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LIBANON Signale vom Meer

Im Libanon herrscht eine Agenten. Psychose: Israelis haben die Palästinenser-Gruppen unterwandert.
aus DER SPIEGEL 34/1973

Am Nachthimmel über Beirut lauern Düsenjäger mit dem Davidstern. 21.45 Uhr: Von der Rollbahn erhebt sich ihre Beute, die libanesische Linienmaschine mit der Flug-Nummer 006 A nach Bagdad. Die israelischen Jets setzen zum Sturzflug an. 21.48 Uhr: Sie eskortieren das Verkehrsflugzeug zur Passagierkontrolle nach Israel.

Der ursprüngliche Flug 006 (ohne A) der Iraqi Airways war in London hängengeblieben -- die Israelis wußten es. Nach drei Stunden Wartezeit charterten die Iraker eine libanesische Caravelle -- die Israelis wußten auch dies.

Vor allem aber wußten sie, daß der Flug 006 mit oder ohne A Israels Staatsfeind Nummer 1, den Kinderarzt und Chef der »Volksfront für die Befreiung

* Vermutlich von israelischen Agenten erschossener Iraker.

Palästinas« (PFLP), Dr. Georges Habasch, nach Bagdad bringen sollte.

»Woher konnten die Israelis erfahren, daß ich genau diesen Flug gebucht hatte?« rätselte der am vorletzten Freitag noch einmal davongekommene Dr. Habasch. In Beirut herrscht eine Agentenpsychose: Die Behörden verhaften harmlose Touristen und manchmal auch echte Spione. Und die Bevölkerung glaubt, daß praktisch nichts und niemand vor den fremden Spähern sicher sei. Als am vergangenen Donnerstag der Libyer Mahmud el-Tumi eine libanesische Passagiermaschine nach Tel Aviv entführte, verbreitete sich sofort die Kunde: Die Juden haben wieder zugeschlagen.

Die Furcht vor Geheim-Agenten ist freilich nicht aus der Luft gegriffen. Denn der liberale Libanon, das Exil rechter Moslembrüder und linker Kommunisten, Tummelplatz von Ölscheichen und Rauschgifthändlern, Zuflucht von etwa 300 000 Palästinensern, Standort einer US-Botschaft mit 850 Diplomaten, ist tatsächlich ein »Paradies für Spione« (so die Beiruter Zeitung »El-Muharrir").

Wo einst der Engländer Kim Philby für die Sowjets spionierte, belauern sich die Spitzel der Großmächte und bekämpfen sich arabische Spione. Israels Kundschafter, die ihre arabischen Hauptfeinde in Paris und Rom aufspüren und gelegentlich liquidieren, leisten auch im Libanon die beste Arbeit:

* Im Juni 1972 stießen israelische Truppen ausgerechnet dann ins »Fatahland« im Südlibanon vor, als fünf syrische Sicherheitsoffiziere die Gegend inspizierten. Die Israelis kidnappten die Feinde.

* Am 21. Februar verpaßte ein israelisches Kommando bei einem Überfall auf ein Palästinenser-Lager im Nord-Libanon, den El-Fatah-Chef Arafat nur um wenige Stunden.

* Am 10. April erschoß ein israelischer Stoßtrupp drei Palästinenser-Führer in ihren geheimen Wohnungen im Herzen Beiruts.

Palästinenser-Funktionär Schafik el-Hut findet die Lage »unerträglich, mit Hunderten, ja Tausenden Spionen im Land« -- zumal es nur allzu selten gelingt, einen Feind zu entlarven: etwa Adiba Nadschin Schams, die »irakische Mata Hari«, die zwei Jahre lang aus ihrem Appartement im Beiruter Stadtteil Schiah nach Tel Aviv funkte.

Über das Netz Israels wußte sie nur, daß sechs Spione in den Führungsgremien der Palästinenser-Gruppen säßen. Dem Militärgericht gestand sie: Ein Prinz aus Saudi-Arabien habe sie engagiert, doch stellte der sich schon bald als Agent Tel Avivs heraus. Die Dienste bezahlte er mit Liebe. Überführt wurde auch Girgis Fathallah: Als irakischer Kurde wurde er in der Heimat von Arabern verfolgt.

Der von Beiruts »Al-Sajjad«-Magazin propagierte »Krieg gegen Israels Agenten« fordert auch Opfer, die möglicherweise keine Spione sind:

Der palästinensische Millionär Theophil Butadschi geriet in Haft, als er von seiner Jacht aus angeblich »Haifa. Haifa over« funkte. Der deutsche Hochstapler Ulrich Losberg, 25 (er gab sich unter anderem als Preußen-Prinz aus), machte sich vor allem deshalb verdächtig, weil er vor dem israelischen Überfall am 10. April ausgiebig die Rue Verdun besichtigt hatte, den Schauplatz der nächtlichen Hinrichtung.

Vorige Woche jagten und beschossen Sicherheitskräfte den italienischen Industriellen Felice Riva. Er hatte nachts vom Meer her Lichtsignale gegeben, als sein Motorboot manövrierunfähig war.

Nach der israelischen Kaperung von Flug 006 A verhafteten die Libanesen sechs Flughafen-Angestellte. Daß der Palästinenser-Führer Habasch entkommen war, buchte die Libanon-Regierung als ihren Erfolg: Die Zeitung »Al-Hajat« veröffentlichte dazu ein Gespräch zwischen Premier Takieddin el-Sulh und dem Abgeordneten Esber. Sulh: »Diesmal hat unser Geheimdienst funktioniert.« Esber: »Wieso?« Sulh: »Wer hat wohl den Habasch gewarnt?« Der Premier zeigte auf sich.

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