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Artikel 38 / 57

Briefe

SELBSTMORD
aus DER SPIEGEL 7/1963

SELBSTMORD

Meiner Ansicht nach haben Selbstmörder den höchsten Grad der Weisheit erreicht. Es ist ja bekannt, daß Philosophen von Durchschnittsmenschen meist als »spinnert« angesehen werden.

Frankfurt

GERLINDE KÜHNE

Unser alter Lehrer gab uns einmal folgenden Ratschlag: Wenn sich jemand das Leben nehmen will, soll er's tun. Er soll das genaue Todesdatum festsetzen - und danach noch vier Wochen weiterleben. Dann soll er Bilanz ziehen: Haben sich die letzten vier Wochen gelohnt? Wenn nicht, soll er sich das Leben nehmen. Er soll das genaue Todesdatum festsetzen - und danach noch vier Wochen weiterleben.

Eckardtsheim (Nordrh.-Westf.)

H. PIATER

Darf ich Sie als Archäologe auf einen kleinen Irrtum aufmerksam machen, der Ihnen bei der Auswahl des Bildes unterlaufen ist? Der abgebildete Kopf im Vatikan mit der Aufschrift Zenon ist ein Bildnis des Platon (l.), und die Inschrift stammt aus neuerer Zeit. Es gibt aber auch Bildnisse, Zenons, die durch eine antike Inschrift beglaubigt sind, von denen ich Ihnen die eine - /in Neapel - im Photo beilege (r.).

Mainz

PROF. DR. GERMAN HAFNER

... hätte ein Hinweis erscheinen können, wie Selbstmord bei Unfall- und Lebensversicherungen behandelt wird. Doch bestimmt ein wichtiger Punkt in der modernen Gesellschaft.

Düsseldorf

WOLFGANG THOMAS

Muß man wirklich verrückt sein, um diese Welt, die vom Aufbruch schwätzt und den Abbruch vorbereitet, verlassen zu wollen?

Stuttgart

H. HUGENDUBEL

Zu den prominenten Selbstmord-Forschern der zwanziger Jahre gehörte unter anderen der Münchner Arzt Dr. Max Mohr - bekannt auch als erfolgreicher Dramatiker ("Improvisationen im Juni") und Schriftsteller (Bestseller: »Venus in den Fischen"). Als »Halbarier« emigrierte er 1936 nach Schanghai, obgleich er als Träger der »Goldenen Tapferkeitsmedaille«, die er als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg erworben hatte, zum »Ehrenarier« ernannt und unbehelligt geblieben war.

Von unseren damaligen Gesprächen über das Thema Selbstmord ist mir eins unvergeßlich geblieben. Dr. Mohr erklärte, daß er mit einem Münchner Kollegen ein geradezu narrensicheres Verhütungsmittel gegen den Selbstmord entwickelt hätte. Dabei käme es wesentlich darauf an, daß man in geschickter Weise dem - einem sachkundigen Auge durchaus erkennbaren - potentiell Lebensmüden rechtzeitig von der physiologischen, nicht psychologischen Seite her zu Leibe rücke: durch Hervorrufung einer lokal begrenzten, weiter nicht gefährlichen, aber lästigen, auch schmerzhaften Entzündung, zum Beispiel einer Beule am Gesäß, deren Beseitigung auch wieder ohne weiteres möglich wäre, aber doch verzögert werden müßte. In allen Fällen habe sich ergeben, daß der Selbstmordkandidat dann nur den Wunsch gehabt hätte, die Sache wieder loszuwerden; der Todeswunsch sei verdrängt worden und später, in Erinnerung an das ausgestandene Weh, nicht wiedergekommen.

Ein Jahr später fand man Dr. Mohr eines Tags tot an seinem Schreibtisch sitzend. Indizien deuteten auf Selbstmord hin.

Bonn

DR. WALTER FUCHS

Ganz so großzügig, wie Sie es darstellen, werden die Selbstmörder von der bundesdeutschen Rechtsprechung nicht behandelt. Es stimmt zwar, daß weder Beihilfe noch Anstiftung zum Selbstmord strafbar sind. Gleichwohl hat unser Bundesgerichtshof 1954 eindeutig festgestellt, daß das »Sittengesetz jeden Selbstmord - von äußersten Ausnahmefällen vielleicht abgesehen - streng mißbilligt, da niemand selbstherrlich über sein eigenes Leben verfügen und sich den Tod geben darf«. Auch hier ist also das moralische Pathos der Richter über das Gesetz hinausgewachsen.

Berlin

HEINRICH WIEDENHORN

Tatsächlich sucht kein Mensch den Freitod ohne eine schwerwiegende Ursache - oder er wird dazu gezwungen, und das ist indirekter Mord. Dabei haben Sie ein Kapitel nicht berührt (vermutlich absichtlich), das ebenfalls in diesen Bereich gehört den Hungerstreik. Es ist tragisch und wundervoll, sich aus eigenem Entschluß vor den Toren des Jenseits zu wissen und allen Drohungen und Verlockungen in eiserner Selbstdisziplin zu widerstehen, in der Absicht, durch diese Demonstration ein Problem anzusprechen, welches mit gesetzlichen Mitteln nicht zu lösen ist.

Niederlahnstein (Rhein)

ERWIN SIKORA

Der Mensch ist nicht nur Einzelwesen, sondern auch Glied eines »Sammel« -Wesens, einer Gemeinschaft. Er handelt nicht nur individuell, sondern auch »direktiv«. Die Krankheitshypothese für den Suicid gilt - vorwiegend, aber auch nicht immer - im ersten Fall. Sie versagt im zweiten, etwa bei Sokrates und Winkelried, bei Helden, Frontkämpfern und Gefolgsleuten des Dritten Reiches und anderer Reiche (Sumerer, Japaner). Sie versagt auch bei Bienen und Ameisen, bei Schafen, Rentieren und Lemmingen. Sie versagt auch bei dem Kapitän, der als einziger den Untergang seines Schiffes nicht überleben mag.

Hannover

DR.-ING. R. ROST

Gottlob seid Ihr nicht auf das weitverbreitete Märchen hereingefallen, gewisse Tiere könnten Selbstmord begehen. Vor allem von den Skorpionen ist das immer wieder behauptet worden. Tatsache ist, daß sich der von Feuer und Hitze bedrohte Skorpion mit Hilfe seines Stachels erdolcht. Man hat jedoch festgestellt, daß dieses Tier bei einer Temperatur von über 50 Grad Celsius am Kopf heftige Schmerzen bekommt und den Stachel sodann gegen den vermeintlichen Angreifer richtet, also gegen die Hitze, aber nicht gegen sich selbst.

München

KARL MAYERHOFER

... entdeckte ich, daß auch Sie die oft zu hörende kühne Behauptung weiter verbreiten, das Tier begehe niemals Selbstmord. Sie würden mich verpflichten, wenn Sie mir mitteilen (oder zahlreichen geduldig schluckenden Lesern), woher Sie das wissen? Bis dahin halte ich diese Behauptung für reines Nachschwätzen - also für ein (Darwin-Artikel!) Affensymptom katexochen.

Berlin

DR. MED. W. M. KRANEFELDT

Nach Dr. Ringel bricht die Deutungskette der Selbstmordmotivation bei der »Neurose« ab. Jawohl, das muß auch so sein, gilt es doch noch immer (oder schon wieder?) als besonders chic, sich möglichst positivistisch zu gebärden. Selbstmord ist ein psychologisches Problem - non plus ultra!

Wer wird sich auch noch zu der Vorstellung versteigen, daß es dem Menschen in seinem Leben eigentlich und ursprünglich um existenzielle Erfüllung geht, um Erfüllung eines Daseinssinnes, der letztlich über ihn hinausweist und der sich nicht mit einigen rationalistischen Floskeln einfangen läßt - wenn der Mensch nach SPIEGEL und Darwin zufälliges Produkt eines sinnfreien Ausleseprozesses ist. Sollte sich doch noch eine Meinung finden, die den Menschen anders einschätzt, wie etwa die C. G. Jungs von der"Sinn-Neurose« als Suicidquelle, so wird sie mit einem Satz abgetan. Hier leibt und lebt der SPIEGEL.

Landau (Pfalz)

WERNER REICHERT

Es ist notwendig, den Selbstmord Zenons und Catos des Jüngeren säuberlich vom Tod Senecas zu unterscheiden. Während jene sich aus eigenem Antrieb töten, kann eine ähnliche Verhaltensweise von Seneca nicht behauptet werden. Aus den sehr leicht zugänglichen Quellen (Tacitus, Annalen, XV, 60 ff; Sueton, Nero, 35) ergibt sich, daß dem Seneca von seinem einstigen Schüler Nero befohlen wurde, sich zu töten, weil er im Verdacht stand, Mitwisser der Pisonischen Verschwörung gewesen zu sein.

