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»Sie zahlen für Herrn von Karajan . . .«

Als Chef in der Berliner Philharmonie und Herrscher über drei Salzburger Festspiele, als Multi-Millionär im Plattengeschäft und Dirigent über ein weitläufiges Imperium gibt Herbert von Karajan in der internationalen Klassikszene den Ton an. Doch im Finale seiner Laufbahn gerät der Maestro, der am Dienstag kommender Woche 80 wird, ins Zwielicht: Ein Dokument verrät seltsame Machenschaften im Dunstkreis der Kultfigur. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Mühsam, von Helfern gestützt, schleppt er sich ans Pult. Der Blick auf sein Publikum, das in mitleidiger Ehrfurcht zu ihm aufschaut, ist kurz, das Lächeln für den Beifall gequält. Ungelenk läßt sich der alte Mann auf einer diskret angebrachten Sitzhilfe nieder. Dann wird es still, und die Wandlung beginnt.

Unter den ersten Klängen aus dem ewigen Born der abendländischen Musik verklärt sich dieser Greis zum philharmonischen Hohepriester. Der Taktstock in seinen magisch genannten Händen wird zum Zauberstab über die Massen, aus seinen Zuhörern seine Gemeinde, aus Zuhören Andacht - Herbert von Karajan, 79, feiert sein Hochamt.

Es ist - in Berlin und Osaka, in Salzburg und Pasadena, bei Tausenden von Konzerten und auf Millionen von Bildschirmen - ein Ritual von beispielloser Suggestionskraft. Kein Dirigent hat jemals mit klassischer Musik so viele Menschen erreicht und betört, keiner die Arbeit eines Kapellmeisters so genial als Akt himmlischer Eingebung vorgeführt.

Vom Publikum angebetet, von der Großindustrie des Wohlklangs umbuhlt, von Bankherren und Staatsmännern hofiert, vom Papst in Privataudienz empfangen, ist dieser kleinwüchsige Österreicher aus den Niederungen der Interpretenzunft über alle Soltis und Bernsteins hinweg in das Elysium der schönen Künste aufgefahren. Da thront er - keine anderen Götter neben und ein Heer von Gläubigen unter sich.

Doch dieser Aufstieg zum musikalischen Jahrhundert-Phänomen ist nicht nur der Erfolg eines unbestritten befähigten Dirigenten, nicht nur die Folge eines in Klangräuschen trunkenen Publikums. Es ist weit mehr noch das Werk eines ausgefuchsten Geschäftsmannes, der seinen Ruhm glänzend versilbert und aus der Trance seiner Anhängerschaft Kapital für ein ganzes Imperium geschlagen hat, nach Einfluß und Umsatz vergleichslos in der Branche und lange Zeit genauso undurchschaubar wie der Mann, der es beherrscht: Karajan.

Mit magischen Händen hat dieser Diener der Musik Manager und Politiker, Orchester, Opernhäuser, Festspiele und Plattenfirmen zu einem feinen Netz verknüpft, das ihm globale Verbindungen schafft und in dessen Zentrum er die Fäden spinnt.

Geschäftig und geschäftstüchtig, herrschsüchtig und eigennützig sind sie schon immer gewesen, die Herren im Frack mit dem wedelnden Stock. Aber was Virtuosität und Chuzpe in der Vermarktung von Musik und Aura angeht, hat der Klang-Magier Karajan nur einen, der ihm das Wasser reichen kann - den Finanz-Magier Karajan.

Dabei macht dessen Salzburger Kommandozentrale gar nicht mal viel her. In einem spartanischen Arbeitszimmer im Großen Festspielhaus managt er seine privaten Salzburger Osterfestspiele, mit denen er sich 1967, nach dem Vorbild von Wagners Grünem Hügel, eine eigene Spielwiese geschaffen und wo er am vergangenen Samstag mit Puccinis Oper »Tosca« die 22. Saison eröffnet hat.

Von hier aus plant er - am selben Ort und mit ähnlich erlesener Klientel - seine Pfingstkonzerte, und von hier aus

stellt er sein künstlerisches Wirken in den Dienst der Salzburger Sommerfestspiele, wo er, jedenfalls nach dem Gesetz, nur eines von fünf gleichberechtigten Direktoriumsmitgliedern ist.

Doch Ende Juli, wenn mit Ausbruch der Festspiele Karajans Geburtsstadt Salzburg als musiktouristischer Rummelplatz durchdreht, kommt seine Allmacht zum Vorschein: Dann hängen in den Schaufenstern, zwischen Würsten, Miedern und Ledertaschen, die lächelnden Konterfeis der beliebtesten Interpreten und Karajan, Karajan über allen.

Was man nicht sieht: das Spiel der Mächtigen, die diskreten Kontakte hinter den Kulissen, den »mafiosen Zustand«, den der Brüsseler Opernchef Gerard Mortier in einem SPIEGEL-Gespräch (52/1987) angeprangert hat.

Sommer in Salzburg: Dann macht gleich gegenüber dem Großen Festspielhaus die Deutsche Grammophon (DG) ihren »Künstlertreff« auf, ein stilles Örtchen, wo Manager und Musiker Hand in Hand beim Plausch sitzen und der Maestro - unsichtbar - allgegenwärtig ist.

Denn rund ein Drittel ihres Klassikumsatzes macht die DG nach vorsichtigen Schätzungen allein mit Karajan-Platten, 330 Langspielplatten hat der Maestro seit 1938 bei den Gelben eingespielt. 115 500 000 Tonträger - für die gigantische Zahl verbürgt sich ein Insider - konnte Karajan bis heute bei der DG absetzen. Ein Jurist der Branche schätzt Karajans jährliche Plattentantieme nur aus DG-Verträgen schon auf rund zehn Millionen Mark.

Dann tritt aus Monte Carlo der Dr. Uli Märkle in Erscheinung, der bis 1983 bei Deutsche Grammophon Production als Chef von Artist Promotion gewirkt hat und dann mit all seinen guten Beziehungen von dem Maestro zum Managing Director der Karajan-Firma Telemondial bestellt wurde, die in der Steueroase Monaco ihre Geschäfte betreibt.

Seitdem sitzt, dient und dienert Märkle zur Rechten seines Herrn - ein Mann für die feinen Schliche, der während der Festspiele zwischen Cocktail-Partys, Kaffeehäusern und Staatsempfängen wieselt und den sein Chef wie nur wenige ins Herz geschlossen hat: »Wenn man auf ihn nicht böse ist«, sagt Karajan, »dann geht es mir nicht gut.«

Dann fliegt aus Paris der Plattenproduzent Michel Glotz in Salzburg ein, dem Karajan an Mischpult und Schneidetisch wie einem Zwillingsbruder Gehör schenkt ("Er und ich haben dieselben Ohren") und den er, auf Kosten der DG, zu seinem unentbehrlichen »recording supervisor« ausersehen hat.

Doch Glotz ist dem Maestro nicht nur über den Gleichklang im Trommelfell verbunden. Als Inhaber der Pariser Agentur »musicaglotz« hat der französische Makler jede Menge Künstler unter Vertrag, die Karajan mit Vorliebe verpflichtet: den Klavier-Technokraten Alexis Weissenberg beispielsweise, die Geigerin Anne-Sophie Mutter, die Primadonnen Mirella Freni und Anna Tomowa-Sintow - alles Artisten, die in Salzburg regelmäßig auftreten und deren Karrieren im Dreiklang Karajan-Glotz-DG prächtig gediehen sind.

Dann, wenn Salzburg zum heißesten Umschlagplatz der Szene wird, reisen aus Berlin, wie vorher zu Ostern und Pfingsten, auch wieder jene 120 Musiker an, denen Karajan seit 1955 als lebenslanger Chefdirigent vorsteht und die ihn nun auf Gedeih und Verderb ertragen müssen.

Über 300 Langspielplatten - den Löwenanteil für die DG - haben die Berliner Philharmoniker mit ihm eingespielt und vermarktet, und vor den Kameras der Telemondial, der sie von Anfang an zu Diensten waren, machen sie, streichend und blasend, willfährig Männchen nach dem Geschmack des Maestro.

Dann endlich steigt, damit sich Karajans Freundeskreis zum Gesamtkunstwerk rundet, im Luxushotel Schloß _(Beim päpstlichen Segen durch Johannes ) _(Paul II. im Juni 1985. )

Fuschl, knapp eine halbe Autostunde von der Drehscheibe Festspielhaus entfernt, auch der seriöse, photoscheue und Interview-feindliche Stammgast aus New York mit seinem Gefolge ab: Auftritt Ronald Andrew Wilford.

Wilford, 60, ist der Mogul des klassischen Musik-Managements. Als fünfter Präsident von Columbia Artists Management Inc. (Cami) mit diskreter Schaltzentrale schräg gegenüber der Carnegie Hall in Manhattan leitet Wilford die mächtigste E-Musik-Agentur der Welt, General Motors der Branche.

Camis Katalog, mit über 600 Solisten und Ensembles ein stattlicher Leporello des Interpretengewerbes, hat sich als wahre Fundgrube erwiesen, wann immer Karajan nach den richtigen Künstlern sucht. Weil Wilford und Karajan bestens harmonieren, gibt es da keine Probleme. Karajan fühlt sich bei seinem Agenten in besten Händen, und Wilford singt dazu das Loblied: »Andere dirigieren, wenn sie auf dem Podium stehen. Karajan vollführt Kunst.«

So sind sie denn, im Zeichen Mozarts, schließlich alle vereint, die Makler und Manager, die Plattenmacher, Filmhändler und virtuosen Verkäufer geläufiger Gurgeln und gelenkiger Finger, und unter des Maestro Leitung setzt nun die Symphonie fantastique aus Kunst und Kommerz ein, der flotte Wechsel von Noten in Banknoten.

Auf diesem trefflich bestückten Großmarkt macht derzeit - außer Karajan selbst - keiner höhere Salzburg-Umsätze als Wilfords Darling James Levine, 44, der bullige Stabführer aus der Neuen Welt. Seit Wilford ihn päppelt, hat auch Karajan einen Narren an ihm gefressen und Jimmy, den künstlerischen Leiter der New Yorker Met, in Salzburg zum King gekrönt: Letzten Sommer dirigierte Levine ein Drittel der 36 Festspiel-Opern, 50 »Zauberflöten« hat er schon hinter sich, ein Sunnyboy wie Papageno: »Ich komme immer gern hierher, denn die Salzburger Festspiele zahlen ganz phantastisch.«

Wer, wie Levine, Karajans Segen und mit Wilford einen Vertrag hat, dem ist auch die Deutsche Grammophon besonders weitherzig zugetan: In New York nimmt er für die Gelb-Etikettler Wagners vielstündigen »Ring des Nibelungen« und Mozarts »Hochzeit des Figaro« auf, in Wien sämtliche (über 40) Mozart-Symphonien und »Cosi fan tutte«, in Berlin Symphonisches en gros. Der Streß hindert den Vielbeschäftigten nicht daran, die Besetzungsliste im Festspielhaus genau wie sein Förderer Karajan nach Salzburger Brauch aufzufüllen: Für die Mozart-Opern »Figaros Hochzeit«, die er dirigiert, und »Don Giovanni«, die Karajan leitet (und mit praktisch denselben Künstlern für die DG eingespielt hat), liefert Cami nahezu die Hälfte der Hauptdarsteller. Soweit Wilford die passenden Stimmen nicht parat hatte, konnte, herrlicher Zufall, weitgehend Michel Glotz aushelfen.

Andererseits: Der Mozart-Revoluzzer Nikolaus Harnoncourt, den weder Wilford noch Glotz unter Vertrag haben, ist bis heute nicht ins Festspielhaus geladen worden. Kurioser noch: Als Anfang dieses Jahres bekannt wurde, die Salzburger Landesregierung wolle den Verfemten zum alternativen »Fest zur Festspieleröffnung« wenigstens auf dem Domplatz ans Pult lassen, war man in Karajans Entourage konsterniert: Seine Majestät müsse ein solches Engagement als Affront empfinden.

Affronts aber müssen um jeden Preis vermieden werden. Deshalb wagt im Festspieldirektorium keiner ein Widerwort gegen die diktatorischen Soli des angeblich Gleichberechtigten, deshalb legt sich auch kein österreichischer Politiker mit dem Maestro an: Sie lassen ihn schalten und walten.

Niemand guckt mehr richtig durch, sagt einer aus der Beletage des Festspielhauses, wieviel er bei seinen Osterfestspielen letztlich von der öffentlichen Hand profitiert, seit die angeblich privaten Oster- und die _(Mit der Mezzosopranistin Agnes Baltsa. )

aus Steuermitteln unterstützten Sommerfestspiele durch einen »Kooperationsvertrag« liiert sind wie Tristan und Isolde. Niemand auch wagt dem Maestro reinzureden, wenn er selbstherrlich die Spielpläne des Sommerfestivals und auf diese Weise auch das diffizil kalkulierte Festspielbudget über den Haufen wirft.

Für diesen Sommer beispielsweise war eine Neuinszenierung von Modest Mussorgskis Volksdrama »Boris Godunow« und damit nach 19 Jahren das Comeback von Claudio Abbado als Opern-Dirigent in Salzburg vorgesehen. Karajan kann Abbado zwar nicht riechen, vermochte den Musik-Chef der Wiener Staatsoper aber wohl kaum länger von der Salzburger Festspielbühne fernzuhalten.

Nun gab es Schwierigkeiten mit dem »Boris«-Regisseur. Karajan sandte einen Mann seiner Wahl zu Abbado nach Wien. Aber Abbado war so kühn, den Bewerber abzulehnen und sich lieber den Bayreuther »Ring«-Revolutionär Patrice Chereau auszugucken. Chereau sagte zu und sagte ab. »Boris Godunow« kam zu den Akten und, als Ersatz, Verdis »Maskenball« in die Planung, dirigiert, so wie es aussah, ebenfalls von Abbado.

Da traf es sich gut, daß zwei Topstars des Belcanto, die Sopranistin Jessye Norman und der Tenor Placido Domingo, Interesse signalisierten, in Salzburg wieder mal Oper zu singen: Das Trio Abbado-Norman-Domingo, schwärmten die Festspielplaner, ergebe eine Traumbesetzung.

Nur das künstlerische Oberhaupt Karajan konnte an diesem Dreiklang offenbar keinen rechten Gefallen finden. Jedenfalls meldete sich der Maestro am Silvestermorgen 1987 aus dem Berliner Hotel Kempinski telephonisch im Festspielhaus: Man möge gefälligst zur Kenntnis nehmen, daß jetzt er den »Maskenball« zu dirigieren gedenke, und den Einwand, er habe sich doch bitte schön für Igor Strawinskis »Oedipus Rex« entschieden, grantelte er ungehalten vom Tisch: Den solle dann eben ein anderer machen.

Kaum war Abbado weg vom Fenster, da kippte Karajan die »Frau ohne Schatten«. Die Besetzungsliste für den Dreiakter von Richard Strauss stand schon, nur mit der ungarischen Sopranistin Eva Marton - einer Diva, die nicht zu den Stars von Wilford und Glotz gehört - war der Maestro nicht einverstanden.

Fast ein Jahr lang wurden Emissäre ausgesandt, um einen dem Meister genehmen Ersatz für die Rolle der Färberin zu finden. Nichts. Dann insistierte der langsam ungeduldige Sir Georg Solti, der das Stück dirigieren sollte, vielleicht fände Frau Marton mittlerweile doch Gnade. Aber bitte, gab sich Karajan plötzlich großzügig, dann möge man mit ihr reden. Wie zu erwarten - zu spät: Eva Marton, inzwischen ausgebucht, mußte verzichten, Sir Georg, auch kein Künstler von Wilford und Glotz, war fürs erste überflüssig.

