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ITALIEN Sex im Kanal 47

Etwa 70 private TV-Sender machen dem italienischen Staatsfernsehen RAI Konkurrenz. RAI-Kommentar: »Ein Schweinestall.«
aus DER SPIEGEL 48/1976

Italiens Kommunisten entdeckten den Wilden Westen im eigenen Land. Das Parteiblatt »L'Unitä« protestiert: »Nur das Recht des Stärkeren gilt.«

Wie einst die amerikanischen Pioniere ziehen heute -- laut KPI -- die Verfechter des privaten Rundfunks und Fernsehens aus, freies Land zu erobern. »Mit billigen Sendegeräten gerüstet, nehmen sie rücksichtslos alle freien Kanäle in Beschlag«, klagt »L'Unitä«.

Im Äther über Italien herrscht tatsächlich ein in der EG wohl beispielloses Gedrängel. Über 500 private Radiosender und etwa 70 »TV libere«, also freie Fernsehstationen, machen dem Staatsunternehmen »Radiotelevisione Italiana« (RAI) Konkurrenz.

Die Nachbarstaaten Jugoslawien, die Schweiz, Monaco und Frankreich strahlen ihre TV-Programme über Relaisstationen bis nach Rom aus. Auf Malta entsteht derzeit ein potenter TV-Privatsender, der vor allem Sizilien anpeilt.

Millionen Italiener kauften Extra-Antennen, um sich von Fremdsendern oder privaten Fernsehprogrammen berieseln zu lassen.« Die langweilige RAI«, meint etwa der römische Nudelhändler Pasquale Morelli, »kann mir gestohlen bleiben.« Er schätzt Monte Carlo und den Privatsender GBR (Kanal 47), »weil der auch Politik ganz locker bringt«.

Unlängst hielt ihn GBR noch um zwei Uhr morgens wach. Mit dem farbigen Sex-Streifen »Lorna: Diese Frau ist zuviel für einen Mann«. Per lombardische Sender »Tele Alto Milanese« muntert seine Zuschauer jeden Samstag gegen Mitternacht mit Striptease auf.

Schuld am Wellenkrieg haben unschlüssige Politiker und die Verfassungsrichter. Jahrelang zögerten Roms Regierende, das Farbfernsehen bei der RAI einzuführen. Viele Norditaliener kauften dennoch Farbgeräte« um italienischsprachige Programme aus den Nachbarstaaten zu sehen. Gewiefte Manager der Elektronikbranche bauten Relaisstationen, um über die grenznahen Regionen hinaus zu senden.

Das war gegen das Gesetz, nach dem die RAI das Sendemonopol für Italien besitzt. Postminister Togni ordnete 1974 denn auch die Demontage dieser Stationen an. Doch die Öffentlichkeit protestierte heftig gegen den von der Presse als »Diktat« hingestellten Ukas, und Tognis Befehl wurde nicht ausgeführt. Folge: Vorkämpfer des privaten Funks und Fernsehens nutzten die römische Schwäche zu einer Offensive.

Im Juni 1976 konnten sie ihren Sieg feiern. Damals entschied das Verfassungsgericht: Unabhängig vom RAI-Monopol für den landesweiten, »nationalen Dienst« seien Privatsender mit lokalem Ausstrahlungsbereich zulässig. Der Staat habe nur das Recht, die entsprechenden Konzessionen zu vergeben.

Absolut unsinnig«, empörte sich RAI-Präsident Beniamino Finocchiaro über den Richterspruch. Italien sei damit »das erste europäische Land, in dem auf dem Radio- und Fernsehsektor das Chaos legalisiert wird«. Über die TV-Programme der Privaten urteilte Finocchiaro pauschal: »Ein Schweinestall.«

Wohl empfahlen die Verfassungsrichter, das Parlament solle die Konzessionsvergabe für Lokalsender gesetzlich regeln. Aber ein solches Gesetz ist noch nicht erlassen.

Italiens Verleger drängen die Regierung, die -- meist hochverschuldeten -- Tageszeitungen bei den Konzessionen für lokale TV-Stationen zu bevorzugen. RAI-Regent Finocchiaro dagegen warnt davor, daß einige Verlagsbosse auch noch die Lokalsender beherrschen.

Unterdes erteilt das Postministerium freigebig Lizenzen. Und so erlebt Italien einen wahren Boom der privaten Funk- und TV-Stationen. Geschäftsleute, Idealisten, Radioamateure und Plattenprofis, alle mischen mit. In Rom beispielsweise funken rund 60 Sender, vom linksradikalen »Radio Contro« bis zum frommen »Radiovangelo«. Viele Sender bieten neben lokaler Reklame fast ausschließlich Schlager, darunter auch, so ein Disc-Jockey, »heiße Scheiben, oder, sagen wir ruhig, Bumsplatten, die bei der lahmen RAI natürlich nicht aufgelegt werden«.

Da die Großstadt-Sender sehr nahe beieinander liegen, gehören Störungen fast zum Programm. Bei den freien TV-Stationen wird der Kampf um Kanäle deshalb zusehends härter. Giovanni Del Piano, Besitzer des im römischen Hilton-Hotel eingerichteten Senders GBR (Investitionskosten: 2,8 Millionen Mark), zog jüngst gegen einen Frequenz-Rivalen vor Gericht.

Unter den privaten TV-Managern in der Region Latium ist Del Piano unbestritten die Nummer eins. Denn er hat auch die Konzession für die Relaisstationen des Schweizer Fernsehens und von Télé-Montecarlo. Um die Fremdsender gibt es nun Streit:

Nach dem Gesetz dürfen Ausländer keine Werbesendungen nach Italien ausstrahlen. Allein Télé-Montecarlo kassiert in diesem Jahr angeblich fünf Milliarden Lire (14 Millionen Mark) von italienischen Firmen -- für Werbung nach Italien.

Insbesondere die italienischen Linksparteien sehen darin Kapitalflucht. Die KPI wertete den Werbe-Grenzfall gleich als einen »schweren Anschlag auf die nationale Souveränität«.

Postminister Vittorino Colombo versprach, gegen die Fremdsender vorzugehen. Die Relais-Chefs wurden aufgefordert, alle Werbesendungen »zu verdunkeln«. Das ist technisch jedoch schwer möglich.

Ein auf Werbung angewiesener Sender wie Montecarlo ist dazu auch nicht bereit. Dabei geht es nicht nur ums Geschäft. Nachrichten und Kommentare in Montecarlos Italienprogramm werden vom rechtsliberalen Top-Journalisten Indro Montanelli, Chefredakteur der Mailänder Zeitung »II Giornale«, geleitet.

Montanelli und Co. machen aus ihrem Anti-Kommunismus keinen Hehl und warnen ständig vor dem »historischen Kompromiß« mit der KPI. Ihre Sendungen haben hohe Einschaltquoten und zahlen sich auch politisch aus: Zwei Kommentatoren aus Montanellis Mannschaft wurden ins neue Parlament gewählt.

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