Seine Landsleute in Persien feiern ihn als König der Könige, als Stellvertreter Gottes auf Erden. Seine Landsleute im Ausland beschimpfen ihn als Mörder und Kaiser von Amerikas Gnaden.
Seine Landsleute daheim schmücken mit seinem Bild Straßen und Stuben, Fenster und Fahrzeuge, Büros und Boutiquen.
Seine Landsleute im Ausland bepflastern sein Bild -- wie in Hannover -mit verfaulten Eiern und Tomaten oder verteilen es als Steckbrief.
* Oben: Schah-Krone; unten: Dorfstraße in Raschmas.
Die einen lieben, die anderen hassen Mohammed Resa Pahlewi, den Schah des Iran, den umstrittenen Herrscher eines Landes, das er selbst als Modell des Fortschritts preist, das seine Widersacher im Ausland dagegen als Polizeistaat und KZ brandmarken.
Am Donnerstag dieser Woche, seinem 48. Geburtstag, wird sich der König -- Sohn eines Kosaken-Obersten, der 1921 die Macht in Teheran an sich riß-zum Kaiser krönen: 26 Jahre, nachdem er den Thron bestiegen hat. Sodann wird der Schah seiner dritten Ehefrau, der Schahbanu Farah Diba, 29, einer Offizierstochter und ehemaligen Pariser Architektur-Studentin, eine in Paris entworfene Krone auf das toupierte Haupt setzen.
Im Golestan-Palast zu Teheran dessen Wände schon so brüchig sind, daß sie vor dem Krönungs-Putz mit Betonstreben abgestützt werden mußten -- wird ein Gemeiner aus Irans 180 000-Mann-Armee dem Schah die mit 3380 Diamanten, fünf Smaragden, zwei Saphiren und 368 Perlen verzierte Krone reichen.
530 ausgewählte Gäste werden Persiens »Ereignis des Jahrhunderts« (Außenamtssprecher Schapurian) als Augenzeugen im Krönungssaal des Golestan-Palastes erleben; weitere 2500 Gäste sind Augenzeugen zweiter Wahl: Sie verfolgen das Geschehen in einem Nebenraum auf dem Fernsehschirm.
Prinzen und Präsidenten aus dem Ausland werden nicht zugegen sein; sie wurden -- so verfügte der Schah schon im vorigen November -- gar nicht erst eingeladen: Die Krönung soll ein iranisches Familienfest bleiben, für das der Kaiser seinen 25,7 Millionen Landsleuten allerdings sieben Tage und sieben Nächte Staatsjubel verschrieb.
Internationalen Jubel mit Kaisern und Königen aus aller Welt soll es erst 1971 geben, wenn Persien das 2500jährige Bestehen seiner Monarchie feiert. Dann, so prophezeite der Schah, wird Persien ein anderes Bild bieten als heute. 1967 sieht Persien so aus:
> 15,3 Millionen Menschen, knapp 60 Prozent der Bevölkerung, leben auf dem Lande -- die meisten ohne Elektrizität, sanitäre Einrichtungen und modernes Ackergerät.
> Nur 12,53 Prozent Persiens sind für Ackerbau nutzbar, der Rest ist Wüste, Steppe, Gebirge. Überall im Land fehlt Wasser.
> 71,4 Prozent der Einwohner können nicht lesen und schreiben.
> Jeder Arzt muß 2855 Menschen betreuen (Bundesrepublik: 692).
> Klima und Krankheiten drücken die durchschnittliche Lebenserwartung auf 40 Jahre (Bundesrepublik: 74 Jahre).
> Das Straßennetz ist nur 34 859 Kilometer lang, obwohl die Fläche des Iran sechseinhalbmal so groß ist wie die Bundesrepublik (Straßennetz: 407 751 Kilometer).
> Frauen und Kinder knüpfen wie vor Jahrhunderten in dunklen Verliesen Teppiche vom Morgen bis in die Nacht.
Dennoch versichert Außenamtssprecher Mohammed Ali Schapurian, der die Vorbereitungen der Krönung überwacht: »Heute können wir uns erhobenen Hauptes an die Brust schlagen und sagen: Wir sind die stabilste, sicherste und glücklichste Nation des Nahen Ostens.«
Die Londoner »Sunday Times« hält den Iran für »eine sehr große Insel der Stabilität im dauernd unruhigen Nahen Osten«, der Uno-Sekretär für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, Philippe de Seynes, lobt die »gesunden wirtschaftlichen, industriellen und sozialen Reformen«, die Weltbank urteilt: »Das wirtschaftliche Bild des Iran ist durchaus zufriedenstellend.«
So gibt sich auch der Schah selbstzufrieden: Mit der Kaiser-Krönung hat er nach seinen eigenen Worten deshalb 26 Jahre gewartet, weil »es keine Ehre ist, Kaiser einer armen Nation zu sein. Bisher hielt ich eine Krönungszeremonie nicht für gerechtfertigt. Heute aber bin ich stolz auf den Fortschritt, den wir gemacht haben«.
Tatsächlich haben seine begüterten Untertanen heute den Mut, ihr Vermögen in Persien selbst anzulegen, statt in der Schweiz am Genfer oder Neuenburger See Villen aufzukaufen.
Tatsächlich hat sich das Bruttosozialprodukt der Perser innerhalb von zehn Jahren verdoppelt; seit 1959/60 stiegen die Lebenshaltungskosten um 15 Prozent (Bundesrepublik: 21,1 Prozent); einen Schwarzen Markt für Dollars gibt es seit langem nicht mehr, denn in den Tresoren der iranischen Zentralbank liegen Devisen und Gold in Höhe von 277 Millionen Dollar -- genug, um damit die iranischen Importe für drei Monate zu bezahlen.
Wirtschaftlich könnte der Iran mithin durchaus als »Modell eines Entwicklungslandes« gelten wenn auch in anderem Sinne, als es der Kurzzeit-Perser Bahman Nirumand in seisem Buch darstellt, das unmittelbar vor den Schah-Krawallen in Deutschland erschien.
Dieser Nirumand, der als Erwachsener nur drei Jahre im Iran verbrachte. beeinflußte mit seinem Büchlein das verzerrte deutsche Persien-Bild von heute.
Seit Nirumands Buch und dem Krawall-Tod des Berliner Studenten Benno Ohnesorge sehen die Deutschen im Schah nur noch einen Potentaten aus dem Morgenland, der sich dem Ausland gnädigst zeigt, dafür Entwicklungshilfe kassiert und dann persönlichen Luxus treibt: der zum Beispiel in Bonn 40 Millionen Mark einstreicht, nach Paris fliegt und dort zwei gläserne Badewannen kauft.
Tatsächlich aber waren diese 40 Millionen kein Geschenk: Bonn hatte den Betrag lediglich vorgestreckt, um so einer deutschen Firmengruppe zu einem 78-Millionen-Auftrag im Iran zu verhelfen.
Und in Paris besichtigte der Schah zwar bei Michel de Lacour, dem Dior des Badezimmers, gläserne Badewannen, aber »gekauft hat er sie nicht. Er hat es nur nicht nötig, solche Meldungen zu dementieren« (Bonns Teheran-Botschafter Dr. Bach).
So irreführend und falsch wie diese Meldungen sind auch viele von Nirumands Angaben (siehe Kasten), wenngleich er in einem Punkt recht hat: Das Perser-Volk wird von einem neuzeitlichen Despoten regiert, der wie Ägyptens Nasser, Malawis Banda und Frankreichs de Gaulle vor allem für die eigene Größe arbeitet. Der Autokrat Pahlewi streitet -- bislang mit Erfolg -- gegen den Reformer Pahlewi.
Resa Pahlewi: »Ich sehe in mir bei allem, was ich verrichtet habe und was ich noch tun werde, nichts anderes als das Instrument zur Vollstreckung göttlichen Willens.«
Das Volk muß den Herrscher wie einen Halbgott feiern. In den schmutzigsten Teestuben des Landes hängt das Bildnis des Schahs neben dem des Propheten und des Wirtes. So wie Mao in China grüßt er von Persiens Wänden -- als Pilot (im Büro des
* Bei einer Anti-Schah-Demonstration am Vorabend des Schah-Besuches in Berlin.
Fernsehdirektors von Abadan), als hochdekorierter Offizier (im Foyer des »Royal Teheran Hilton"), als Pfadfinder (in einer Dorfschule in Dschalalabad).
Sein Buch über »Die soziale Revolution Irans« ist Lesebuch für Persiens Kinder im dritten und fünften Schuljahr*. Mit seinem Porträt wünscht das Fernsehen den Tele-Persern Abend für Abend gute Nacht.
Um seinen Wachs-Kopf ist der Schah so besorgt, daß sein Botschafter in London bei Madame Tussaud's intervenieren und um einen ähnlicheren Kaiser in Wachs bitten mußte.
Für die Arbeiter, die unter einem Lastwagen oder in einer Handkarre ihren Mittagsschlaf halten, für die Kinder, die überall im Lande Lose für die Staatslotterie verkaufen, für die Frauen, die ihren Schleier, den »chador«, heute fast nur noch als Staubumhang tragen -- für sie alle hat der Schah der Größte zu sein.
Selbst für seine entfernten Verwandten ist er so groß, daß sie nicht mehr den Familiennamen Pahlewi tragen dürfen, sondern sich beispielsweise Pahlewan nennen müssen.