Bei Tacitus heißt es deutlich: »Sodann wurde Annäus Seneca ermordet« (Arm., XV, 60). Man beachte das Passiv! Sueton führt aus: »Seinen Lehrer Seneca zwang er (Nero), sich selbst das Leben zu nehmen.« Wenn Sie Seneca in die große Garde berühmter Selbstmörder einreihen, darf man dann folgern, daß Sokrates lediglich durch Zufall in der Liste fehlt?

Münster (Westf.)

KLEMENS WEILANDT

Das ist doch unmöglich - eine »Selbstmord-Darstellung aus dem Mittelalter«. Allein schon die graphische Gestaltung der Gedichtzeilen läßt im Anhieb auf ein Spätbarockstück, also »nur« um 250 Jahre alt, schließen.

Wuppertal

DR. HEINRICH VON LUTTWITZ

Es verwundert zwar nicht, daß Ihr Exkurs in die philosophische Selbesmord -Lehre mehr als dürftig ist; Sie hätten aber wiesen müssen, daß Platon nicht eigentlich zu den »Selbstmord-Denkern« zählt.

Bracht (Nordrh.-Westf.)

KURT RADEMACHER

Die Fortsetzung Ihrer Titelgeschichte erwarte ich während oder nach der kommenden Wirtschaftskrise.

Wiebelskirchen (Saar)

ERNST K. SCHÄFER

Als kritische Leserin gewohnt, Dich unter den verschiedensten Aspekten zu betrachten, kann ich nicht dulden - doch, dies muß ich ja! - kann ich nicht begreifen, daß die Generale Beck und Rommel in einer Photoreihe zusammen mit Göring und anderen gezeigt werden, dazu mit diskriminierendem »Kollektiv«-Text: »... um der Schmach zu entgehen...«!

Aachen

RENATE WILDEN

Krank - was heißt das? Da geht man her und zimmert sich eine Schablone, ganz rationalistisch versteht sich. Nun munter drauf los! Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Sprechzimmer zur Seelenmassage. Schlecht, das heißt krank, sind alle, die nicht in die Schablone passen!

Düsseldorf

JOSEF LILL

Meinen Sie nicht auch, daß dieses Thema zu jenen gehört, denen man eine sachgerechte Behandlung reservieren sollte? Ihre Dokumentation - nach neuester Ansicht handelt es sich um eine Krankheit - legt das jedenfalls nahe. Über den Herzinfarkt oder Krebs würden Sie wohl kaum in ähnlicher Weise schreiben wollen und können, schon aus Gründen der Popularität.

Altena (Westf.)

DR. MED. G. BOHME

... und nicht zu vergessen die vielen Menschen, die sich schön langsam mittels Alkohol- und Nikotinabusus und ähnlichem letztlich selbstmörderisch ihr Leben verkürzen. Auch diese alle sind schließlich Opfer neurotischer Konflikte.

Frankfurt

WOLFGANG F. BREDTSCHNEIDER

Soviel ich weiß, soll es auch Hunde gegeben haben, die beim Tode ihres Herrn so lange das Futter verweigerten, bis sie starben - auch eine Art Selbstmord.

München

KARIN VON WANGENHEIM

Derjenige, der sich einbildet, den Ernst eines abgeklärten, todsuchenden Menschen pauschal als Krankheit abtun zu können, ist dumm und arrogant. Derjenige allerdings, der sich von Ringel und der von ihm geplanten staatlich subventionierten Lebensmüdenbetreuungsstelle abhalten läßt, sich zu entkörperlichen, beweist, daß die Qualifikation seines Todesentschlusses fragwürdig ist.

Freiburg

GÜNTER SCHMELCHER

Soll das deutsche Volk ein Volk von »Suizid- und Lappenforschern« werden? Ich meine, Sie sollten sich wieder mehr um unsere Innenpolitik kümmern und den Foertsch-Brief studieren: »...

Kampf auch in aussichtsloser Lage bis zum letzten: Eine Forderung an den Soldaten, die... auch in Zukunft gilt...« (zitiert nach »Hamburger Echo").

Hamburg

DR. GEBHARD KRAFT

Selbst über Leben und Tod zu verfügen ist die einzige Freiheit, die wir besitzen.

Efrizweiler (Bodensee)

M. OSTHOFF

In Ihrem sehr lesenswerten Artikel über den Freitod wird ein Punkt übersehen, nämlich der funktionelle Zusammenhang mit der Todesstrafe. Denn da bekanntlich ein sehr hoher Prozentsatz der »Lebenslänglichen« Selbstmord begeht, wird die Abschaffung der Todesstrafe sich auf die Selbstmordstatistik auswirken. In weiterem Rahmen gesehen: Zunehmende Kriminalität hat auch ein Ansteigen der Zahl der Selbstmörder krimineller Artung im Gefolge.

Weiterstadt (Essen)

G. PETER

In der Fußnote zu Ihrem »Selbstmord« -Artikel führen Sie unter den Geisteskrankheiten auch die Epilepsie auf und unterstützen damit eine zwar weitverbreitete, aber falsche Ansicht. Epilepsien sind keine Geisteskrankheiten! Da sich unsere Gesellschaft durch intensive Aufklärungsarbeit um eine Korrektur der vielen landläufigen, aber unrichtigen Vorstellungen von den Epilepsien bemüht, darf Ihre Bemerkung - besonders in Anbetracht des sehr großen SPIEGEL-Leserkreises - nicht unwidersprochen bleiben.

Heidelberg

DR. LEONIE STOLLREITER

Geschäftsführerin

der Deutschen Sektion

der Intern. Liga gegen Epilepsie

Den Selbstmördern unter den Offizieren ein Lob. Sie taten ihre Pflicht, als sie sahen, was sie mitangerichtet haben. Diese Selbstvernichtung war kein Verlust für die Menschheit; aber jene, die feige am Leben blieben, wurden zu einer neuen Belastung der Daseinsfreude friedliebender Menschen.

Himmelpforten (Nieders.)

CHRIST US

Wenn ich ein Vermögen zu hinterlassen hätte, dann würde ich einen Teil für die Hinterbliebenen von Selbsttötern stiften, oder hätte ich politischen Einfluß, dann würde ich mich für eine Pensionierung derselben einsetzen, denn solange die Überbevölkerung nicht zurückgeht, solange Teile der Erde noch madig von Menschen in Armut sind, da freue ich mich über jeden, der sich zum vollkommenen Verzicht überwindet.

Bremen

T. A. BECKER

Als ich im Juni 1923 über die Brücke in die Zitadelle Spandau kam, sagte der Posten: »Sehen Sie dort, was im Wasser schwimmt?« »Um Himmels willen.« - »Eine Frau, - aber das ist schon fast 'ne Stunde her.« Ungestüm fuhr ich ihn gleich an: »Warum sind Sie nicht sofort nachgesprungen?« »Aber Herr Oberleutnant«, sagte der junge Soldat sehr ernst: »Wenn einer schon so weit, ist, daß er das hinter sich gebracht hat - wer darf ihn dann zurückholen - zu was? Wird der dann der Frau bis zum Lebensende weiterhelfen können?«

Hamburg

PETER MARTIN LAMPEL

Den Christen, die sich als Dauerpächter der Wahrheit betrachten, sei ein Wort des römischen Kaisers und Stoikers Marc Aurel. (Reclam, Selbstbetrachtungen Nr. 1241/42, Seite 79) anempfohlen: »Wie Du am Ende Deines Lebenslaufes wünschest gelebt zu haben, so kannst Du jetzt schon leben. Gestattet man Dir aber das nicht, alsdann verlaß das Leben, jedoch so, als sei Dir kein Übel widerfahren. Raucht es irgendwo, so gehe ich weg.«

Frankfurt

HARTMUT KOCH

Auch ich verspürte bis vor kurzem wiederholt das Verlangen, meinem Leben ein Ende zu bereiten. Wenn ich zum Beispiel am Fernsehgerät die Werbung oder das moderne Ballett sah, oder wenn ich eine 10-Pfenniug-Zeitung gelesen hatte. Nachdem ich aber aus der Presse zur Kenntnis nehmen konnte, daß die Militärs bei eventuellem Ausbruch des dritten Weltkrieges gleich mit zehn bis 15 Millionen Toten nach wenigen Tagen rechnen, frage ich mich: Warum sich die Mühe machen und selbst seinem Leben ein Ende bereiten?

Mühldorf (Inn)

BRUNO GERTIG

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