So despotisch, wie sich Karajan in Österreich aufführt, als wäre es ein Operettenstaat, gibt er auch in der Berliner Philharmonie den Ton an. Hier, wo er die größten Triumphe seiner beispiellosen Karriere gefeiert und das dickste Inkasso seiner multimedialen Aktivitäten eingesteckt hat, wo er 1984, beim Krach über die Einstellung der von ihm hoch geschätzten Klarinettistin Sabine Meyer und über die Kündigung des von ihm hochgehaltenen Intendanten Peter Girth, als beleidigte Leberwurst um sich geschlagen hatte - gerade hier stellt er sich auf seine alten Tage als philharmonische Siegessäule hin und aus, an der kein Politiker auch nur zu rütteln wagt.

Seit die Narben der großen Scheidungsaffäre leidlich verheilt sind und der greise Maestro im Finale seiner Laufbahn steht, sehen die Kulturbürokraten des Senats in ihm, noch mehr als früher, das unantastbare Statussymbol für den musikalischen Weltrang der geteilten Stadt. Und da ihm kein Politiker auf die Finger guckt, hat er das Berliner Philharmonische Orchester, das im laufenden Rechnungsjahr mit 19 182 000 Steuer-Mark subventioniert wird, längst zu seinem privaten Klangkörper gemacht, den er nach Lust und vor allem nach Laune gängelt und piesackt.

Die Reisen des Orchesters beispielsweise, die der Senat doch nach kulturpolitischen Repräsentationspflichten planen müßte, verlaufen auf weite Strecken nach den Vorlieben und Privatinteressen Karajans. Er gebietet urbi et orbi.

In der Bundesrepublik, deren Steuerzahler indirekt mit einem dicken Brocken zu den Subventionsmillionen des Orchesters beitragen, macht sich der Chefdirigent rar. In Japan dagegen, wo die Gagen für den Maestro doppelt so hoch liegen dürften und wo auch Freund Wilford als Tourneeveranstalter mit abkassiert, dirigiert er regelmäßig, im Schnitt fast alle zwei Jahre.

Nach Italien, mit dessen Mailänder Scala er sich 1977 überworfen hat, setzt er keinen Fuß mehr. Die südamerikanischen Länder und ganz Australien, wo die Mäzene wohl nicht so spendabel und die Klassik-Freaks nicht so närrisch auf Karajan-Platten sind wie in Japan, hat er mit dem Orchester nie beehrt.

Als der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 1984 auf Staatsvisite nach Israel flog, wünschte er sich die

Philharmoniker ausdrücklich als repräsentative Begleiter. Da das frühere NSDAP-Mitglied Karajan, im Heiligen Land unerwünscht, als Tournee-Dirigent ausschied, suchten ein paar Orchestermitglieder hinter seinem Rücken Kontakt zu möglichen Ersatzleuten. Kein Problem: Schließlich kann nicht nur Karajan die Philharmoniker dirigieren. Die Sache schien geritzt. Vonwegen. Als die Reise-Präludien ruchbar wurden, tanzten die Puppen. Der Klangkörper des Landes Berlin mußte zu Hause bleiben, Diepgen fuhr ohne Begleitmusik.

In dieser gereizten Stimmung reagieren die Philharmoniker besonders sensibel auf Versuche des Chefs, ihnen ohne Rücksicht auf das Renommee des Orchesters und auf die Kompetenz des Philharmoniker-Intendanten Hans Georg Schäfer einfach einen seiner Lieblingsschüler als Vorturner zuzumuten.

Schon einmal, an einem Sonntagmorgen im Herbst 1986, hatte sich Karajan aus heiterem Himmel mit einem Virus infiziert, krankgemeldet und den überrumpelten Philharmonikern für eine Matinee in Berlin den namenlosen Japaner Kazufumi Yamashita als Ersatzmann aufgezwungen. Als der Nobody am nächsten Tag auch noch in der Bundeshauptstadt Bonn das Karajan-Pult besteigen sollte, holten sich Orchester und Intendant auf eigene Faust flugs den Dirigenten Lorin Maazel. Karajan schäumte und schwor, wie so mancher Philharmoniker vermutet, bittere Rache.

Als das Orchester im vergangenen November zu einer seiner selten gewordenen Deutschland-Tourneen unter Karajan aufbrach, schien die Stunde gekommen. In Frankfurts Alter Oper trat ein Hiobsbote vors Publikum und eröffnete ihm, der Meister leide an einer Fleischvergiftung, werde aber das Programm dennoch durchziehen - ein Opfer, das die »FAZ« im Stil von Leni Riefenstahl als »Triumph des Willens« feierte. Am nächsten Abend, in der Stuttgarter Liederhalle, stand der von toxischer Unbill Heimgesuchte endgültig nicht zur Verfügung, das Konzert fiel aus.

