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STEINHOFF Sieg am Nachmittag

aus DER SPIEGEL 43/1966

Beim Gemeindedirektor von Rosbach an der Sieg ging das Telephon. Am Apparat: ein General der Luftwaffe.

Der hohe Offizier übermittelte zu nächtlicher Stunde einen alarmierenden Lagebericht aus dem Bundesverteidigungsministerium. Die Frau des Hauses versprach korrekte Weiterleitung an den abwesenden Adressaten des Alarmspruchs.

Erst spät in der Nacht konnte der von einer Versammlung heimgekehrte Hausherr und stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, SPD-MdB Karl Wienand, die Meldung entgegennehmen.

Ihr Inhalt überraschte ihn nicht: Der neue Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Johannes Steinhoff, wolle zurücktreten.

Das war am Mittwochabend vorletzter Woche, wenige Stunden nachdem Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel und sein Staatssekretär Karl Gumbel im Verteidigungsausschuß die erweiterten Vollmachten des Panitzki -Nachfolgers Steinhoff wieder abgeschwächt hatten.

Von diesem Entscheidungszuwachs aber hatte Weltkrieg-II-Flieger-As und Starfighter-Pilot Steinhoff die Übernahme des verwaisten Inspekteur-Sessels im Führungsstab der Luftwaffe Anfang September abhängig gemacht.

In zähen Beratungen mit Hassel hatte er dem Minister schließlich die alleinige und über die Köpfe der anderen Abteilungsleiter hinweggehende Kompetenz für das Starfighter-Waffensystem abgerungen. Am 14. September verfügte Hassel die Einrichtung eines »System -Beauftragten« für die F-104G.

Kernpunkt war der Absatz fünf, in dem es heißt: »... in Fällen, in denen Übereinstimmung nicht erzielt werden kann, entscheidet der Inspekteur, nachdem er die in der Sache zuständigen Abteilungsleiter konsultiert hat, es sei denn, daß er wegen der Bedeutung der Angelegenheit die Entscheidung der Leitung des Ministeriums herbeiführt.«

Diesen Satz aus ministerieller Formulierungskunst betrachtete Steinhoff als Bestätigung seiner Wünsche zu straffer Führung des von Abstürzen (bisher 63) geplagten Waffensystems.

Doch die Erosion der vermeintlich gewonnenen Steinhoff-Macht offenbarte sich bereits eine Woche später. Vor dem Plenum des Bundestages räumte Hassel im Beisein Steinhoffs am 21. September den zivilen Abteilungsleitern ausdrücklich ein Vetorecht gegen F-104-Entscheidungen des Luftwaffenchefs ein:

- Wenn eine Abteilung nicht zustimme, dann könne »der Inspekteur der Luftwaffe ebenso wie der beteiligte Abteilungsleiter die Entscheidung der Leitung des Hauses herbeiführen«.

Empört verließ Steinhoff das Parlament und hielt Kriegsrat auf der Bonner Hardthöhe. Gemeinsam mit seinen engsten Beratern beschloß der Inspekteur, eine Verwässerung seiner vorher vereinbarten Kompetenzen nicht hinzunehmen.

Das Rumoren in der Luftwaffenführung verdroß die Ministerialverwaltung wenig. Am Mittwoch vorletzter Woche bremste Staatssekretär Gumbel vor dem Verteidigungsausschuß Steinhoffs Starfighter-Schnellflug noch weiter.

SPD-Wienand, der durch den nächtlichen Telephonanruf vom Unmut unter der fliegerblauen Generalität wußte - »Ich habe lange überlegt, ob ich das faule Ei platzen lassen oder selbst aufstechen sollte« -, ergriff nun die Initiative. Er bat Hassel um präzise Auskunft über die Rechte des obersten Fliegers.

Der Minister las aus seinem Erlaß vom 14. September vor. Wienand insistierte: »Was hat General Steinhoff nun an zusätzlichen Vollmachten gegenüber General Panitzki erhalten?« Von Hassel wußte keine Antwort.

Schließlich verkündete Staatssekretär Gumbel seine Interpretation des Textes, und Hassel widersprach nicht: Wie vorher schon Panitzki, habe auch Steinhoff keine Entscheidungsbefugnis über andere Abteilungen. Jedem von Steinhoff übergangenen Abteilungsleiter stehe das Recht zu, eine Entscheidung des Ministers zu verlangen.

Einem Lauffeuer gleich verbreitete sich das Gumbel-Wort noch am Mittwochabend unter der Luftwaffen-Generalität. Einhellig steiften die Biesenträger ihrem neuen Chef den Rücken: Nun müsse Remedur geschaffen werden.

Telephonisch gestand Steinhoff dem Verteidigungsausschuß - Vorsitzenden Friedrich Zimmermann (CSU): Als Abteilungsleiter wolle er keineswegs mehr Rechte haben. Als Verantwortlicher für das Waffensystem F-104 müsse er jedoch freie Hand verlangen.

Am Morgen darauf, Donnerstag vorletzter Woche, gab ein Kurier der Luftwaffe im Bundeshaus einen Brief ab. Adressat: Bundesminister von Hassel. Generalmajor Hempel, Stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe, nahm den Umschlag entgegen und brachte ihn seinem Minister in die Sitzung des Verteidigungsausschusses.

Abgeordnete mit scharfen Augen machten den Absender aus: Luftwaffen -Inspekteur Steinhoff.

Der Minister verfärbte sich und ging hinaus. Eine zweite Generalskrise drohte.

In seinem Brief verlangte der Luftwaffenchef vom Minister, daß Hassel umgehend seine, Steinhoffs, Interpretation des. Erlasses vom 14. September billige und veröffentliche, damit im Interesse der Glaubwürdigkeit des Inspekteurs alle Unklarheiten beseitigt würden. Hassel, voller Furcht vor einem neuen Generals-Aufstand, zog es vor, seine Zivilbeamten zu desavouieren.

In zwei langen Gesprächen rang Steinhoff dem Minister noch am Donnerstagnachmittag eine neue Minister -Interpretation des Minister-Erlasses ab, die den Forderungen des Luftwaffen -Inspekteurs und der ursprünglichen Hassel-Steinhoff-Abrede entsprach.

Noch anm Abend unterzeichnete Hassel drei von Steinhoff vorbereitete Kapitulationsdokumente, die den Sieg des Generals über die Zivilisten verkündeten: eine hausinterne Direktive, eine Presseverlautbarung und einen Brief an die Truppe. Darin heißt es:

- Der Inspekteur der Luftwaffe hat alle Vollmachten für das Waffensystem F-104, die er »zur Durchführung seiner Aufgaben benötigt«,

- er entscheidet »auch dann, wenn eine Übereinstimmung mit den Vertretern anderer beteiligter Abteilungen nicht herbeigeführt werden kann«,

- er »führt nur bei bedeutenden Vorgängen die Entscheidung der Leitung des Hauses herbei«.

Der Minister besiegelte seinen Rückzug mit der Feststellung: »Generalleutnant Steinhoff sind somit für das Waffensystem F-104 umfassendere Vollmachten erteilt worden, als sie sein Amtsvorgänger gehabt hat.«

Noch in der gleichen Nacht klingelte an der Sieg erneut das Telephon. Karl Wienand war wieder nicht zu Hause. Diesmal verkündete der unbekannte General frohe Botschaft: »Steinhoff hat gesiegt, Gott sei Dank.«

Luftwaffenchef Steinhoff

Vor einem neuen Aufstand ...

Steinhoff-Dienstherr von Hassel

... kapitulierte der Minister

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