Nur die Schahbanu ist dem Schah beinahe ebenbürtig; denn Farah Diba schenkte dem Schah den Sohn und den Persern den Thronfolger.
Ihre Vorgängerin Soraya -- Tochter des ehemaligen persischen Botschafters in der Bundesrepublik und einer Deutschen -- hatte nicht so viel Fortune gehabt: Nach siebenjähriger Ehe wurde sie vom Schah verstoßen und bezieht noch heute (gegenwärtiger Wohnsitz: München) eine Trennungsentschädigung.
Bis vor ein paar Jahren noch hatte der Schah mächtige Konkurrenten:
* Mohammed Resa Schah Pahlewi: Die soziale Revolution Irans«; Eugen Diederichs Verlag Düsseldorf/Köln; 192 Seiten; 14,50 Mark.
Persiens Dorfgeistliche, die mohammedanischen Mullahs, und die Großgrundbesitzer. Aber ihr Einfluß schwand. »Heute«, so verkündet Pahlewi, »sind wir, mein Volk und ich, in unseren Herzen und unserem Geist durch solch unlösbare Bande miteinander verbunden, wie desgleichen sonst nirgendwo in der Welt zu finden ist.«
Die Bande schienen nicht immer unlösbar. 1941 jagten Briten und Sowjets den Schah-Vater Resa als angeblichen NS-Kollaborateur aus dem Land und setzten den heutigen Kaiser auf den Thron. Der neue Schah war ein Playboy von 21, sein Land ein Spielball der Weltmächte.
Britische und sowjetische Truppen rückten in Persien ein; die Sowjets holten in den von ihnen besetzten Gebieten Kommunisten und andere Schah-Feinde aus den Gefängnissen und gründeten 1942 die kommunistische »Tudeh"(Masse)-Partei.
In der iranischen Grenzprovinz Aserbeidschan ermunterten sie die Tudeh-Partei 1945 sogar, eine »Autonome Republik Aserbeidschan« auszurufen. Als sich auch noch eine »Kurdische Volksrepublik« etablierte, drohte Persien auseinanderzufallen.
Erst unter dem Druck der Uno und nach dem -- von Persien nie eingehaltenen -- Versprechen einer Öl-Konzession für den Kreml zogen die Sowjets ihre Rotarmisten aus Persien ab; Schah-Truppen holten die Volksrepubliken in den iranischen Staat zurück.
Die Sowjets ließen sogar zu, daß die Perser im Februar 1949 nach einem Attentat auf den Schah die Tudeh-Partei verboten. Denn Persien hatte inzwischen einen mächtigen Freund gewonnen: die USA, die bis heute 1,7 Milliarden Dollar Wirtschafts- und Militärhilfe in den Iran pumpten.
Die Amerikaner waren es auch, die den Kaiser in seiner größten Krise retteten. 1953 widersetzte sich der linke Premier Mossadegh -- Abkömmling einer reichen Familie aus dem Kadscharen-Geschlecht, das Schah-Vater Resa vom Thron vertrieben hatte -- der Entlassung durch den Schah und zwang den Herrscher zur Flucht ins römische Exil.
Doch mit Hilfe des US-Geheimdienstes vertrieben schahtreue Truppen den renitenten Premier aus dem Amt und holten den Kaiser heim ins Reich. Der Schah, nur um ein Haar dem Schicksal des ägyptischen Playboy-Königs Faruk entgangen, sann auf bessere Sicherung seines Throns. Seine rettende Idee: einer Revolution von unten durch eine Revolution von oben zuvorzukommen.
Er bekannte selbstkritisch: »Tag für Tag nahm die Zahl der Armen, Kranken und Analphabeten in unserem Lande zu. Das Bewußtsein dieser Tatsache war es, das mich im Laufe der langen Jahre bewegte und quälte.«
Zu jener Zeit lebten etwa 80 Prozent der Bevölkerung auf dem Lande, 69 Prozent der Bauern litten an einer lebensgefährlichen Wurmkrankheit, zwei Drittel der Dörfer waren von Malaria befallen, in manchen Ortschaften war das Trachom -- eine tückische Augenkrankheit -- so verbreitet, daß es mehr Blinde als Sehende gab, jedes zweite Kind starb vor dem zweiten Lebensjahr an Unterernährung, 15 Prozent der Bevölkerung mußten nach einer Untersuchung der Uno-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO Hunger leiden.
Zwar hatte der Schah den Bauern schon vor dem Mossadegh-Sturz 517 Dörfer zurückgegeben, die von seinem Vater einst kassiert worden waren -- aber die Großgrundbesitzer, seit Generationen die wahren Herrscher des Landes, lehnten es ab, seinem Beispiel zu folgen. Ihnen gehörten mehr als 65 Prozent des iranischen Kulturlandes. Mancher von ihnen besaß Dutzende Dörfer, deren Bewohner als Leibeigene im Elend verkamen.
Links-Reformer Mossadegh hatte sich lieber mit dem Schah als mit den Landlords angelegt, der Schah versuchte, die Magnaten zu entmachten. Als sie sich im Parlament weigerten, ihrer eigenen Enteignung zuzustimmen, besann sich Persiens Kaiser auf sein ererbtes Gottesgnadentum: Er löste das Parlament auf und enteignete die Großgrundbesitzer per Dekret.
Dann ließ er das Volk über sein Revolutions-Programm abstimmen -- und siegte mit göttlicher Mehrheit von 99,9 Prozent. Resa Pahlewi: »Die Ketten der Knechtschaft sind zerbrochen. Mein geliebtes Volk, von nun an werden wir zusammen die Seiten der Geschichte umblättern.«
In Wahrheit blätterte der Schah weiterhin allein und fortan sogar, ohne auf die Landlords Rücksicht nehmen zu müssen. Seinem Volk verordnete er vor allem:
> eine Bodenreform, die den Leibeigenen zum Landbesitzer machen sollte;
> Bekämpfung des Analphabetentums durch Soldaten einer »Armee des Wissens«;
> Verbesserung der Volkshygiene durch eine »Armee der Gesundheit«;
> Gleichberechtigung der Frau;
> Gewinnbeteiligung der Arbeiter und eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung.
Wo Landlords, Mullahs und Studenten Widerstand leisteten, setzte der Schah Truppen ein. In der ersten Phase durfte jeder Gutsherr noch ein Dorf behalten, den Rest mußte er der Regierung verkaufen. In der zweiten Phase wurde Gutsbesitz auf 30 bis 150 Hektar -- je nach Güte des Bodens -- beschränkt.
Die Großgrundbesitzer hatten riesige Flächen brachliegen lassen und nur gerade genug bebaut, um sich ein Luxusleben in der Hauptstadt leisten zu können.
Die einstigen Leibeigenen -- jetzt Besitzer von drei, sechs oder auch zehn Hektar großen Höfen -- begannen mit Staatshilfe jeden Quadratmeter Land zu kultivieren. Mit Staatshilfe wurden Brunnen gegraben. Der Staat stellte der neuen Landwirtschaft nach Angaben des Schahs von 1963 bis 1966 Anleihen in Höhe von 17 Milliarden Rial (etwa 900 Millionen Mark) zur Verfügung.
Das Geld für die Investitionen wie für die Entschädigung der Großgrundbesitzer floß aus Persiens Erdölquellen. Die Ölförderung steht an dritter Stelle in Nahost, an sechster in der Welt und macht den Schah auch außenpolitisch unabhängig. Zu den Arabern unterhält er (außer zu Nasser) gute Beziehungen, gleichwohl läßt er israelische Entwicklungshelfer in Gaswin nahe Teheran arbeiten. Längst ist er nicht mehr Kaiser von Amerikas Gnaden, sondern bezieht zum Verdruß Washingtons Waffen aus der Sowjet-Union, Traktoren aus Rumänien und Geld aus der Tschechoslowakei.
Aus dem Öl-Geschäft fließen jährlich 2,84 Milliarden Mark in den iranischen Haushalt -- und 75 Prozent dieses Geldes steckt der Kaiser in sein Reformprogramm.
Die Zahl der Traktoren stieg von weniger als 5000 vor der Landreform auf 21 000 im Jahre 1965 und soll bis 1970 auf 56 000 klettern.
In Raschmas zum Beispiel, einem 300-Seelen-Dorf in der Wüste zwischen Teheran und Mesched, verlassen die Bauern nach und nach die von den Landlords erbauten Lehmhütten und bauen sich neue Häuser aus Lehm. Eine Pumpe für 90 000 Mark fördert Wasser aus 160 Meter Tiefe, ein Traktor wird von den Bauern gemeinschaftlich benutzt.
Hassanabad bei Schiras hat 32 Einwohner. Die 120 Hektar Ackerfläche gehören nach der Landreform neun Bauern, die im Laufe von 15 Jahren insgesamt 1785 Mark für den Grund abstottern müssen. Jedes Haus hat ein eigenes WC, sieben Brunnen wurden gebohrt.
Noch fortschrittlicher ist Zangiabad, ein 200 Jahre altes Dorf 60 Kilometer von Schiras entfernt. Die 2000 Einwohner haben Elektrizität, Wasser, eine Schule und sogar ein Bad.
Vor der Schah-Reform verdienten Persiens Dörfler höchstens 60 Mark im Jahr, heute sind es nach Ermittlungen der Weltbank 200 bis 240 Mark. Wie in den Entwicklungsländern Schwarzafrikas ist der Transistorempfänger beliebtestes Anschaffungsobjekt. Er ersetzt den Analphabeten die Tageszeitung.
Noch vor dem Transistor kommen oft die Soldaten. In Dörfern, in denen kaum ein Mensch lesen und schreiben konnte, bauen sie primitive Schulen und fangen an, jung und alt das Alphabet beizubringen.
Sie sind Angehörige der » Armee des Wissens«, junge Stadt-Soldaten mit Schulabschluß, die nach dem Grundwehrdienst in vier Monaten zu Lehrern in Khaki ausgebildet werden. Sie unterrichten soldatisch. Morgens um sechs müssen die Dorfkinder unter dem Schah-Bild antreten, die Nationalhymne singen, die Flagge hissen und dann während des Unterrichts so stramm sitzen, wie die Soldaten gemeinhin zu stehen pflegen.
In 11 133 Schulen unterrichteten 11 795 Armee-Lehrer allein im Schuljahr 1965/66 fast 366 000 Kinder und über 141 000 Erwachsene. Erfolg: Innerhalb von vier Jahren sank die Analphabetenquote im Iran um etwa zehn Prozent.
Zu den Schülern der Militär-Magister gehören -- völlig neu in der jahrhundertelang vom moslemischen Mullah geprägten Welt des Dorfes -- auch Frauen und Mädchen. In Dschalalabad zum Beispiel, einem 650-Seelen-Ort zwei Autostunden vor Isfahan, unterrichten der Gef reite Kamalpour, 21, und ein Kollege 53 Kinder -- zwölf davon sind Mädchen.
Mit den uniformierten Lehrern kommen die uniformierten Mediziner. 3493 Soldaten von der »Armee der Gesundheit« wurden seit 1965 mit 465 Wagen über Land geschickt. Jede Gruppe -- ein Arzt, drei Sepahis (Sanitätssoldaten), ein Fahrer -- betreut 30 bis 40 Dörfer mit 20 000 bis 30 000 Menschen.
Wo früher nie ein Arzt erschien, werden heute Medikamente verteilt, Zähne gezogen und Kinder geimpft. Vom Januar 1965 bis zum Juni 1966 nahmen die Sanitäts-Soldaten 3 156 342 Impfungen vor, bauten 44 581 WCs und 105 Leichenhäuser.
Während die Soldaten durch die Provinz ziehen, wird die Armee mit Frauen aufgefüllt. Im Stechschritt und mit züchtig langem Rock paradierten im Vorjahr die ersten persischen Blitzmädchen -- Elektronik-Helferinnen der Luftwaffe.
Früher galten die Frauen im Iran als »Tiere mit mehr Haar als Gehirn«, heute sitzen in drei Ministerien weibliche Staatssekretäre, im Parlament sechs weibliche Abgeordnete.
Längst hat in den Städten -- und oft genug auch auf dem Lande -- europäische Kleidung den Schleier verdrängt; unter dem »chador« verbirgt sich nicht selten ein Minirock. In Teheran sind 47 Prozent der Volksschüler Mädchen, auf dem Lande immerhin bereits 19,4 Prozent.
In den 5000 Frisier- und Schönheitssalons der Hauptstadt (Normalfrisur: zehn Mark, Brautfrisur: 150 Mark) lassen sich die Großstädterinnen nach Pariser Chic herrichten.
Seit kurzem dürfen Persiens Männer nur dann noch eine zweite Frau heiraten, wenn die erste einverstanden ist. Sie dürfen ihre Frau nicht mehr nach einem dreimaligen »Talagh!« ("Du bist verstoßen") verlassen, sondern müssen ein ordentliches Urteil beibringen. Die Frauen selbst können -- im Orient unerhört -- die Scheidung beantragen.
Auf dem Land überforderte die neue Freiheit oft die Befreiten. In einem Dorf feierten die Bauern die Enteignung ihres Landlords so stürmisch, daß sämtliche Obstbäume, Brunnen und Bewässerungsanlagen zerstört wurden.
Der verbitterte Großgrundbesitzer -- für einen Verlust von 60 Dörfern mit 40 000 Mark entschädigt und später als Sekretär am Goethe-Institut in Teheran beschäftigt -- schwor flache. Mit einer bezahlten Schläger-Kolonne zog er ins Dorf, ließ den Anführer der Enteignungs-Feier mit dem Ohrläppchen an einen Baum nageln und einen Tag lang zappeln.
Als ein Dorfbürgermeister zum erstenmal einen Film sah, ordnete er ein großes Fest für alle Schauspieler an: Er war überzeugt, sie würden aus der Leinwand heraustreten.
