»Sie haben grundlos gemordet«
Die Soldaten kamen in Begleitung von Ärzten. Sie umzingelten neun junge Männer auf einer Straße in Kurein, einem Vorort von Kuweit-Stadt, und zwangen sie, sich auf den Boden zu legen. Dann stießen sie ihnen Nadeln in den Hals und ließen das Blut in Flaschen sickern. Als die Opfer gestorben waren, öffneten die Ärzte drei der Körper und entnahmen ihnen Organe.
Mischaal Abdullah, 30, erzählte diese Horrorgeschichte Ende vergangener Woche Dr. Abd el-Behbeahni, einem Arzt am Mubarak-Krankenhaus in Kuweit-Stadt. Der Arzt hätte das wohl unter anderen Umständen ins Reich der Kriegslegenden verwiesen. Doch als das Mubarak-Krankenhaus vergangene Woche seine Leichenhalle für die Kameras der britischen Fernsehgesellschaft ITN öffnete, erwiesen sich die schrecklichsten Berichte kuweitischer Zivilisten über Greueltaten der irakischen Besatzer als schauderhafte Realität:
Die Ärzte hatten rund 50 verstümmelte und gefesselte Leichname aufgebahrt; verzweifelte Kuweiter gingen auf der Suche nach verschwundenen Familienangehörigen die Reihen ab. Die Toten waren Opfer irakischer Folterknechte - und womöglich nur ein Ausschnitt des Grauens, dem die Kuweiter während der siebenmonatigen Besatzungszeit ausgesetzt waren.
»Seit ich hier arbeite, habe ich allein 500 Tote gesehen«, berichtete Habra Ahmed, 29, eine somalische Literaturstudentin, die nach der Invasion vom 2. August freiwillig für den »Roten Halbmond« im Mubarak-Krankenhaus arbeitete. »Jeden Samstag und Sonntag brachten die Iraker sieben bis zehn tote Kuweiter«, bestätigte die Oberschwester Seham Mutwaa. Jede zehnte Leiche sei eine Frau gewesen, »alle zwischen 18 und 35«.
Wie die Wandalen wüteten die Truppen des irakischen Diktators in Kuweit. Sie mordeten und vergewaltigten, plünderten und brandschatzten, auch die Bibliothek des Seif-Palastes ging in Flammen auf.
Den Mörderbanden Saddams fielen mehrere tausend Kuweitis zum Opfer. 22 000 Zivilisten und 8632 Kriegsgefangene verschleppten die Iraker als Geiseln auf ihrer überstürzten Flucht, so der kuweitische Uno-Botschafter.
Dschamal Hassan, ein Major des kuweitischen Widerstands, führte Reporter in eines der zahlreichen Folterzentren, welche die Schergen des Diktators in Schulen, Wäschereien und Hotels eingerichtet hatten. Kuweiter, die des Widerstands verdächtigt waren, wurden von den Besatzern mit Elektroschocks gequält, zu Tode geprügelt, bei lebendigem Leibe verbrannt. Leichname mußten auf den Straßen liegenbleiben, bis sie zu verwesen begannen.
»Sie kamen an die Türen unserer Häuser und haben unsere Söhne mitgenommen, auch die Babys«, erzählte die Kuweiterin Mahdi el-Chalaf. »Sie haben uns das Essen gestohlen und grundlos gemordet.« Viele Exekutionen habe sie beobachtet, »es war schrecklich«.
»Die letzten drei Tage schlief ich auf meiner Kühltruhe, weil ich Angst hatte, daß die Iraker mir das letzte Stück Fleisch nehmen würden«, berichtete der Libanese Adel Bischara. »Wir haben vier Kinder, und es gab weder Milch noch Wasser. Sieben Monate Besatzungszeit waren wie sieben Jahre.«
Planmäßig zerstörten die Iraker fast die gesamte Infrastruktur Kuweits: Sie zerbombten eine Meerwasserentsalzungsanlage, legten die Stromversorgung lahm, setzten den größten Teil der kuweitischen Ölförderungsanlagen in Brand.
Unter dem vom Ölrauch geschwärzten Himmel bot sich den Befreiertruppen _(* In der Leichenhalle des ) _(Mubarak-Krankenhauses in Kuweit-Stadt. ) ein Bild wie aus einem Science-Fiction-Film. Unzählige Autowracks und ausgebrannte Panzer säumten den sechsspurigen Highway nach Kuweit-Stadt. Wie gigantische Spaghetti ragten zerstörte Pipelines über die Straßen - die Iraker hatten sogar versucht, den Asphalt der Straße in Brand zu setzen. In der Stadt hatten die Soldaten alles geplündert, was sich anbot: Sie rissen Fernseher, Möbel, selbst Klaviere aus Geschäften und Luxushotels, stahlen angeblich 250 000 Autos. Der Palast des Emirs wurde in die Luft gejagt, die meisten großen Hotels verwüstet.
Das Parlamentsgebäude beschossen die Soldaten mit Panzern; die Universität, das Nationalmuseum, Schulen und Hospitäler wurden systematisch geplündert. Ganze Lkw-Ladungen mit geraubten Waren versuchten die Truppen nach Bagdad zu schaffen. Viele Militärfahrzeuge glichen eher Möbelwagen als Kriegsgerät, soviel Diebesgut hatten sie geladen.
Einige Kuweiter waren nach dem Jubel über die Befreiung denn auch auf Rache aus.
Eine Krankenschwester bekannte Ende voriger Woche, sie habe ihre private Abrechnung an 20 irakischen Soldaten vollzogen, die verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden waren - die Schwester gab ihnen tödliche Spritzen.
* In der Leichenhalle des Mubarak-Krankenhauses in Kuweit-Stadt.