CDU-FÜHRUNG Sicht verloren
In einer knappen Minute kann sich Bruno Heck aus dem Bundesminister für Familie und Jugend in den Generalsekretär der Christlich-Demokratischen Union verwandeln. Er bedient sich dazu einer Treppe.
Genau 32 Stufen verbinden den ersten und den dritten Stock in Hecks Ministerium an der Godesberger Kennedyallee 105 bis 107. Im dritten Stock ist das Ministerbüro, im ersten Stock wird derzeit das Büro des Generalsekretärs der CDU eingerichtet.
Den Westflügel des ersten Stocks mußten Hecks Familienbeamte zu diesem Zweck räumen. Zuflucht fanden die von der Christenunion Vertriebenen in einem Anbau von 600 Quadratmeter Bürofläche, den der Eigentümer des Bürohauses Kennedyallee 105 bis 107, Bonns vielbeschäftigter Architekt Wilhelm Denninger, errichtet und dem Familienministerium vermietet hatte.
Die Miete für die frei gemachte Flucht im ersten Stock des Altbaus hingegen bezahlt jetzt die Bundesgeschäftsstelle der CDU: pro Quadratmeter 6,50 Mark.
In diesen Räumen läßt Heck, Ende Mai auf dem CDU-Parteitag in Braunschweig zum Generalsekretär gewählt, den neuen Kommandostand der CDU einrichten -- nur zwei Stockwerke unter seinem Ministerzimmer, dafür aber mehr als fünf Kilometer von der etablierten CDU-Zentrale entfernt, der Bundesgeschäftsstelle in Bonns Nassestraße Nummer 2.
Statt der .ausquartierten Beamten hält nun eine Crew handverlesener Parteiarbeiter Einzug in die Beletage des Familienministeriums: Neben seinem persönlichen Referenten für Parteiangelegenheiten schafft sich Reck noch einen Pressereferenten, einen Kontaktmann zur Fraktion und zur Bundesgeschäftsstelle sowie einen Kontaktmann für landespolitische Fragen an. Sie alle sollen dabei helfen, den CDU-Generalsekretär in der Führung der Partei von der Nassestraße weitgehend unabhängig zu machen.
So wird die traditionelle Zentrale der CDU zu einer Art Organisationsbüro, dem künftig nur noch die Parteiverwaltung und die Vorbereitung von Wahlkämpfen obliegen sollen.
Der Hausherr in der Nassestraße, Bundesgeschäftsführer Dr. Konrad Kraske, unter dem Geschäftsführenden CDU-Vorsitzenden Josef Hermann Dufhues noch heimlicher Regent der Partei, hat vergebens versucht, der drohenden Isolierung durch den Absprung in eine standesgemäße Position zu entgehen: Weder berief ihn Verteidigungsminister Schröder zum Parlamentarischen Staatssekretär, noch erkor ihn Bundeskanzler Kiesinger zum neuen Bundespressechef.
Der CDU-Generalsekretär Heck begründet die räumliche und personelle Distanzierung von Kraskes Parteizentrale zunächst arbeitstechnisch. Im Godesberger Ministerbau verfügt er in der Tat über mehr Platz als im engen, dunklen Haus in der Nassestraße. Überdies kann er die Zeit besser zwischen seinen beiden Funktionen aufteilen und sich auch kurzfristig den Parteihut aufsetzen.
Entscheidend aber ist, daß dem Schwaben Heck das rechte Verständnis für die Organisationsprobleme und den Parteiapparat abgeht. Schon 1953 urteilte CDU-Chef Konrad Adenauer über seinen damaligen Bundesgeschäftsführer: »Der Herr Heck ist ein ausgezeichneter Analytiker, aber er versteht es nicht, Analysen in die Praxis umzusetzen.«
Auch heute will Heck seine Kraft nicht so sehr in Straffung und Ausbau der Parteiorganisation investieren: »Ich möchte alles vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, ich wollte in Kraskes Apparat hineinregieren.«
Hecks erstes Ziel ist es vielmehr, das nach der Erhard-Krise ins Wanken geratene Selbstverständnis der Union durch ein sogenanntes Aktionsprogramm zu festigen. Dieses Programm soll vor seiner Veröffentlichung in den unteren Parteigliederungen gründlich diskutiert werden. Heck: »Davon verspreche ich mir nicht nur eine Belebung, sondern auch eine Modernisierung der ganzen Parteiarbeit.«
Zuvor wird Bruno Heck freilich die Schaffensfreude der Parteiarbeiter in der Nassestraße wiederbeleben müssen. Denn seit der Abkehr des Generalsekretärs von der alten Parteizentrale haben die CDU-Chargen die letzte Sichtverbindung mit ihrer Führung verloren.
Für die Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Union war die Bundesgeschäftsstelle stets unbekanntes Territorium. Der erste Parteichef Konrad Adenauer erschien nur ein einziges Mal in der Nassestraße: zu einer Weihnachtsfeier im Jahre 1952. Sein Nachfolger Ludwig Erhard ließ sich überhaupt nicht dort sehen.
Auch Bundeskanzler Kiesinger hat seit seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden im vergangenen Mai den Weg in die Parteizentrale noch nicht gefunden.