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Sie mögen gern, wenn es gut endet?

aus DER SPIEGEL 21/1947

Es war kein Durchkommen für René Clair. Die Pariser standen wie Betonmauern, als im Palais de Chaillot sein neuer Film »Le silence est dor« (Schweigen ist Gold) aufgeführt wurde

Man sperrte die Anfahrt und gebärdete sich begeistert. René Clair war gezwungen, sich durch einen Seiteneingang an den Ort seiner Premiere zu begeben.

Es ist möglich, daß er sich dabei einige Gedanken über den Wandel der Dinge gemacht hat. »Sous les toits de Paris« ("Unter den Dächern von Paris"), nach »Zwischenakt« und dem »Florentiner Hut« der Clair-Film, der die Welt entzückte, wurde seinerzeit in Paris kühl aufgenommen. Erst nach den ausländischen Erfolgen des Films rechnete Paris mit René Clair.

Damals war es noch nicht lange her, daß Clair, der Journalist, dann Schauspieler war (und eigentlich Rene Chomette heißt), den Weg zur Filmregie gefunden hatte. Nach dem Triumphzug seiner Filme, in deren leichter, zärtlicher Anmut man so viel von der Pariser Aura gefunden hat, die als Inbegriff des »avantgardistischen Films« galten, kam Clair über England nach Hollywood.

Auch in seinen amerikanischen Filmen blieb René Clair Franzose. Er blieb es so sehr, daß die Hollywood-Schauspieler wie Pariser wirkten

Nun ist René Clair wieder an die Seine gekommen. »Schweigen ist Gold« wurde in französischen Studios gedreht, mit französischen Schauspielern. Der Film spielt vor dem ersten Weltkrieg, in der Zeit der langen, schleppenden Röcke, der Rüschen und Puffärmel, der gezwirbelten Schnurrbärte, Spazierstöcke und Florentinerhüte.

Das Thema: Ein kleines Fräulein will zum Film, zum guten alten Stummfilm. Es wendet sich an den Schauspieler und Produzenten Emile. Und diesen Monsieur Emile stellt Maurice Chevalier dar. Chevalier ist damit zum erstenmal nach dem Kriege auf die Leinwand zurückgekehrt.

Man sieht ihn diesmal nicht mit flachem Strohhut und Chrysantheme, und er singt nicht, keine Note. Er zeigt sich ohne das Make up künstlicher Jugend.

Chevalier fängt wieder von vorn an, in Rollen, die seinem Alter entsprechen. Er spielt den Monsieur Emile mit erwähnenswerter Feinheit, und dieser Emile ist ein alter Routinier der Liebe. Er gibt seinem Assistenten - Francois Périer - ausgekochte Lehren über den Umgang mit Frauen, um seinen eigenen Ratschlägen plötzlich in einer tollen Verliebtheit zu widersprechen.

Der Assistent wird der Nebenbuhler des Monsieur Emile in der Liebe um das kleine Fräulein. Und er siegt mit Emiles Lehren. Der Film schließt mit einem Bekenntnis zum Happy-End. Die letzten Worte des Dialogs lauten: »Sie mögen gern, wenn dies gut endet?«

Die junge Filmdebutantin in der Filmgeschichte ist die zweite große Ueberraschung. Marcelle Derrien spielt sie, und sie ist wirklich eine Debutantin. Sie ist, Tochter eines Marineoffiziers, erst zwanzig Jahre alt und beendete gerade die Schauspielschule, als René Clair sie, eine zierliche, zarte Brünette, aus 200 Bewerberinnen auswählte

Auch dieser René Clair-Film ist imprägniert von der unnachahmlichen Eigenart seines genialen Schöpfers. Es blinkt, blitzt und sprüht von Einfällen, von bezaubernden und burlesken Situationen. Alles hat das flinke Tempo des Pariser Vaudevilles. Und René Clair liebt es auch hier, in einer Romantik unterzutauchen, die das Surreale streift.

Es ist ein sehr französischer Film geworden. Nichts ist daran amerikanisch, bis auf eine Kleinigkeit: die Hälfte des Geldes, das er kostete. Und er kostete ziemlich viel: 100 Millionen Franks.

Ein Tonfilm vom Stummfilm. - Maurice Chevalier (rechts) à la mode 1910

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