Und als ein Bauer aus Aserbeidschan von einem kurzen Aufenthalt in Teheran zurückkehrte, war er von den Mini-Mädchen der Metropole so verwirrt, daß er eines Morgens auf einen Hügel vor dem Dorf zog, seine Nachbarn zusammentrommelte und behauptete: »Gott hat mich aufgerufen, den Feldzug -gegen den Minirock anzuführen.«
Viele Bauern erliegen der Versuchung der Stadt. Sie holen sich bei der Landwirtschaftsbank ihrer Provinzhauptstadt einen Ackerbau-Kredit, haben plötzlich so viel Geld in der Hand, wie sie vorher nur in zehn oder zwölf Jahren verdienten, und kehren nicht wieder aufs Land zurück.
Sie lassen sich in den Slums der Städte nieder, bauen ein billiges Lehmhaus, treiben Handel auf dem Basar oder suchen Arbeit in der Industrie. Allein in den letzten zehn Jahren wuchs die Bevölkerung der Städte um fast 80 Prozent, die auf dem Lande nur noch um 16 Prozent.
In Teheran aber gibt es für 2,7 Millionen Einwohner keine Kanalisation. Aus den Häusern der Reichen an den Hängen des Elburs-Gebirges in Schimran sickern die Abwässer in die Slums im Süden der Stadt.
Doch in den Städten haben die Landflüchtlinge am ehesten Aussicht, zu Geld und bescheidenem Wohlstand zu kommen. Denn in den Städten wächst die Industrie -- nicht zuletzt dank der früheren Großgrundbesitzer.
Der Schah entmachtete sie zwar, entschädigte sie aber auch für den verlorenen Boden. Um den Erlös im Land zu halten, privatisierte er 208 staatliche Industriebetriebe, in die sich die Gutsherren einkaufen konnten.
Beim Ausbau der Industrie hilft obendrein das Ausland:
> Die Sowjet-Union baut bei Isfahan ein Stahlwerk -- Traum aller Entwicklungsländer -, das sich Schah-Vater Resa schon von Hitler erhofft hatte.
> Ein weltweites Ölkonsortium beteiligt sich am Bau neuer Raffinerien in Teheran und Schiras.
> Deutsche Manager und Vorarbeiter leiten eine Schuhfabrik in Teheran, die im Vorjahr vier Millionen Paar Schuhe verkaufte.
> Englands Automobilkonzern Rootes liefert Motor und Getriebe für Irans ersten eigenen Pkw, den »Peykan«.
Haben Land-Flüchtlinge und Städter erst einmal Arbeit in der Industrie gefunden, so ist ihnen ihre Stelle meist auf viele Jahre sicher.
Denn mehr als das, was Deutschlands IG Chemie, Papier, Keramik vor wenigen Wochen als revolutionären Erfolg für ihre Hamburger Mitglieder feierte, hat Persiens Schah seinen Untertanen längt per Dekret beschert: Wer einen Arbeiter, Angestellten oder auch seinen Diener entläßt, muß ihm -- je nach Familienstand -- ein oder zwei Monatsgehälter für jedes Dienstjahr als Entschädigung zahlen. Ein verheirateter Arbeiter, dem nach sechs Dienstjahren gekündigt wird, kassiert zwölf Monatsgehälter -- sogar wenn er die Entlassung selbst verschuldet hat.
Jeder Arbeitgeber muß Sozialversicherungsbeiträge für seine Arbeiter abführen, die 45-Stunden-Woche ist in der Industrie ebenso Gesetz wie das 13. Monatsgehalt, das zum Nowruz, dem iranischen Neujahrsfest, ausgezahlt wird.
In den Städten verdient ein ungelernter Arbeiter heute etwa fünf Mark und ein qualifizierter Handwerker zwölf bis 27 Mark pro Tag, ein Lehrer zwischen 250 und 600 Mark im Monat, ein Abgeordneter 3000 Mark.
Heute bereits fahren fünf von tausend Persern im eigenen Pkw, trotz hoher Autopreise (VW 1300: 12 000 Mark). In einem einzigen Jahr verkaufte der BMW-Generalvertreter in Teheran 800 Fahrzeuge, vorwiegend Wagen des Typs 2000, das Stück für 19 760 Mark.
Die Wohltaten für das Volk müssen der Nachwelt angemessen überliefert werden. Deshalb läßt der Schah an einem Steilhang des Sufeh-Berges, fünf Kilometer von Isfahan entfernt, die neun Punkte der kaiserlichen Revolution auf 190 mal 99 Meter Fläche in Granit meißeln,
»Ohne die Landreform«, so urteilte die »New York Times« Ende letzten Monats, »hätte es ... früher oder später einen Bauernaufstand oder eine radikale Erhebung der Art gegeben, durch die die Herrscher in Ägypten, im Irak und im Jemen gestürzt wurden.«
So aber küssen die Bauern jetzt nicht mehr dem Großgrundbesitzer, sondern einem großzügigen Staat verschuldet -- dem Schah die schwarzen Schuhe und brüllen begeistert: »Javid Schah« (Lang lebe der Schah), wenn er ihnen -- wie zu Beginn letzten Monats -- alle Schulden erläßt, die sie bei der Übernahme früheren Kronlandes gemacht hatten.
Nicht in den Jubel stimmen die meisten Landlords und ein großer Teil der persischen Studenten im Ausland ein, die im Schah allein den Diktator sehen, der seinen Willen notfalls auch mit Gewalt durchsetzt. Denn viele der 20 000 iranischen Auslandsstudenten sind Söhne enteigneter Großgrundbesitzer.
Mit dem Monatswechsel des reichen Vaters zogen sie an europäische und amerikanische Universitäten; das Studium in Persien war ihnen zu unbequem: Persische Studenten müssen eine überaus schwere Aufnahmeprüfung für die Universität bestehen und später regelmäßig bis in die Nacht büffeln, um die Examina zu absolvieren, die alle sechs Monate über die Versetzung ins nächste Semester entscheiden.
Die Rückkehr in die Heimat lehnen die Trubel-Perser meist ab: Früher erhielten sie als Söhne der »tausend Familien« automatisch die besten Posten in der Hauptstadt, heute verordnet ihnen der Herrscher jahrelang Bewährung in der Provinz.
Akademische Rückkehrer erhalten ein Monatssalär von mindestens 2100 Mark -- aber nur, wenn sie in die Provinz gehen. Beamte werden nur noch befördert, wenn sie sich aufs rückständige Land versetzen lassen. Premierminister Howeida: »Von jetzt an müssen alle Beamten ihre Koffer packen und aufs Land gehen!« Andere Auslandsperser -- meist Anhänger des verblichenen Revolutionärs Mossadegh oder der verbotenen kommunistischen Tudeh-Partei, die sich inzwischen in Leipzig niedergelassen hat -- beanstanden vor allem, der Schah sabotiere seine eigene Revolution, um sich und die Reichen des Landes zu schonen.
Genau das aber bestreiten Schah-Kritiker im Lande selbst. Ex-Premier Amini, einer der Wegbereiter der kaiserlichen Reform, zum SPIEGEL: »Der größte Fehler ist, daß sie zu schnell vorangetrieben wird.«
Tatsächlich waren die Neuerungen jäh über die Perser hereingebrochen, niemand hatte Zeit, sie innerlich zu verarbeiten. Der Schah gab sich mit dem Jubel der Bauern zufrieden. Als echter Autokrat konnte er keinen revolutionären Elan gestatten -- sonst hätte er die absolute Monarchie gefährdet.
Die Creme der Nation -- Ärzte, Professoren, Wissenschaftler -- standen und stehen großteils außerhalb der Revolution. Sie machten sie nicht zu ihrer eigenen Sache, sondern paßten sich lediglich an.
Das Schah-Charisma mag auf Bauern wirken, Intellektuelle stößt es ab. Ihnen ist die Reform zu sehr auf die Erhöhung des Propheten im kaiserlichen Palast zu Teheran ausgerichtet.
Doch das darf niemand sagen; an den 400 000 Beamten -- nach Meinung kritischer Perser 300 000 zuviel -- darf niemand Kritik üben.
Denn sie sind Organe der Revolution von oben -- und hier erschlägt der Personenkult den Fortschritt: Der Schah ist unfehlbar, folglich darf auch sein Programm keine Fehler haben. Darüber wachen die Hofschranzen unter dem einstigen Premier Alam und der allmächtige Geheimdienst »Savak«.
Immer wieder bekommt das Kabinett des Premierministers Howeida zu spüren, daß es nur als demokratisches Feigenblatt geduldet wird. Genauso ergeht es den drei angeblich miteinander konkurrierenden Parteien.
Die 60 Mitglieder des Senats werden zur Hälfte vom Schah ernannt, zu je einem Viertel aus schahfreundlichen Kandidaten in Teheran und den Provinzen gewählt. Doch die politischen Entscheidungen fällt der Hof allein.
Stellen Schmeichler in der Umgebung des Schahs fest, daß ein Perser den Kaiser kritisiert oder- schlimmer noch -- populär zu werden droht, so genügt ein Wink des Hofministers Alam, um Kritiker und Rivalen zu erledigen.
Bis vor ein paar Jahren wurden sie auf eine Schwefelinsel im Persischen Golf verbannt -- ein KZ mit Treibhaustemperaturen von mehr als 60 Grad Celsius -, wurden zu Tode gefoltert oder zum Tode verurteilt.