Ein paar Eingeweihte erlebten die hochdramatischen Szenen pikanterweise etwas anschaulicher. Am frühen Nachmittag des 6. November, nur wenige Stunden vor dem Frankfurter Konzerttermin, saß Herbert von Karajan in seiner Hotel-Suite zu Bett. Wer ihn sah, fand ihn nicht schlechter Dinge. Teller mit Speiseresten und eine Champagnerflasche zeugten davon, daß hier irgendwer genüßlich getafelt haben mußte.

So gegen drei Uhr empfing der Dirigent einige für die Tournee verantwortliche Herren und eröffnete ihnen sein Unwohlsein als Folge einer verdorbenen, am Vortag in Köln verzehrten Speise. Die Herren quittierten die Nachricht von den Beschwerden mit schicklichem Bedauern und entfernten sich etwas konsterniert vom Krankenbett.

Komisch: Während das Orchester mit dem Sonderzug von Köln nach Frankfurt gefahren war, hatte Karajan immerhin noch sein Privatflugzeug nach Rhein/Main gesteuert, angeblich sogar eigenhändig. War der Magen-Darm-Trakt des Maestro wirklich so rasch verdorben worden? Hatte der Chef mal wieder einen seiner Spezis in petto? Oder wollte er seinen Untertanen einfach klarmachen, wie dumm sie ohne ihn dastünden?

Was Karajan nicht ahnte: Den Fall - der Meister verhindert - hatten die Tourneeplaner schon vor der Reise durchgespielt. Die Vergiftung kam also nicht unerwartet, mit namhaften Dirigenten waren vorsorglich Einsatzpläne abgesprochen. Die Reserveliste stand.

Für den 6. November, den Ernstfall, konnte der Inder Zubin Mehta gewonnen werden, ein bei den Philharmonikern seit langem gern gesehener Gast. Mehta war gerade mit dem Israel Philharmonic Orchestra auf Europa-Tournee, hielt sich in München auf und hatte abends spielfrei. Die Tournee-Manager arrangierten eine rasche Flugverbindung, die Philharmoniker, gerade auf dem Weg zum Vespermahl, wurden zu einer Einspielprobe unter Mehta zusammengetrommelt. Nun klopften die Veranstalter erleichtert am Krankenzimmer an: Das Konzert sei gesichert, gottlob stehe Mehta zur Verfügung, der Patient könne in Ruhe genesen.

In diesem Augenblick wiederholte sich noch einmal das vielzitierte Wunder Karajan: In Null Komma nichts kehrten die Kräfte derart geballt in des Maestro Körper zurück, daß der Dirigent nicht nur seiner Empörung über die Rettungsaktion hinter seinem Rücken Luft machte, sondern sich sogleich für den Abend auch wieder aufs Programm setzte - kein Wort mehr, er dirigiere.

Böse Folgen zeitigte die Vergiftung dann erst anderntags in Stuttgart. Da war der Meister zumindest laut Attest schlecht dran, aber da war, wie das Leben so spielt, auch der Ersatzmann _(Als »Färberin« in der New Yorker Met ) _(1984. )

Mehta verhindert. Der dirigierte nämlich in München, was Karajan kaum entgangen sein dürfte.

Vergiftet war die Atmosphäre in der Berliner Philharmonie allerdings schon länger. Karajan hatte, im April 1987, darauf bestanden, daß der bulgarische Jung-Dirigent Emil Tschakarow, 1971 Preisträger bei Karajans Dirigentenwettbewerb und schon 1979 einmal Gast der Philharmoniker, das Orchester gleich zweimal im Januar dieses Jahres und zweimal bei den Osterfestspielen in diesen Wochen dirigieren müßte. Immerhin war Tschakarow mittlerweile in der von Wilford-Zögling Levine kommandierten Met in New York aufgetreten und überdies exklusives Liebkind beim Pariser Agenten Michel Glotz geworden.

Die Musiker, die sich mit Recht nicht als Trainingsmannschaft für Emporkömmler der Firma Karajan & Co. verstehen, meuterten und beauftragten ihren Intendanten Schäfer zu einem Protest: Soviel Tschakarow gehe wohl doch zu weit. Aber Karajan hat, wenn man ihm dumm kommt, seine Tricks. Sollte Schäfer sich nicht fügen und Tschakarow nicht akzeptieren, so jedenfalls mußte der Intendant die Standpauke des Maestro verstehen, denn werde er, Karajan, ihm die beim Orchester ach so beliebten Herren Lorin Maazel und Daniel Barenboim einfach sperren - Dirigenten, auf die Karajan das Messer gewetzt hat. Außerdem müsse er sich bei weiterer Subordination seine Teilnahme am Eröffnungskonzert zur 750-Jahr-Feier von Berlin noch einmal überlegen.

Das klang zwar spektakulär, war aber leere Drohung: Gäste wie Maazel und Barenboim, die der Intendant verpflichtet, kann Karajan weder sperren noch ausladen; und den Festakt zum 750-Jahr-Jubiläum hätte der Maestro kaum ausgelassen: Immerhin brachte die ZDF-Aufzeichnung unter Mitwirkung der Telemondial schönes Geld. Gleichwohl gab Schäfer nach. Alle Tschakarow-Termine wurden in den offiziellen Programmen ausgedruckt.

