Zur Ausgabe
Artikel 5 / 79

VEBA-VORSTAND Sieg der Fürsten

aus DER SPIEGEL 43/1965

Mittags um zwei Uhr hatte Staatssekretär Ludwig Kattenstroth Minister Dollinger schon vorsorglich telephonisch gemeldet, es werde schwierig sein, dem Veba-Aufsichtsrat den Minister-Favoriten Dr. Rolshoven als Generaldirektor aufzudrängen. Auch eine Vertagung der Sitzung sei kaum möglich.

Abends um sieben rief Kattenstroth wieder im Bundesschatzministerium an und berichtete: Der Aufsichtsrat des Volksaktienkonzerns habe den Bergrat a. D. Dr.-Ing. und derzeitigen Chef der bundeseigenen Saarbergwerke AG, Hubertus Rolshoven, nicht ernannt und überhaupt keinen Generaldirektor bestellt.

Als der Staatssekretär seinem Minister auf Rückfrage bestätigte, auch er habe so gestimmt, verlor Dollinger die Beherrschung. Lautstark stellte er seinen ranghöchsten Mitarbeiter vor die Wahl, sofort in Urlaub zu gehen oder sich in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu lassen.

Denn noch am Morgen - des 12. Oktober - hatte Dollinger den Veba -Aufsichtsratsvorsitzenden Kattenstroth in einem vierseitigen Brief darauf verpflichtet, Bergwerksmanager Rolshoven, 52, zum Generaldirektor zu machen (SPIEGEL 40/1965). Dollinger erinnerte daran: »Ich habe Ihnen meinen Vorschlag, Herrn Rolshoven zum Vorsitzenden des Vorstands der Veba zu berufen, am 8. September 1965 mitgeteilt ... Ein anderer Vorschlag ist nicht gemacht worden, auch nicht in der Sitzung des (Aufsichtsrats-)Präsidiums vom 28. September 1965.«

Warum Dollinger sich auf den Saarbergmann versteifte, war weder Kattenstroth noch anderen Aufsichtsratsmitgliedern verständlich.

Rolshoven gilt als tüchtiger, aber glückloser Manager. Trotz Rationalisierungsmaßnahmen erwirtschaftete er bei den Saarbergwerken rund 70 Millionen Mark Verlust. Den Chefs der drei großen Veba-Unternehmen Bergwerksgesellschaft Hibernia AG, Hugo Stinnes AG und Preußische Elektrizitäts AG schien es unangebracht, ihre bisherige Selbständigkeit ausgerechnet einem Mann der roten Zahlen zu opfern.

Auch Kattenstroth hatte frühzeitig, wenngleich gemäßigt, Zweifel angemeldet. Als er dennoch auf der Sitzung in Bonn weisungsgemäß verfahren

wollte, schlugen sich die Aufsichtsratsmitglieder auf die Seite der drei Veba -Manager, die ihre Unternehmen bisher mit Erfolg geleitet haben.

Dollinger versuchte Zeit zu gewinnen. Auf die erste Hiobsbotschaft Kattenstroths hin führte er ein Telephongespräch mit dem Aufsichtsrats-Mitglied der Veba und Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstags Ernst Georg Schneider. Er schlug vor, die Sitzung notfalls zu vertagen und Rolshoven von einer Dienstreise aus den USA zurückzurufen, um sich mit den Chefs der drei Tochtergesellschaften auszusprechen.

Die Herren des Aufsichtsrats - unter ihnen je ein Staatssekretär aus dem Bundesfinanz- und dem Bundeswirtschaftsministerium sowie das Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Bergbau Heinz Vetter - wollten jedoch nicht warten. Die Führungslosigkeit im Konzern, so argumentierten sie, habe ohnehin bereits Unruhe unter den 2,5 Millionen Veba-Volksaktionären ausgelöst und zum Kursverfall des einst gepriesenen Wahlpapiers beigetragen.

Dollingers Staatssekretär fühlte sich in der Klemme zwischen der Weisung seines Ministers und dem Aktienrecht. Er meinte: »Wenn ich vorsätzlich zum Nachteil der Gesellschaft handele, werde ich mit Gefängnis bestraft.«

Mit dem Argument, nach neuestem Aktienrecht sei die Position des Vorstandsvorsitzers einer AG sowieso nicht mehr sehr stark, billigte auch er schließlich den einstimmigen Aufsichtsratsbeschluß:

- Stinnes-Chef Heinz P. Kemper, 62, Hibernia-Chef Dr. Hans Werner von Dewall, 64, und der Chef der Preußischen Elektrizitäts AG, Dipl.-Ing. Kurt Hoffmann, werden für drei Jahre, gleichberechtigte Vorstandsmitglieder der Konzern-Spitzenfirma Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks-AG (Veba).

In dem Kommuniqué über die Sitzung war von der Bestellung eines Vorstandsvorsitzenden nicht mehr die Rede.

Zumindest für die nächsten drei Jahre wird es demnach bei der Veba keinen Generaldirektor geben, der die drei Tochtergesellschaften und ihre Chefs dirigiert. Damit bleibt auch fraglich, ob die drei Tochter-Manager ihre besonderen Firmeninteressen zurückstellen und beispielsweise die Investitionen zum Wohl des gesamten Konzerns aufeinander abstimmen.

Rechtlich kann der Minister seinem Staatssekretär Kattenstroth nichts vorwerfen: In Aufsichtsräte delegierte Beamte sind bei ihrer Tätigkeit nur dem Aktiengesetz und damit dem Wohl der Firma verpflichtet.

Der Staatssekretär sagt: »Daß ich im Interesse der Gesellschaft gehandelt habe, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Das ewige Hin und Her ging doch bei den Veba-Kursen einfach nicht mehr.« Er will weder in Urlaub noch in den einstweiligen Ruhestand gehen. Gerade jetzt, so meint Kattenstroth, müsse er sich um die Veba kümmern.

Nachdem die Kopflosigkeit des nach Preußag und VW dritten Volksaktienkonzerns nunmehr amtlich bestätigt wurde, erreichte der Veba-Kurs am Freitag vergangener Woche mit 210 3/4 Punkten einen neuen Tiefstand.

Minister Dollinger (r.), Untergebener Kattenstroth: Gegen den Chef gestimmt

Zur Ausgabe
Artikel 5 / 79
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten