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SÜDAFRIKA Seltsames Paar

Moskau und Pretoria sind einander politisch spinnefeind. Aber im Gold- und Diamantenhandel arbeiten sie einträchtig zusammen. *
aus DER SPIEGEL 4/1984

In einem abgelegenen Raum des Union-Gebäudes in Pretoria, des Sitzes der letzten weißen Regierung in Afrika, geht ein Mann einer Tätigkeit nach, die anderen Südafrikanern bei Androhung von Haftstrafen untersagt ist: Er liest kommunistische Literatur - in einem Land, in dem »Das Kapital« selbst an Universitäten unter Verschluß gehalten wird und jährlich Dutzende von Regimekritikern wegen »Verbreitung kommunistischen Gedankenguts« im Gefängnis landen.

Auf dem Schreibtisch des Beamten im Union-Gebäude liegen bergeweise Zeitungen, Zeitschriften, »Tass«-Meldungen und Bücher, viele in kyrillischer Schrift. In den vergangenen Wochen wuchsen die üblichen Stapel von Arbeitsmaterial enorm: Die Dienste des Ostexperten sind in Pretoria neuerdings gefragt.

Denn im November vorigen Jahres hatte die Apartheidsrepublik ihren ersten - offiziellen - diplomatischen Notenaustausch mit der Sowjet-Union seit dem Abbruch der Beziehungen vor 27 Jahren. Und seither werden in Pretorias politischer Zentrale alle Regungen aus dem »Land der heidnischen Versklavung«, so Premier Pieter Willem Botha, sorgfältig archiviert.

Außenminister Roelof Botha gestand den Notenwechsel mit Moskau öffentlich ein - ausgerechnet auf dem Höhepunkt der jüngsten südafrikanischen Angola-Invasion vorige Woche, als Pretorias Soldaten in schwere Kämpfe mit kubanisch unterstützten, sowjetisch bewaffneten Soldaten in Angola verwickelt worden waren.

Danach erklärte Südafrika, es werde sich aus Angola zurückziehen. Und noch rechtzeitig vor einer erneuten Debatte des Weltsicherheitsrats über den Konflikt im Südwesten Afrikas bot die Regierung in Pretoria auch an, von Ende Januar an die Waffen ruhen zu lassen.

Schon spekulierte die liberale Johannesburger Zeitung »Rand Daily Mail«, vielleicht werde sich jetzt »das seltsamste Paar der jüngeren politischen Geschichte« finden.

Dabei war Moskaus Note an Pretoria nicht gerade freundlich ausgefallen. Sowjetische Diplomaten in den USA hatten laut Botha ein Schriftstück überreicht, das nachdrücklich an Moskaus Freundschaftsvertrag mit Angola von 1976 erinnerte.

Weiter: Die ständige Besetzung angolanischen Territoriums entlang der Grenze von Namibia sei ebenso unakzeptabel wie die südafrikanische Hilfe für die »Banditen« der innerangolanischen Rebellenbewegung Unita.

Doch trotz der polternden Reaktion des Premiers und einiger Militärs auf die Note mochte das Außenministerium in Pretoria vergangene Woche »einige Annäherungs-Möglichkeiten für das südliche Afrika« nicht ausschließen. Ein französischer Diplomat in Pretoria höhnte über den Schriftwechsel mit der Sowjet-Union: »Jetzt wagen sie sich an ein Souper mit dem Teufel.«

Wirtschaftlich leben die Kapitalisten am Kap und die Kommunisten im Kreml schon lange im besten Einvernehmen: Denn »ein Schlenker des geologischen Schicksals«, so die »International Herald Tribune«, sorgte dafür, »daß die größten Schätze an Edelsteinen und strategischen Mineralien in den beiden wohl am stärksten miteinander verfeindeten Ländern der Welt liegen«.

Tatsächlich sind die Sowjet-Union und Südafrika der Welt größte Produzenten

für Gold, Chrom, Vanadium, Mangan, Platin - und Diamanten.

Das ist gut für den Profit, auch über politische Feindschaft hinweg. So treffen sich Sowjets und Südafrikaner regelmäßig in der staatlichen Wozchod-Handelsbank in Zürich, um über die erratischen Bewegungen des Goldmarkts zu beraten: Die beiden Länder kontrollieren mehr als 80 Prozent der Weltverkäufe.

Bei dem Edelmetall Platin decken die politischen Erzfeinde sogar 94 Prozent des Weltbedarfs. Jedes Jahr im Mai treffen sich ungefähr 200 Prominente des Platingeschäfts im vornehmen Londoner Savoy-Hotel, darunter in einträchtigem Miteinander Sowjets und Südafrikaner. »Man kann nicht behaupten, es gebe Preisabsprachen«, schrieb die »International Herald Tribune«, »doch die Kontakte tragen bei zu einer 'ordentlichen Vermarktung', wie die Finanzleute sagen.«

Viele Fäden zwischen Südafrika und der Sowjet-Union werden in der gleißenden Stahl- und Glaswelt von Johannesburgs Hochfinanz gesponnen. Im Westen der City residieren die Anglo-American Corporation und deren Diamanten-Schwestergesellschaft De Beers. Vorstandsvorsitzender der weltumspannenden Unternehmensgruppe ist der deutschstämmige Harry Oppenheimer, der sich unlängst aus den aktiven Geschäften zurückzog.

»Auf der Durchreise« wurde sein Vertrauter und Ex-Schwiegersohn Gordon Waddell vor drei Jahren im Bolschoi-Theater in Moskau entdeckt - an Zufall mochte keiner glauben. »Niemand reist nach Moskau und erwischt zufällig gute Plätze für eine Vorführung des 'Boris Godunow'«, urteilte der Experte für sowjetisch-südafrikanische Beziehungen, William Gutteridge von der Universität Birmingham. Denn normalerweise stellen die beiden Länder gegenseitig keine Visa aus.

Im Freundeskreis erzählt Harry Oppenheimer über regelmäßige Besuche seines Cousins, des in London ansässigen Philip Oppenheimer, in Moskau. Sir Philip ist Vorstandsvorsitzender der De-Beers-eigenen Central Selling Organization (CSO): Diese Monopolgesellschaft steuert seit Jahrzehnten Verkauf und Preise von Rohdiamanten.

In der Sowjet-Union, dem zweitgrößten Produzenten von Schmuckdiamanten in der Welt, wird die kapitalistische Geschäftsführung der CSO geschätzt. Bei CSO-Verkäufen sind regelmäßig - unter den nur in »Paketen« von gemischter Größe und Qualität versteigerten Lieferungen - auch Steine sowjetischen Ursprungs.

Gänzlich paradox werden die wirtschaftlichen Verflechtungen der politischen Gegner im südlichen Afrika am Beispiel Angola. Die Regierung in Luanda gilt als moskauhörig, weil sie sich von der Sowjet-Union und von Kuba bei ihrem Kampf gegen Südafrika und die Unita helfen läßt. Aber eine der größten staatlichen Einnahmequellen Angolas (nach den Ölfeldern im Norden, die von US-Gesellschaften betrieben werden) rührt aus dem Verkauf von Diamanten - durch die südafrikanische CSO.

Zwar wurden die Fundstätten der »Diamang«-Gesellschaft im Osten Angolas entlang der Zaire-Grenze vor sechs Jahren verstaatlicht. Der frühere Mehrheitsaktionär, De Beers in Johannesburg, besitzt nur noch 1,6 Prozent, Angolas Regierung gehören 77,21 Prozent. Doch im »Diamang«-Aufsichtsrat sitzt Philip Oppenheimer.

Berater aus Johannesburg besuchen ständig die Minen im angolanischen Busch, um den an Schlamperei und Diebstahl krankenden Staatskonzern auf den Beinen zu halten. Wie selbstverständlich fliegen die Firmenjets aus Johannesburg über Gebiete, in denen südafrikanische Soldaten und von ihnen unterstützte Unita-Guerrilleros seit Jahren gegen die Angola-Regierung kämpfen.

Die »International Herald Tribune« befand: »In der diskreten Welt internationaler Finanzen und Geschäfte ist alles möglich.« Sicherlich aber nicht in der Politik. Am Silvestertag wurden in Kapstadt der deutschstämmige Dieter Gerhardt zu lebenslanger, seine in der Schweiz gebürtige Frau Ruth zu zehn Jahren Haft verurteilt: Sie sollen für die Sowjet-Union spioniert haben.

Straferschwerend wirkte sich aus, so betonte der Vorsitzende Richter zum Schluß des Geheimprozesses, daß Gerhardt in 20 Jahren fünfmal in Moskau war.

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