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»Sie müssen sehen, wie mächtig wir sind«

In der arabischen Ölfront zeigten sich erste Risse: Der Irak steigerte seine Ölproduktion und weigert sich ebenso wie Libyen, am Araber-Gipfel in Algier teilzunehmen. Doch Kissingers Drohung mit einem Gegenboykott löste neue Drohungen aus: Um 80 Prozent, so Saudi-Arabiens Ölminister, könnten sie die Ölproduktion drosseln.
aus DER SPIEGEL 48/1973

Der Minister aus dem Morgenland kam ohne vorherige Anmeldung. Plötzlich war er da, im Kopenhagener Hotel »Royal« -- und Europas Außenminister packte der Schüttelfrost.

Zwar war Ahmed Saki el-Jamani, 43, der ziegenbärtige Ölminister Saudi-Arabiens, einst Direktor der Öl-Fördergesellschaft Aramco, jetzt, als Favorit des Königs Feisal, Herr über die größten Ölvorräte der Welt und Vater des arabischen Öl-Boykotts. ausnahmsweise nicht in Sachen öl unterwegs: Er wollte lediglich mit seinem Sohn einen dänischen Doktor konsultieren.

Doch ganz mochte Jamani auch in Kopenhagen nicht darauf verzichten, das neue Selbstbewußtsein der Araber zu demonstrieren. Die Amerikaner, aber auch die Europäer, deren Außenminister in der dänischen Hauptstadt an einem Geheimplan zur Überwindung der ärgsten Ölsorgen gearbeitet hatten, ließ er wissen: »Sechs Jahre lang haben die arabischen Staaten ihr Gesicht verloren ... Jetzt müssen Sie erkennen, wie mächtig wir sind, und deshalb müssen Sie mit uns zusammenarbeiten.«

Zur selben Zeit, da Jamani sich auf eine Aufklärungstour durch Europa vorbereitete, drehte sich das diplomatische Öl-Karussell in rasender Fahrt; verzweifelt klammerten sich einige der Akteure an ihre Sitze, andere hingegen beschleunigten noch das Tempo.

Japan, zu 80 Prozent vom arabischen Öl abhängig und durch den Boykott von einer schweren Wirtschaftskrise bedroht (siehe Seite 112), suchte die Bremse: Seine Regierung, so warb Außenminister Ohira vor arabischen Botschaftern, habe Israel aufgefordert, alle seit 1967 besetzten Gebiete sofort zurückzugeben -- obwohl Amerikas Kissinger noch wenige Tage zuvor gedroht hatte, die USA müßten eine solche Haltung Japans als Störung ihrer Nahostpolitik ansehen.

»Wenn wir gedurft hätten«, erklärte Mitsubishi-Boß Shigeichi Koga dem SPIEGEL, »hätten wir den Arabern schon längst Waffen geliefert, um die jetzige Situation zu Vermeiden.« Persiens Schah, weniger an der Waffe Öl als an der Ware Öl interessiert, versuchte zu mäßigen: »Ich meine, der Nahe Osten ist auf dem Weg zum Frieden.« Allein schon, »um der Welt zu zeigen, daß die Araber dauerhaften Frieden suchen«, müsse der Boykott beendet werden.

Doch die arabischen Führer gaben sich entschlossen, unverändert »hart zu reagieren und jegliche Mittel zu nutzen« -- so der Emir von Katar in einem SPIEGEL-Interview (siehe Seite 108). Dabei zeigten sich in der arabischen Einheitsfront eine Woche vor dem arabischen Gipfel in Algier erstmals Risse:

Die Iraker, sonst -- zumindest verbat -- stets mit an der Spitze im Kampf gegen Israel und Imperialismus, unterliefen den gemeinsamen arabischen Boykottbeschluß und füllten zunächst einmal ihre eigene schmale Kriegskasse mit Devisen auf. Sie nutzten die Öl-Konjunktur und exportierten Tag für Tag 600 000 Barrels (knapp 86 000 Tonnen) -- mehr denn je.

Algeriens Staatschef Boumedienne tadelte die Brüder in Bagdad besonders hart -- doch offenbar nicht ohne Hintergedanken. Das Ausscheren des Irak aus der Einheitsfront könnte Boumedienne möglicherweise als Rechtfertigung dienen, sich ebenfalls nicht mehr an die gemeinsamen Beschlüsse gebunden zu fühlen. Denn auch Algerien benötigt dringend Devisen.

Sogar Libyen, der Staat des arabischen Erneuerers Gaddafi, hielt sich nicht an arabische Einheitsbeschlüsse. sondern praktiziert einen eigenen. gemäßigten Boykott. Unverändert groß ist die Zahl der Tanker. die vor der libyschen Küste auf Reede liegen, einzigartig der Kundendienst der libyschen Behörden: Unter genauer Angabe der Planquadrate teilen sie den Reedereien mit, wo die Gewässer vor Bengasi und Tobruk seit dem vierten Nahostkrieg von Minen verseucht sind.

In der Öffentlichkeit allerdings präsentiert sich Gaddafi stärker denn je als der alleinige Sachverwalter arabischen Erbes. Obwohl er im Augenblick der einzige Araber-Staatschef ist, der von einem großarabischen Reich träumt, läßt er doch keine Gelegenheit aus, seinen Rivalen Anwar el-Sadat, den moralischen Sieger des 19-Tage-Krieges, des Verrats und der Feigheit zu schmähen.

Gaddafi ist denn auch zu 90 Prozent entschlossen, dem Gipfel von Algier fernzubleiben: »Im Grunde ist das ein Kapitulations-Projekt Ägyptens und Syriens, dem wir nur zustimmen sollen. --

Doch der ägyptische Präsident. selbstbewußt wie nie zuvor, läßt sich von den Angriffen aus Tripolis nicht irritieren. Unverhüllt ließ er seinen Intimus Heikal erklären, einzig Ägypten gebühre die Führungsrolle in der arabischen Welt: unbeirrt steuert er die Friedenskonferenz an, auf der er zurückgewinnen will, was ihm auf dem Schlachtfeld versagt blieb.

Dem geschmeidigen Taktiker Sadat gelang es, die Syrer zur Teilnahme an dieser Konferenz zu bewegen -- obschon die ihm nach wie vor gram sind. weil sie vom Waffenstillstand auf der Sinai-Halbinsel erst aus dem Rundfunk erfuhren.

Sosehr der arabische Ölboykott gegen den Westen auch den Ägyptern hilft, sie möchten doch vermeiden, daß ihr neues Verhältnis zu Amerika und ihr Draht nach Europa irreparabel geschädigt wird.

So waren beispielsweise in den ägyptischen Zeitungen der vergangenen Wochen kaum kritische Kommentare über die Bundesrepublik zu finden; besonders israel-freundliche Äußerungen deutscher Politiker. des SPD-Vize und Israel-Besuchers Heinz Kühn ("Ich bin hier gewesen, um mich mit Ihrem Kampf zu identifizieren"), wurden von der Kairoer Presse verschwiegen.

Wohlwollend studierte Sadat ein persönliches Schreiben Willy Brandts, das ihm Bonns Entwicklungsminister Eppler vorigen Dienstag überreichte. Tenor des Briefes: »Wir hoffen sehr, daß sich unsere Beziehungen weiter verbessern.

Nach der Lektüre versicherte der Präsident dem Briefträger, »wie sehr ich die Deutschen -- -- -- mag« und wünschte einen Bonner Beitrag zum Frieden in Nahost. »Was erwarten Sie denn von mir?« wollte Eppler wissen. Darauf Sadat: »Daß Sie Druck auf Israel und die USA ausüben.« Eppler: »Das ist das gleiche, wie Polen aufzufordern. Druck auf die Sowjet-Union auszuüben:«

Eppler warnte die Ägypter auch, die Boykottpolitik sei »ein Spiel mit dem Feuer«. Die Araber ständen in der öffentlichen Meinung Europas so gut dar wie lange nicht. Wenn sie aber »die Ölschraube überdrehen, machen sie alles wieder kaputt«.

Das fürchteten offenbar auch einige der arabischen Ölminister. die in Wien an einer Tagung der Organisation erdölexportierender Staaten teilnahmen. Ausdrücklich belobigten sie die EG-Staaten -mit Ausnahme Hollands -- für ihre proarabische Erklärung vom 6. November. die Libyens Premier Dschallud in einem SPIEGEL-Gespräch noch als »Lippenbekenntnis« abgetan hatte (SPIEGEL 46/1973). Sie verzichten darauf, die Ölzufuhr im Dezember um weitere fünf Prozent zu drosseln. Auch im Januar soll die Schraube wahrscheinlich nicht weiter angezogen werden.

Die arabischen Ölminister mochten sich auch nicht dazu entschließen, eine schwarze Liste jener Länder aufzustellen, die überhaupt kein Öl bekommen sollen. Sie einigten sich lieber auf eine Positiv-Liste jener Staaten, denen mit Sicherheit überhaupt nichts geschehen wird: Bislang stehen auf der Liste -- die während des Algier-Gipfels veröffentlicht werden soll -- nur sechs Länder: Frankreich, England, Spanien, Türkei, Malaysia und Pakistan.

Als sich schließlich die Meldungen bestätigten, Saudi-Arabien und Amerika verhandelten intensiv über die Lieferung amerikanischer Phantom-Jäger an König Feisal, als der Monarch die Gipfel-Verweigerer Libyen und Irak tadelte, wähnten westliche Optimisten das Ende des Boykotts bereits nah.

Feisal, so argumentierten sie, werde sich sehr bald aus der vordersten Front der Boykott-Führer zurückzuziehen. Er habe sich nur zum Wortführer gemacht, um nicht als Verräter an der panarabischen Sache zu gelten.

Doch der Optimismus war verfrüht. Ausgerechnet Amerikas Friedensflieger Henry Kissinger drohte düster: »Wenn der Druck unbegrenzt und unvernünftig (lange) andauert, werden die Vereinigten Staaten zu prüfen haben, welche Gegenmaßnahmen sie ergreifen« Die Antwort erhielt er aus Kopenhagen -- von Saudi-Ölminister Jamani. »Wenn ich Amerikaner, Europäer oder Japaner wäre«, drohte der Feisal-Vertraute zurück, »würde ich sehr sorgsam darüber nachdenken, was die Araber in den Händen halten. Unsere Ölwaffe ist noch viel stärker, als sie glauben, bislang haben wir im Grunde noch gar nichts gemacht. Wir könnten die Produktion um 80 Prozent drosseln -- und könnten sie das überleben?«

Jamani wußte sogar eine Antwort auf die möglicherweise massivste Drohung: Wenn sich der Westen das Öl mit Waffengewalt holen wolle, dann würden die Araber ihre Ölfelder in die Luft sprengen.

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