Heute dient die Insel nur noch als Ölhafen, aber auch heute noch werden Gefangene gefoltert, wird die Todesstrafe -- wenn auch nicht mehr öffentlich -- vollstreckt. Sind die Kritiker und Rivalen des Schahs jedoch prominent, so werden sie unauffällig kaltgestellt:
Ex-Premier Amini, sein Landwirtschaftsminister Arsandschani und sein Erziehungsminister Chanlari waren die geistigen Väter der sozialen Revolution, der Landreform und der »Armee des Wissens«. Doch der Schah wollte den Ruhm nicht teilen.
Amini wurde entlassen und lebt heute zurückgezogen als wohlhabender Privatier in Teheran. Arsandschani wollte eine Partei für die Landreform gründen, die ihn zu einem der mächtigsten Männer Persiens gemacht hätte. Er wurde als Gesandter nach Rom abgeschoben, Chanlari bei einer Kabinettsumbildung ausgebootet.
Populärer als die drei war der ehemalige Bürgermeister von Teheran, Ahmed Nafici, der den Bewohnern der Hauptstadt besseres Wasser, mehr Licht und neue Häuser bescherte. Vor vier Jahren wurde er verhaftet, kurzfristig gegen Kaution freigelassen, wieder verhaftet, und noch heute wird wegen angeblicher Korruption gegen ihn verhandelt.
»Der Iran«, so versichert ein deutscher Diplomat mit jahrelanger Persien-Erfahrung, » ist zweifellos ein Polizeistaat, wenn auch der liberalste, den ich kenne.«
Der Geheimdienst »Savak« und das Informationsministerium überwachen gemeinschaftlich die Schah-Feinde; gemeinschaftlich sorgen sie zugleich für die Verbreitung eines möglichst strahlenden Schah-Bildes -- nicht immer mit Erfolg: Zwei Monate lang entging dem »Savak«, daß Nirumands Anti-Persien-Buch öffentlich in Teheraner Kaufhäusern auslag.
Das Informationsministerium zensiert nicht nur iranische Zeitungen, sondern auch ausländische Publikationen: Wagt es ein Import-Blatt, den Iran oder gar den Schah zu kritisieren, so werden die betreffenden Seiten herausgerissen.
Geistige Gängelei, die Ausschaltung fähiger Fachleute und der Ehrgeiz des Schahs, alle Erfolge für sich zu buchen, mag viele Perser in die innere Emigration treiben, echter Widerstand gegen den Thron aber scheint aussichtslos. Savaks Auge ruht auf allen potentiellen Putschisten. Das Offizierskorps, eine privilegierte, vom Schah mit fruchtbarem Boden bedachte Kaste, steht in Treue fest zum Thron.
Darauf vertrauend, daß er allein Persien in eine schönere Zukunft führen kann, erhöht Resa Pahlewi in dieser Woche seine Dynastie, die sein Vater erst vor 42 Jahren begründete.
»Um die Kontinuität des bestehenden Regimes zu sichern«, krönt er seine Fahrah zur Kaiserin. Sie soll sein Amt übernehmen, falls ihm etwas zustößt, bevor der Thronfolger Resa, heute sechs, volljährig ist.
Der Schah läßt mit jener orientalischen Selbstvergötzung feiern, die seine Reform für Persien zugleich fördert und gefährdet.
Minister und Hofschranzen mußten sich einen Film über die Krönung der Britin Elizabeth II. ansehen, denn: »Die Engländer können so etwas so gut« (der Schah). Kronprinz Resa mußte sich auf der Leinwand zeigen lassen, wie sich sein englischer Kollege Charles einst benahm.
Seit Wochen werden die großen Straßen Teherans bunt dekoriert wie in Deutschland vor Weihnachten.
Sonnen und Lichtbogen, Lichtmasten und Karnevalsflitter sollen Persien erleuchten. Sechs Millionen Glühbirnen wurden bereits eingeschraubt. Die Regierung ließ zusätzlich vier Millionen aus Pakistan, Japan, Italien, England und Deutschland einfliegen, da Birnen zum begehrtesten Schwarzmarkt-Artikel geworden waren.
Damit kein Schatten auf die Krönung falle, werden die Bettler der Metropole zusammengetrieben und ins Arbeitslager Badrabad verfrachtet, werden Razzien auf leichte Mädchen veranstaltet und die Schönen zur Abschreckung in der Zeitung abgebildet.
Zur Krönung ließ der Kaiser in Wien vom Karosseriebauer Josef Kliemann für knapp 750 000 Mark eine Kutsche zimmern, die dann nach Teheran geflogen wurde. Sie ist die naturgetreue Nachbildung des habsburgischen Imperialwagens, in dem einst die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zur Salbung rollten.