Dann geschah Merkwürdiges. Kurz vor seinen Berliner Januar-Auftritten meldete sich Tschakarow krank, und schon Anfang März ließ er verlauten, auch in Salzburg aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Verfügung zu stehen. Viele Philharmoniker werteten diese Wende als Zeichen, daß der Tschakarow-Förderer Karajan in altersweiser Einsicht einen Zankapfel diskret aus dem Verkehr gezogen habe. Doch wahrscheinlicher klingt eine andere Version: Daß der Chef leisetreten und sich Sticheleien gegen den Klangkörper verkneifen müsse.

Seit einiger Zeit wird in der Philharmonie nämlich über ein Dokument getuschelt, ein ominöses Fernschreiben mit 58 Zeilen in englischer Sprache, am 7. Oktober 1987 abgesandt und in Taiwan empfangen. Das heikle Papier ist noch immer das heißeste Gesprächsthema hinter den verschlossenen Türen von Karajans Berliner Walhall.

Als die Orchestervorstände Klaus Häussler und Alexander Wedow davon erfuhren, »standen wir zum erstenmal in unserer Amtszeit mit den Füßen auf dem Tisch«. Dem Intendanten Schäfer hat es bei der Lektüre des Telex »regelrecht den Atem verschlagen. Das war nicht zu glauben«. Der Berliner Kultursenator Volker Hassemer, als oberster Dienstherr der Philharmoniker von aufgebrachten Orchestermitgliedern alarmiert, verlangte, wie bei starken Politikern üblich, eine rückhaltlose Aufklärung der Vorgänge und verhängte, genauso üblich, ein absolutes Redeverbot.

Die Diskretion ist verständlich. Denn in dem Fernschreiben wird zum erstenmal eindeutig dokumentiert, daß es im Dunstkreis Herbert von Karajans nicht mit rechten Dingen zugeht und daß im Geflecht des Karajan-Imperiums private Geldinteressen und die Obliegenheiten der öffentlichen Institution Berliner Philharmonisches Orchester auf anrüchige Weise verknüpft werden.

Dabei geriet das Stück Filz nur durch Zufall aus dem kleinen Kreis der Beteiligten nach Berlin. Ende April, also in vier Wochen, wollten Karajan und die Philharmoniker, lange geplant, zu einer Tournee in die Sowjet-Union und nach Japan starten. Doch die Gastspiele in der UdSSR wurden auf Druck des Auswärtigen Amtes in Bonn verschoben: Der Besuch des Renommierorchesters aus West-Berlin soll aus politischen Gründen einem neuen Kulturabkommen mit dem Kreml vorbehalten bleiben.

Da die beiden Japan-Termine - zwei Konzerte in Tokio - feststanden, war plötzlich ein Freiraum im Fahrplan - für den langjährigen Philharmoniker-Geiger Hellmut Stern die Chance, ein anderes

Ziel ins Gespräch zu bringen. Stern, der während der Hitler-Zeit im chinesischen Exil gelebt hat und dort immer wieder auch privat zu Gast ist, war in Taiwan auf großes Interesse an einem Besuch der Philharmoniker und ihres legendären Maestro gestoßen. Als Spielstätte boten die Taiwanesen ihr neues Kulturzentrum an, auch finanziell glaubten sie, dem hohen Besuch gerecht werden zu können.

Stern diskutierte die Möglichkeit daheim mit Kollegen. Dann wurden die Vorstände und der Intendant informiert. Schließlich sprach man bei Karajans Famulus Märkle vor. Der sagte zu, das Vorhaben an höchstem Ort zu ventilieren, bestand aber auch darauf, nun in jedem Fall Peter Gelb einzuschalten.

Gelb ist Vice President in Wilfords allmächtiger Cami. Er leitet dort in der Unterabteilung Cami Video vor allem TV-Aktivitäten, macht sich aber auch sonst bezahlt. Er hat den Klavier-Methusalem Vladimir Horowitz kommerziell wiederbelebt und damit sich und der Deutschen Grammophon einen Goldesel beschert. Und: Als Karajan 1986 bei der USA- und Japan-Reise der Berliner Philharmoniker wegen Krankheit ausfiel, hatte Gelb rasch Ersatz zur Hand: Seiji Ozawa, der Chef des Boston Symphony Orchestra, und, wie anders, James Levine, beide Wilford-Stars und von Karajan akzeptiert, teilten sich die Tournee.

Anfang Oktober 1987 traf sich dieser clevere Gelb im Berliner Kempinski mit Märkle zu einer ersten Taiwan-Besprechung. Anschließend wurde Intendant Schäfer hinzugezogen, der Gelb zu offiziellen Kontakten mit Taiwan autorisierte. Karajan hatte darauf bestanden, die Fernost-Reise nur unter Wilfords Ägide zu unternehmen. Dem war nun Genüge getan, und alles schien glattzulaufen.

Doch Mitte Oktober erhielt Stern völlig unerwartet von seinen chinesischen Freunden die lakonische Nachricht, daß man die Bedingungen, die an das Gastspiel geknüpft worden seien, leider so nicht akzeptieren könne: schade, vielleicht später mal. Stern, stutzig geworden, bat um nähere Auskunft und fand wenig später in seiner Privatpost eine Kopie jenes Fernschreibens, das Wilfords Gelb am 7. Oktober nach Taiwan getickert und in dem er befremdliche Bedingungen gestellt hatte. Stern las:

»Sie zahlen für von Karajan und das Orchester ein Gesamthonorar von DM 600 000 für zwei Konzerte. Darüber hinaus haben Sie die Taiwan-Übertragungsrechte für zehn vorher produzierte Televisionsprogramme von von Karajan und dem Berliner Philharmonischen Orchester oder den Wiener Philharmonikern zum Preis von 35 000 Dollar per Programm, insgesamt also 350 000 Dollar für alle zehn Programme zu übernehmen. Sie haben diese Programme vor Antritt der Tournee zu erwerben« und »uns außerdem einen bedingungslosen Kreditbrief für alle obengenannten Zahlungen . . . zu übergeben«, Antwort innerhalb von fünf Tagen, »best regards, Peter Gelb«.

