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Rudolf Augstein SEID NETT ZU DEN GOMULKAS

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 18/1967

Die Monster-Koalition in Bonn hat die Gesetze der Demokratie suspendiert: auf drei Jahre, wie man hört, oder auch auf sieben Jahre. Das mag gutgehen, oder auch nicht. Nur, wieso denkt man wohl, daß durch das Erscheinen der Monster-Koalition auch gleich für die Umwelt die Gesetze der Politik außer Kraft stehen sollen?

Gute Regel aller Politiker aller Zeiten war, nicht so sehr auf das zu achten, was der Partner redet, sondern mehr auf das, was er tut. Im Falle der Bundesregierung aber werden Deutschlands Partner aufgefordert, nicht so sehr die Taten der Bundesregierung zu bewerten, sondern ihre laut geäußerten guten Absichten. Wie aber, wenn Partner und Gegner auf die Idee kämen, die neue Bundesregierung sei zu guten Absichten gezwungen, weil sie aufgrund ihrer Zusammensetzung über gute Taten doch keine Einigkeit erzielen könne? Wie, wenn dem »guten Willen« der Politiker Kiesinger, Brandt und Wehner kein Kredit gegeben würde, weil Handlungen die geäußerten Absichten in ein Air von Mißkredit tauchen?

Daß ein Bundeskanzler sich zwecks Vertretung der Kanzler-Politik einen Staatssekretär bestellt, mit dem er nicht übereinstimmt, ist unwahrscheinlich (träfe es zu, wäre die Bundesregierung von vornherein handlungsunfähig und nicht ernst zu nehmen). Der CSU-Politiker, den Kanzler Kiesinger sich gegen den Widerstand der meisten CSU-Bundestagsabgeordneten ausgesucht hat, stimmt mit Kanzler Kiesinger überein, ungewöhnlich eng, so sagt er, und Kanzler Kiesinger teilt laut eigener Bekundung die Ansichten des Reichsfreiherrn von und zu Guttenberg.

Toi, toi, toi -- mit Guttenberg stimmt Kiesinger überein. Er stimmt aber auch mit Herbert Wehner, seinem liebsten und mächtigsten Minister, überein, dem Urheber eines gewissen Deutschland-Plans der SPD, den eben der Guttenberg 1959 »wie ein Zerreißwolf«, so die »Welt«, in Stücke fetzte. Welchen Schluß sollen nun unsere Gegner und Verbündeten aus der Tatsache ziehen, daß Wehner und Guttenberg jetzt die engsten Mitarbeiter des Kanzlers Kiesinger in der Deutschland-Politik, in der Europa-Politik, in der von der neuen Bundesregierung proklamierten Politik der Entspannung geworden sind?

Zwei Schlüsse sind möglich. Entweder haben die ehemals verfeindeten Politiker sich von ihren extremen Positionen weg und auf ihren neuen ruhenden Pol Kiesinger hinbewegt, der 1959, wenn nicht gleich weit von beiden, dann eher etwas weiter von Wehner entfernt stand (die »Stuttgarter Zeitung« sah in Guttenberg damals den Nachfolger für den nach Stuttgart abgewanderten Chef-Redner Kiesinger).

Oder aber, in dieser neuen Bundesregierung arbeiten Männer, deren Auffassungen auch bei gutwilligster Betrachtung nicht auf einen Nenner gepreßt, geschweige denn zu einer kreditwürdigen Aktion verdichtet werden können.

Der Reichsfreiherr hat seine Absichten deutlich und ehrlich artikuliert, bis in die jüngste Zeit. Gegen ihn kann kein Vorwurf sich richten. Daß er sie mit der gebotenen Hartnäckigkeit -- vorneherum und, wenn das nicht geht, wie im Fall des Legationsrats Huyn, hintenherum -- verfechten wird, dessen darf man bei diesem Charakter-Mann, anders als bei anderen CSU-Prätendenten, wohl sicher sein.

Was Erhard und Schröder wollten -- diplomatische Beziehungen zu Prag und Bukarest -, scheiterte an Guttenbergs Gesinnungsfreunden in der CDU/CSU. Noch im August 1966 widerriet Guttenberg solchen Schritten: »Wir haben nur deshalb keinen Botschafter in den Hauptstädten Osteuropas, weil diese Staaten eindeutig und aktiv den sogenannten zweiten deutschen Staat anerkennen.«

Guttenberg sah, bei Aufnahme solcher Beziehungen, die »Glaubwürdigkeit unserer Deutschland-Politik« gefährdet. Was Kiesinger, Brandt und Wehner das Kernstück ihrer neuen Ost-Politik nennen, schien dem Baron vor einem halben Jahr noch überflüssig: »Zu was sollen Gewaltverzichts-Erklärungen dienen, die da zwischen Bonn und den osteuropäischen Hauptstädten ausgetauscht werden sollen?«

Im April 1965 kritisierte er die Auflockerungspolitik de Gaulles und Washingtons: »Wird nicht eine wachsende Bitterkeit bei den Rumänen eintreten, wenn ihre verhaßten Führer in Paris und Washington empfangen werden?« Im verhallten Bonn sind sie inzwischen schon gewesen.

Vermehrte Kontakte zur SED, sagte er im Mai 1965, würden die »Zone« sehr schnell zum gleichberechtigten Partner des »wirklichen Deutschland« machen. Dem Spalter dürfe man nicht den Rang des Partners zuerkennen.

Am 2. April 1965 schlug Guttenberg vor, die Nato solle sich die, damals ja schon nicht mehr taufrische, Hallstein-Doktrin zu eigen machen. In seinem Buch »Wenn der Westen will«, Sommer 1964, lehnte er eine Anerkennung der Oder-Neiße-Linie ab: Die nationalbewußten Polen würden ohnehin nicht glauben, daß die Deutschen es mit diesem -- unglaubwürdigen -- Verzicht ernst meinten. Sogar eine fünfte Teilung Polens hält Guttenberg für möglich: »Wer vermöchte auszuschließen, daß Moskau nicht eines Tages plötzlich entdecken könnte, Stettin sei doch eine deutsche Stadt?«

Eine Zweier-Gemeinschaft zwischen Frankreich und der Bundesrepublik hat Guttenberg vorgeschlagen, als der England ausschließende Charakter der De-Gaulle-Union schon deutlich war: »Eine deutsch-französische, noch besser eine europäische politische Union gäbe dem Westen auch militärisch ein zweites Machtzentrum.« Wenn die anderen nicht wollten, müßten zwei erst einmal anfangen (Juli 1964).

Zum »Redner-Austausch« in Chemnitz trug Guttenberg am 12. Mai 1966 das Argument bei: Unsere Demokratie würde von innen heraus gefährdet, wenn man ihr vorwerfen könnte, daß sie zwar Mordtaten der Nazi-Verbrecher über die gesetzliche Verjährungsfrist hinaus verfolge, kommunistischen Mördern aber freies Geleit gewähre.

Er ist gegen Willy Brandts kleine Schritte, weil sie bisher nur in Richtung SED gegangen seien; ist dagegen (April 1964), daß ein deutscher Diplomat Kadar, dem »Schlächter von Budapest«, die Hand drücke (hinter dem Brandts Diplomaten heute herlaufen wie hinter einem Goldesel). Die Politik des »Be nice to the Gomulkas« verabscheut er noch heute. Hingegen hat er seit 1960 nicht mehr gefordert, die Sowjet-Union vor einem internationalen Forum unter Anklage zu stellen.

Daß Guttenberg in dem Abkommen über den Teststopp-Vertrag die deutschen Interessen verletzt sieht, ist nach alledem selbstverständlich. Und wäre er jetzt nicht vereidigt worden, würde er gegen den Atomwaffen -- Sperrvertrag schon blankgezogen haben.

Dies ist der Mann, den Kiesinger sich selbst ausgesucht hat, seine außenpolitischen Vorstellungen zu verdeutlichen. Da nach dem Proporz die linke Seite nicht kritisieren darf, was die rechte auf ihrer Proporz-Seite tut, hat die SPD nicht remonstriert (die Oppositionspartei FDP ohnehin nicht). Zudem schuldet Wehner dem Guttenberg noch einen Blumenstrauß wegen guter Hochzeitsbitter-Dienste.

Nur, sagt uns nicht, dies sei, und so sei Politik. Wenn Kiesinger und Wehner und Brandt keinen Glauben finden mit ihrer Beteuerung, sie wollten die DDR nicht isolieren, so werden sie ja ohnehin gefragt: Wenn nicht isolieren, was dann? Da trifft es sich denn günstig, als Interpreten der Kanzler-Politik einen Staatssekretär zu haben, der all die Jahre verkündet hat: »Ziel und Auftrag der Außenpolitik muß das Ende des SED-Regimes ohne Kompromisse sein.

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