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Briefe

SEELENVERKÄUFER
aus DER SPIEGEL 18/1967

SEELENVERKÄUFER

(Nr. 11/1967, Schiffahrt)

Das Unglück des (Seenot-Rettungskreuzers) »Adolph Bermpohl« bei einem Rettungseinsatz nördlich Helgolands während des Orkans am 23. Februar hat, »steilende See« hin oder her, eine ganz andere, grundsätzlichere Ursache: Die in der Konstruktion vorzüglichen Rettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger e. V. sind für jeden ernstgemeinten Rettungsdienst definitiv unterbemannt. Mit solchem Unglück war über kurz oder lang zu rechnen. Diese 23,2 Meter langen Kreuzer haben eine Stammbesatzung von einem Vormann (das ist der Schiffsführer) und drei Mann. Mindestens sechs Mann wären auf solcher Bootsgröße schon für ganz normalen Seedienst erforderlich. Da unsere Rettungskreuzer außerdem aber noch diese Huckepacktender an Bord fahren, die mit wenigstens zwei Mann besetzt werden müssen, wenn sie vom Kreuzer zur selbständigen Operation zu Wasser gefiert werden, müßte die Kreuzerbesatzung also noch um mindestens zwei Mann stärker sein. Hauptträger der ganzen Rettungsaktion bliebe auch in solchem Falle immer der Kreuzer, aber er ist nicht mehr aktionsfähig, wenn nur noch der Schiffsführer und eine Hand bei ihm an Bord sind, nachdem der Tender mit zwei Mann detachiert wor-

* Geschäftsführer der Jury des Preisausschreibens »Der Bauer in der Industriegesellschaft«

den ist, um eine schiffbrüchige Besatzung abzubergen, wie das bei fraglichem Einsatz vor Helgoland ganz offensichtlich der Fall war.

Als die »Bermpohl« am folgenden Tage bei Feuerschiff »Elbe I« treibend aufgefunden wurde, lief noch einer ihrer Fahrmotoren bei ausgekuppeltem Propeller. Dies ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß der Vormann, den ich persönlich kannte, seinen Fahrstand verließ, um seiner einen, an Bord verbliebenen Hand bei dem Versuch beizustehen, den Tender »Vegesack« wieder in seine Mulde auf dem Achterdeck des Kreuzers zu verholen oder, wahrscheinlicher, die Schiffbrüchigen und die Bemannung des kleinen Tenders an Deck des Kreuzers zu übernehmen, nachdem man erkennen mußte, daß sich das kleine Boot in der schweren See nicht halten konnte. Der Mut eines solchen Versuchs ist zu loben. aber die Voraussetzungen. dazu waren hoffnungslos.

Es bedurfte keiner »stellenden See mit Lufteinschluß und 50 Meter Höhe« (die in jener Gegend von Helgoland meiner Meinung nach überhaupt nicht möglich sind), sondern nur eines fünf bis sechs Meter hohen (und möglichen) Windbrechers, um die steuerlose »Bermpohl« breitseits zu fassen und einmal um 360 Grad durchzukentern, was gewöhnlich auch reicht, eine angeleinte Besatzung von Deck zu waschen, einen Mast und die Reling zu knicken. Eine Hand an Bord des Kreuzers aber konnte unmöglich in solchem Wetter den Tender wahrnehmen. Die Huckepacktender unserer Seenotrettungskreuzer gelten denn auch bei ausländischen Experten auf diesem Gebiet als »Kompromiß der Armut« das sind sie tatsächlich. Es kann einen nicht gerade mit Stolz erfüllen, daß eine so bedeutende Industrie- und Schiffahrt-Nation mit so kurzen Küsten wie unsere einen Seenotrettungsdienst auf Vereinsbasis -- zu vergleichen mit einer freiwilligen Dorffeuerwehr -- hat, der von Spenden und Mitgliedsbeiträgen darben muß.

Die US Coast Guard hätte zu jenem Rettungsunternehmen einen kleinen und schnellen Kreuzer, ähnlich den unseren, als eventuelles »Risikoboot« und einen großen Kutter mit 20 Mann Besatzung entsandt, und außerdem noch einen Rettungshubschrauber zur Beobachtung, ob auch alles glattgeht. Im Einsatzhafen der US Coast Guard wäre außerdem ein weiterer Kutter unter Dampf gehalten worden, um notfalls sofort auslaufen zu können. Bei uns gibt es nicht mal einen Stab, der Rettungsmaßnahmen koordinieren könnte; es fehlt selbst eine taktische Autorität.

Das Garn, das dem SPIEGEL vom Deutschen Hydrographischen Institut zur Erklärung des Unglücks gesponnen wurde, ist ein unfrommer Selbstbetrug. Der deutsche Seenotrettungsdienst ist arm und unterentwickelt. An Feiertagen fahren die Vormänner an den Jachten entlang und schnorren um ein paar fröhliche Zugaben von Köm und Tabak (siehe beiliegendes Photo). Das wird ihnen gern gegeben, denn diese braven Männer darben von ihrem Idealismus. Aber ein Zustand ist das nicht, sondern eine Blamage für unsere Nation.

Düsseldorf HANS G. STREPP »Yacht«-Journalist

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