Das war nicht zu fassen. Selbst Kenner des Gewerbes und seiner Bräuche mußten zweimal lesen, bis sie dahinterkamen, wie dreist hier mit Deutschlands Toporchester umgesprungen worden war - Filzharmonie zum Schaden der Philharmoniker.

Schon die 600 000 Mark für Orchester und Karajan waren das Resultat einer undurchsichtigen Hochrechnung. Geht man, lebensnah, davon aus, daß Karajan für die beiden Taiwan-Konzerte eine Abendgage von je 100 000 Mark kassiert hätte, macht das 200 000 Mark. Da das Orchester offiziell eine Dienstreise unternimmt, für die es kein Honorar erhält, da außerdem Flug- und Hotelkosten sowie der Aufwand für den Instrumenten-Transport gesondert in Rechnung gestellt worden waren, mußte Taiwan nur noch die Tagesspesen für die Musiker und die Versicherungsprämien für die Instrumente aufbringen. Macht noch einmal, gut kalkuliert, 100 000 Mark. Bleibt eine Dunkelziffer von 300 000 Mark, für die in Berlin kein berechtigter Empfänger ausgemacht werden konnte.

Noch anstößiger erschien den philharmonischen Rechnungsprüfern der Kuhhandel mit den Karajan-Filmen: Erstmals konnte der Senator mit ansehen, wie sein landeseigener Klangkörper, dieses kostspielige Aushängeschild der Stadt durch einen New Yorker Agenten, auf dessen Mitwirkung Karajan kategorisch bestanden hatte, mit dem Profitstreben von Privatfirmen verkungelt und so in den Augen der Musikwelt als ein Luxusensemble mit Wucherpreisen feilgeboten wurde - eine Herausforderung für die Stadt, die plötzlich als Halsabschneider dastand, eine Brüskierung auch des ahnungslosen Orchesters, das sogar für Geschäfte der Wiener Philharmoniker herhalten mußte.

Da war es fast schon eine Petitesse hinter dem Komma, daß Cami-Gelb den Taiwanesen auch noch »die Hälfte der Flugkosten 1. Klasse für Maestro von Karajan und seine Begleitung von fünf Personen«, also immerhin nochmal an die 40 000 Mark, aufhalsen wollte, obwohl Karajan und Gefolge gratis in der Maschine mitfliegen, die für die Tournee gechartert worden ist.

Was die Berliner nicht wissen: Auch der japanische Veranstalter Kajimoto Concert Management Co. Ltd. in Tokio muß vertraglich eine Summe für Dirigent und Orchester zahlen - in welcher Höhe, wollte er dem SPIEGEL nicht offenlegen. Auch einen Karajan-Film hat der Tokioter Agent über Cami gekauft, ganz ohne Druck, wie er beteuert, »ich wollte ihn unbedingt haben«.

Intendant Schäfer hat inzwischen wegen der ominösen Vertragsbedingungen bei Gelb nachgefragt. Antwort: Durch die hohen Forderungen habe man die Taiwanesen bloß abschrecken wollen - eine ebenso unglaubwürdige wie unglaubliche Praxis für eine Konzertagentur, die die offiziell verabredete Tournee des Orchesters offiziell managen sollte. Dem SPIEGEL hat Columbia Artists erst gar keine Antwort gegeben.

Doch nicht mal solche merkwürdigen Praktiken haben die Berliner Politiker bisher dazu veranlaßt, den alten Mann in der Philharmonie zur Rede zu stellen. Von allen Turbulenzen, die das Telex ausgelöst hat, blieb der Ehrenbürger der Stadt verschont, damit er sich in Ruhe auf seine Osterfestspiele einstimmen konnte.

So wird sich der Maestro, wenn er auf seinem privaten Festival mal wieder zehn Tage lang dort die immer noch effektvolle Inszenierung seiner selbst genossen hat, seelenruhig in sein Haus in Anif bei Salzburg zurückziehen können, wo unten im Keller, gleich neben dem Schwimmbassin, auf deckenhohen Stellagen Hunderte von Filmrollen und Videokassetten lagern, kostbares Rohmaterial.

Wie Wagners Alberich in Nibelheim auf seinem Goldschatz hockt, so hütet Karajan im Souterrain das illustrierte Testament seiner unvergleichlichen Karriere, das Kapital seiner Firma Telemondial. Zwischen 40 und 70 Millionen Mark, da schätzen selbst Eingeweihte unsicher, soll der regieführende Dirigent bislang in die optisch-akustische Verewigung seines Schaffens investiert haben. Die fixe Idee, sich »für kommende Generationen als eine Art letzter Zeuge unserer Zeit« zu verewigen, war ihm ein Vermögen wert.

Haufenweise Zeugnisse von Karajans Schaffensdrang hat allerdings noch ein anderer erfolgreicher Geschäftsmann auf Lager: der Konzernherr Leo Kirch in München, seinerseits eine Art Karajan der Filmbranche. 1964 hatten sich die beiden gesucht und gefunden und gemeinsam, halbe halbe, die Firma Cosmotel gegründet. Der Dirigent begann seinen ersten filmischen Dauerlauf durch die Bestsellerliste der abendländischen Klassik. Bis 1979 spielte er rund 60 Titel ein, darunter solche Brocken wie Wagners »Rheingold« und Verdis »Otello«.

Sei es, daß das Geschäft nicht so lief wie gedacht, sei es, daß der Dirigent Karajan nach seiner Entdeckung des Regisseurs Karajan zu hoch hinaus wollte, sei es, daß die beiden Großmänner einfach nicht harmonierten - man trennte sich. Kirchs Unitel schluckte sämtliche Karajan-Produktionen und macht mit den »verlorenen Kindern« (Karajan), zum grollenden Unmut des Ex-Partners, bis heute ihre Geschäfte.

Karajan, von seinem Sendungsbewußtsein für die Bildplatte der Zukunft mehr denn je überzeugt, mußte von vorn anfangen und fiel vor den Kameras der

Telemondial, an der nach seinen Worten auch »einige Institutionen oder Persönlichkeiten beteiligt« sind, ein zweites Mal über die Renner des Repertoires her - in hilfreichem und kostensparendem Verbund mit der Deutschen Grammophon, die liebend gern auf Platte festhielt, was er auf Film fixierte.

Auf diesen Massen von klingenden Bilddokumenten, deren Originale unantastbar in Schweizer Bankdepots lagern, ist immer derselbe Mann abgelichtet: meist von links, Richtung Schokoladenseite, im Anschnitt; die Augen inbrünstig geschlossen; das weiße Haar in feinen Schwüngen gestylt. Minutenlange Sequenzen in Großaufnahme gelten jenen Händen, die in edlen Bewegungen erlesenes Tongut formen.

Alles ist schön, unbeschreiblich schön, das Werk eines Ästheten, der sich dieses filmische Zeremoniell vor der Aufnahme erst einmal von einem Double vorspielen läßt und es dabei durch die Kamera verfolgt, der früher den kahlköpfigen Musikern um ihn herum sogar Perücken verpaßt hat, damit der Glanz fremder Glatzen nicht seinen Glamour trübe: Ins rechte Licht setzt die Kultfigur Karajan immer nur Karajan.

An diesem reichsten und einflußreichsten Dirigenten der Musikgeschichte kann sich der Herr der Berliner Philharmonie und Herrscher über drei Salzburger Festspiele nicht sattsehen. Auf Knopfdruck flimmert sein Ebenbild daheim auf 20 Monitoren gleichzeitig. Wer behauptet, der Dirigent sei auf seine alten Tage allein, der irrt: Karajan ist von Karajans umgeben.

So will er, irgendwann auf der Ton-Bildplatte hör- und sichtbar und dort nur zu Luxuspreisen erhältlich, überleben: als der geniale Vermittler zwischen dem ewigen Reich der Töne und den Gemeinen, vor denen er den Kosmos der Klänge ausgebreitet hat.

Aber da Karajan nun einmal Karajan ist, findet dieser »Botschafter der deutschen Musikalität schlechthin« (so der Ex-Bundeskanzler, Gelegenheitspianist und Karajan-Apologet Helmut Schmidt) nichts dabei, seiner hörigen Gemeinde zu seinem 80. Geburtstag am Dienstag nächster Woche seinerseits ein Präsent zu machen: »100 Meisterwerke« hat er der Deutschen Grammophon als Jubel-Edition »autorisiert«, was immer das heißen soll, und damit dieses Geschenk besonders gut läuft und also besonders viele Lizenzen abwirft, durfte Frau Eliette die Cover der 25 CD mit blaustichigen Gemälden bemalen - laut Kunst-Experte Schmidt »sehr schön«, in jedem Fall ein sehr schönes Beispiel für eine erfolgreiche Zugewinngemeinschaft.

So, als Lichtgestalt in den Sphären reiner Harmonien und als Konzernherr mit beiden Beinen im irdischen Marketing, hat Karajan offenbar längst kein Ohr mehr dafür, daß seine Schallplatten immer schlechter werden und sogar böse Fehler konservieren, daß er »eigentlich gar nicht mehr dirigieren kann«, wie Philharmoniker - wenn auch nicht unisono - unter der Hand einräumen, daß »wir seit Jahren nichts Neues mehr mit ihm erarbeiten«, daß er, bitter zu hören, »nur noch eine Belastung ist« - und ein Spekulationsobjekt voyeuristischer Konzertgänger.

Nein, die Chance zum würdigen Abgang hat der greise Klang-Magier Karajan längst verpaßt. Nun muß er damit fertig werden, daß ihm der Finanz-Magier gleichen Namens auch noch die Gloriole trübt.

Beim päpstlichen Segen durch Johannes Paul II. im Juni 1985.Mit der Mezzosopranistin Agnes Baltsa.Als »Färberin« in der New Yorker Met 1984.

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