogenannten Linken, die den Marsch von links unten nach rechts oben gehen« und »nur dafür Sorge tragen, daß der Aufruhr nicht zu groß wird«.

Streitbaren Sozialdemokraten vom Schlage des Startbahngegners Grumbach und des Abrüstungskämpfers Coppik ist die südhessische SPD allzu zahm geworden. Denn der »Rebellenbezirk«, wie ihn der CDU-Landesvorsitzende Alfred Dregger gern brandmarkt, hat seinen Ruf, Vorhut der Partei zu sein, unter dem Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Holger Börner eingebüßt. Linke Thesen zu Reizthemen wie Investitionslenkung oder Radikalenerlaß, mit denen die Hessen ihre Bundes-Genossen jahrelang immer wieder aufzurütteln versuchten, werden seit einiger Zeit eher von Genossen aus Hamburg oder Baden-Württemberg vertreten.

Beim Streit um Kernkraft und Abrüstung rutscht dem zweitgrößten SPD-Bezirk der Bundesrepublik (nach Westliches Westfalen) neuerdings die linke Basis weg. Während viele Genossen, die bisher wacker gegen Startbahn, Atommeiler und Nato-Rüstung zu Felde zogen, auf den Wiesbadener Regierungskurs einschwenken, wandern vor allem junge Leute, die sich mehr um die Umwelt als um das Wachstum sorgen, zu den Grünen ab.

Begonnen hatte der »unheimlich starke Abgang« (ein Frankfurter Genosse) in den Anrainergemeinden des Flughafens. Der Ortsverein Rüsselsheim beklagte schon 1979 den Austritt von 29 Mitgliedern, denen die SPD »zu einem Kanzlerwahlverein verkümmert« schien. Darunter waren vor allem sozialdemokratische Umweltaktivisten, die sich schnell zu den Grünen schlugen.

Beschleunigt wird diese Entwicklung, so scheint es, durch politische Kraftakte Börners, der -- wegen der Frankfurter Startbahn, eines dritten Reaktorblocks in Biblis und einer Wiederaufarbeitungsanlage von vielen Parteifreunden scharf gerügt -- auf einem Sonderparteitag der hessischen SPD am vorletzten Sonntag die Vertrauensfrage stellte.

Zwar brachte Börner mit diesem Druckmittel mehr als zwei Drittel der Delegierten hinter sich. Doch bei den Unterlegenen, vor allem aus Hessens Süden, ist der Verdruß über die Politik des sozialliberalen Kabinetts in Wiesbaden weiter gewachsen.

Noch bei ihrem Bezirksparteitag eine Woche zuvor hatten die Südhessen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, wenn auch nicht so deutlich wie im Vorjahr, abgelehnt. Auf dem Landesparteitag in Wiesbaden jedoch zeigte sich die Mehrheit der Delegierten aus Südhessen beeindruckt von der S.45 Schwarzmalerei des angeschlagenen Regierungschefs.

Börners Mahnungen ("Wenn wir den Konservativen die Macht in die Hände geben, werden sie sie zu behaupten wissen") verfingen ebenso wie die düsteren Prognosen um Ausgleich bemühter Genossen: »Wir haben«, prophezeite einer, »bald nur noch die Geschlossenheit eines Sargdeckels.«

Mit breiter Mehrheit votierten die Delegierten für die Flughafen- und Kernkraftpläne des Ministerpräsidenten. Hans Krollmann, Chef der eher ländlich-konservativen Nordhessen, freute sich über die nachgiebigen Süd-Genossen: »Noch nie waren die beiden Bezirke so dicht zusammen.«

Börners Parteitagstaktik, die nach Ansicht der früheren Juso-Bundesvorsitzenden Heidemarie Wieczorek-Zeul »ein autoritäres Verständnis von Demokratie« verrät und die für den hessischen Juso-Chef Norbert Schüren gar einen glatten »Erpressungsversuch« darstellt, war der bislang massivste Versuch des Regierungschefs, die aufsässigen Genossen aus dem Süden auf Vordermann zu bringen.

Schon bald nach seinem Amtsantritt 1976 hatte der Ministerpräsident durchgedrückt, daß der neu gestaltete Landesverband mehr Einfluß erhält -auf Kosten des südhessischen Bezirks. Jetzt kommt Börner zudem zugute, daß der Südhessen-Vorstand längst nicht mehr so links gewirkt ist wie einst. Fred Gebhardt etwa, Vorsitzender des Unterbezirks Frankfurt und ehemals Verfechter linker Positionen, fungiert mittlerweile »als Vollstrecker der Politik von Holger Börner« (Coppik).

Der Sinneswandel, der viele südhessische Genossen unter dem Druck aus Wiesbaden befallen hat, bleibt nach Ansicht unbeirrter Linker nicht ohne Wirkung: Der Mitgliederschwund nimmt rapide zu. Vor vier Jahren zählte der Bezirk noch knapp 100 000 Genossen, jetzt sind es rund 7000 weniger, und einst Aktive bleiben allerorten den Versammlungen fern.

In Frankfurt beispielsweise werden Hauptversammlungen der Jungsozialisten, in deren Anwesenheitslisten sich früher 700 Mitglieder eintrugen, nur noch von »maximal 80 bis 100 Leuten« besucht (Juso-Vorsitzender Jan von Trott). In einigen Frankfurter Ortsvereinen hat sich, wie in Sachsenhausen-Ost, die Zahl der SPD-Mitglieder nach Feststellungen des Vorstands »fast halbiert«.

»Früher hatten wir einen Genossen Trend«, erinnert sich der Parteilinke Martin Wentz, »die Jungen waren überrepräsentiert.« Nun aber ist einer wie Fred Gebhardt froh, daß in seinem Frankfurter Unterbezirk wenigstens die Alten bleiben: »Der Schwung von früher ist unwiderruflich dahin.«

Da helfen Gewaltakte wie Börners erzwungener Machtbeweis wenig. Heidemarie S.46 Wieczorek-Zeul ist sogar sicher, daß Warnungen des Ministerpräsidenten an die Mitglieder, sich ja nicht an einem Volksbegehren gegen die Startbahn zu beteiligen, endgültig »den Grünen die Infrastruktur schaffen«.

SPD-Linke fürchten überdies, daß sich demnächst auch die hessischen Wähler zuhauf den Grünen zuwenden könnten -- wie in Hamburg, wo nach dem Rücktritt des Kernkraft-Kritikers Klose vom Bürgermeisteramt Umfrageergebnisse publik wurden, nach denen unter den Jungwählern die Anhänger der Grünen (31 Prozent) die SPD-Sympathisanten (27 Prozent) bereits überflügelt haben.

In Frankfurt votierten bei der letzten Kommunalwahl im März bereits 25 Prozent der Jungwähler grün. Coppik über die hessischen Landtagswahlen im Herbst 1982: »Da wird die Partei eine Quittung bekommen, die sich gewaschen hat.«

S.43Auf dem SPD-Sonderparteitag am 20. Juni in Wiesbaden.*

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