Zur Ausgabe
Artikel 32 / 74

TIERFUTTER Sehnsucht nach Dosen

aus DER SPIEGEL 36/1965

Deutschlands Hundejahre sind noch nicht vorüber; sie beginnen erst richtig.

Vorfabriziertes Edelfutter für ihre Heim-Tiere lassen sich die Bundesbürger 1965 bereits genausoviel kosten wie Konservennahrung für Säuglinge und Kleinkinder: rund 200 Millionen Mark. Im nächsten Jahr wird der Delikatessen -Etat der Tiere den der Babys erstmals übertreffen.

Den Wechsel von ihrer naturgegebenen Aas- und Abfallernährung zum gehobenen Konsum aus der Büchse verdanken Westdeutschlands Haustiere in erster Linie dem US-Konzern Mars Incorporated. Die Amerikaner, zunächst nur mit Zuckerwerk wie Mars-Riegel, Treets und Milky Way auf dem deutschen Markt vertreten, hatten sich 1959 den Belangen der Bundeshunde und anderer Tiere zugewandt.

Die englische Mars-Tochter Petfoods Limited stellte fest, daß die Voraussetzungen für eine Edelfreßwelle günstig waren. Zwar wächst die Zahl der Hunde (zur Zeit 2,3 Millionen), Katzen (2,6 Millionen) und Hausvögel (drei Millionen) in Westdeutschland kaum, aber sie dürfen am steigenden Wohlstand ihrer Besitzer teilhaben. Im Dienst an der neuen Verbraucherschicht konnten etwa die bundesdeutschen Zoo-Handlungen ihren Umsatz in den letzten sechs Jahren von 36 auf 125 Millionen Mark erhöhen.

Jedoch war das herkömmliche Futter -Sortiment des Handels eher eintönig, sein Hauptbestandteil der Hundekuchen. Hier konnte die Petfoods Limited helfen, die in England schon vor 20 Jahren neue Freßgewohnheiten eingeführt hatte. Die Gesellschaft brachte ihr angelsächsisches Büchsenfutter »Chappi« für Hunde und »Kitekat« für Katzen auf den deutschen Markt.

Die Tierkonserven enthalten vorwiegend Innereien und Muskelfleisch, die zumeist billig aus dem Ostblock importiert werden, sowie Walfleisch aus Japan. Beim Katzenmenü kommen noch Fisch und Reis hinzu.

Den deutschen Start der Futterdosen beflügelte die Firma durch ein neues Vertriebssystem: Sie verkaufte die Büchsen nicht ausschließlich über Fachgeschäfte, sondern stapelte sie auf die Regale von Lebensmittelhändlern und Metzgern. Zeigten die Händler Abneigung gegen den neuen Artikel, dann mußten die Petfoods-Vertreter auf Geheiß ihrer Firma eine Dose Chappi öffnen und daraus voressen.

Überdies wurde kräftig geworben. Bisher gaben die Tierfütterer dafür über 25 Millionen Mark aus; allein im vergangenen Jahr betrug ihr Werbe-Etat zehn Millionen Mark und näherte sich damit den Aufwendungen, die für Zigaretten, Margarine oder Seifenpulver üblich sind ("Chappi, damit's ein Prachtkerl wird« - »Acht von zehn Sittichen leiden an der lebensgefährlichen Vergrößerung der Schilddrüse").

Das ganz neue Freßgefühl ist allerdings nicht billig. Die 650 Gramm Chappi beispielsweise, die ein ausgewachsener Cocker-Spaniel täglich benötigt, kosten 1,92 Mark; bekommt er gar »Pal« ("Besser als das beste Fleisch"), so sind 2,20 Mark fällig. Die gleiche Menge Fleischabfall und Innereien bieten Kaufhäuser tiefgefroren für 1,25 Mark an.

Dennoch setzte sich das Wohlstandsfutter durch. Bereits 1960 errichtete Petfoods eine Produktionsstätte in Westdeutschland, die »Tierfeinkost-Werke Verden« in Verden an der Aller. Ihre 220 Beschäftigten versorgen heute die Futternäpfe der gesamten EWG, erwirtschaften damit rund 200 Millionen Mark Jahresumsatz und halten in Westdeutschland 60 Prozent Marktanteil.

Eine eigene Entwicklungsabteilung ist ständig bemüht, die Verbraucher zufrieden zu halten. Sie entscheiden durch Freß-Tests selbst über neue Produkte, und ihre Besitzer dürfen sich zu deren Aussehen und Geruch äußern. Denn menschliche Abneigung gegen das Fertigfutter kann den Absatz hindern; Kitekat verkaufte sich anfangs schlecht, weil es den Tierhaltern - nicht den Katzen - zu sehr nach Fisch roch.

Hunde-Feinkost, Verbraucher

Statt Abfall ein Menü

Zur Ausgabe
Artikel 32 / 74
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren