TV-SHOWS »Seh ich aus wie ein Vollidiot?«
Jahrelang schwebte Harald Schmidt über allen. Keiner galt als witziger, keiner als politischer und zynischer sowieso. Seine Laune und seine Pointen waren mal besser und mal schlechter, doch für andere blieb er stets unerreichbar, konkurrenzlos, wie einst die Post.
Das Briefmonopol fiel. Das Schmidt-Monopol brach niemand auf. Keine Show reichte je an seine heran. Und auch wer mit ihm auftrat, diente nur dazu, ihn noch größer erscheinen zu lassen. Herbert Feuerstein zerfleischte sich. Manuel Andrack versuchte den Kampf gar nicht erst. Oliver Pocher scheiterte zwei gemeinsame Staffeln lang. Und auch in der derzeitigen Variante seiner Show schart Riese Schmidt wieder Humorzwerge um sich, deren Namen sich niemand merken muss.
Doch ausgerechnet in der einstmals ironiefreien Zone Zweites Deutsches Fernsehen erwächst Schmidt nun zum ersten Mal überhaupt ernsthafte Konkurrenz. Ab Januar bringt das ZDF die »heute-show«, die bisher ein paarmal quasi auf Probe lief, regelmäßig jede Woche.
Es wird ein nächtliches Fernduell um Quoten, Fans und Gag-Dominanz. »Harald Schmidt« läuft donnerstags nach den »Tagesthemen«, die »heute-show« freitags nach dem »heute-journal«. Die Quote seiner Show, erklärt ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut gleich schon mal zum Ziel, solle auf jeden Fall besser sein als die von Schmidt.
Für den Zuschauer ist dieser Zweikampf ein Glück. Erstens ist anspruchsvoller Humor ohnehin nicht üppig gesät im deutschen Fernsehen. Zweitens ist schon jetzt zu bemerken, dass die Konkurrenz auch Schmidt belebt. Er ist in den jüngsten Sendungen politischer geworden, auch schärfer, und er kommt seinem erklärten Vorbild Jon Stewart immer näher.
Stewart ist zurzeit das Maß aller politischen Komödianten. Auch die »heuteshow« hat die »Daily Show« des US-Komikers zum Vorbild. Der Amerikaner baut aus Fernsehschnipseln Tag für Tag einen satirischen Nachrichtenrückblick zusammen, versehen mit politischem Kommentar und bisweilen rabiatem Witz.
Stewart ist ein Polit-Clown. Extrovertiert, eitel, manchmal manieriert. Seine Show ist auch eine Ego-Show, in der Tradition der Late Night. Zu Schmidt passt die Rolle eigentlich ganz gut. Oliver Welke als Gesicht der »heute-show« wirkt dagegen erst einmal wie eine glatte Fehlbesetzung. Er ist der Typ, von dem zehn Minuten nach dem Auftritt die Zuschauer nicht mehr sagen können, wie er aussieht.
Bis zur »heute-show« hatte es Welke als TV-Humorist nicht gerade zu Premium-Prominenz gebracht. Er saß bei »7 Tage, 7 Köpfe« irgendwie mit dabei, schrieb mit Oliver Kalkofe und Bastian Pastewka das Drehbuch der Edgar-Wallace-Parodie »Der Wixxer« und moderierte im ZDF mal die eher unwitzige Fußball-Comedy-Runde »Nachgetreten«. Herausragend war allenfalls seine latente Unauffälligkeit.
Im Schlagabtausch mit Schmidt könnte sich das als Vorteil erweisen. Welke versucht gar nicht erst, den Chefzyniker oder Welterklärer zu geben. Er vermeidet die Großgesten der Late Night. Im Gegenteil. Welke agiert ähnlich nackensteif wie der reale ZDF-Nachrichtenkollege Claus Kleber.
Vor allem: Während um Schmidt herum alle anderen schnell blass aussehen, überlässt Welke die glänzenden Auftritte den anderen. Etwa Parodistin Martina Hill, die sich mit ihrer Figur »Tina Hausten« an »Politbarometer«-Frau Bettina Schausten, bald Leiterin des ZDF-Hauptstadtbüros, abarbeitet. Oder Schauspieler Dietrich Hollinderbäumer, der den genervten Reporter Ulrich von Heesen gibt. Über Bundesbanker Thilo Sarrazin und die berühmtberüchtigten »Kopftuchmädchen«-Sätze erregte er sich: Manche Banker seien schon in der dritten Generation Banker und machten nichts anderes, als Bankerkinder mit Einstecktuch zu produzieren.
Es sind gerade diese überraschenden Ausbrüche, die die »heute-show« von »Harald Schmidt« unterscheiden, wo das ewige Nicht-so-Gemeint auf Dauer auch ermüdet. Am besten gelingt das, wenn der Schauspieler Hans-Joachim Heist in seiner Rolle als »Gernot Hassknecht vom Mitteldeutschen Rundfunk« einen »Tagesthemen«-Kommentar parodiert.
Er ist schon ziemlich witzig, wenn er zunächst im üblichen Kommentarphrasenton über Steuerpolitik säuselt. Doch hochkomisch wird es, wenn er urplötzlich die Politiker direkt angeigt: »Seh ich aus wie ein Vollidiot? Los Westerwelle, sag's mir ins Gesicht. Seh ich aus wie ein verdammter Vollidiot?« Da spürt man die ganze Verzweiflung über seine Machtlosigkeit, die der öffentlich-rechtliche Journalist aus sich herausschreit.
Dieses Postironische und Postzynische wirkt schon deshalb nicht abgestanden, weil die »heute-show« mit Kabarett nichts mehr zu tun hat. Kabarett bedeutet in Deutschland meist: Wir sind alle einer Meinung. Welke sieht das als Gefahr: »Die Versuchung, sich Gesinnungsapplaus abzuholen, ist groß. Wir strengen uns aber an, ihr nicht nachzugeben.« Altmeister Dieter Hildebrandt brach einst einen Streit um die Marke »Scheibenwischer« vom Zaun, weil sein Nachnachfolger Mathias Richling auch Comedy-Größen in der Arena des politisch korrekten Humors antreten lässt. Die »heute-show« dagegen ist politische Comedy, die nicht immer nur links sein will. Der gemeinsame Nenner ist eher die Veralberung der Macht - bis an die Schmerzgrenze.
Als vor der Bundestagswahl vor allem die SPD und deren Kandidat Frank-Walter Steinmeier einiges abbekamen, erhielt Welke Fan-Post von der Schüler Union. Das fand er erschreckend. Doch als sich das Team in den folgenden Sendungen auf die FDP einschoss, legte sich das wieder.
Da wurde Dirk Niebel zum »Grögaz« ausgerufen, dem »Größten Generalsekretär aller Zeiten«, in Anlehnung an die Hitler-Veralberung »Gröfaz« für »Größter Feldherr aller Zeiten«. Neu-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle torkelte als Trickfigur besoffen über den Nachrichtentresen. »Wir haben kein festgelegtes Freund-Feind-Schema«, sagt Welke. »Das entwickelt sich von Sendung zu Sendung neu.«
Es ist ein interessantes Menschen-Experiment, das ZDF-Programmchef Bellut da angestoßen hat. »Ich bin selbst noch erschrocken über meinen Mut«, sagt er. Das hat auch viel mit Martin Sonneborn zu tun, dem heimlichen Star der Show. Der Ex-Chefredakteur des Klamauk-Magazins »Titanic«, der auch die Rubrik »Spam« bei SPIEGEL ONLINE betreut, fungiert als satirischer Außenreporter.
Für einen Einspielfilm sprach Sonneborn auf der Frankfurter Buchmesse ein paar Chinesen »auf die Menschenrechte« an - und legte den des Deutschen nicht mächtigen Gesprächspartnern einfach falsche Übersetzungen in den Mund: »Der Mann räumt ein, dass es gewisse Schwierigkeiten im Umgang mit Menschenrechten in China gibt, dass Leute gefoltert werden, dass Leute erschossen werden.«
Das war dreist, und es war verletzend. Aber auf diese Art in den diplomatischen Eiertanz um China hineinzutrampeln, war auch großartig. Der chinesische Botschafter sah prompt sein Volk beleidigt, Intendant Markus Schächter musste ihm schriftlich sein Bedauern erklären. »Und ich bitte Sie, dieses Bedauern auch nach China zu übermitteln.« Der Buchmessenbeitrag wurde aus der ZDF-Mediathek entfernt.
Es prallen gerade Welten aufeinander im ZDF. Als Welke und Sonneborn beim sendereigenen Schmusetalker Markus Lanz auftraten, begannen die Missverständnisse schon vor dem Studio. Ein »Lanz«-Mitarbeiter wollte ihnen einen Zettel mit vorgefertigen Gags geben, was sie ablehnten. In der Show verrutschte dann selbst Lanz das Dauerlächeln.
Wie die SPD denn noch gewinnen könne, fragte Lanz. Es war eine der Sendungen vor der Wahl. Sonneborn erwiderte, mit friedlichen Mitteln sei da nichts mehr zu machen. Siegen könne die SPD nur noch, wenn sie sich ein Beispiel an Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad nehmen würde.
Eine Pointe, die normalerweise für ein tiefes Ho-ho-ho-Lachen aus der Bauchgegend sorgt, zumindest bei einem Publikum, dessen Humor nicht gerade am »Traumschiff« geschult ist. Doch die »Lanz«-Redaktion fand sie wohl nicht komisch. Die Szene fiel raus. MARKUS BRAUCK