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Juristen Simple Erpressung

Mit happigen Spenden können sich stasibelastete Rechtsanwälte vom Thüringer Justizministerium ihre Zulassung erkaufen.
aus DER SPIEGEL 30/1994

Der Brief aus dem Thüringer Justizministerium traf den Erfurter Strafverteidiger überraschend. Er sei, so schrieben ihm die Beamten, als Rechtsanwalt im vereinten Deutschland nicht mehr tragbar.

Denn bislang, so rügten ihn die Beamten, habe er seine Kontakte zum früheren Ministerium für Staatssicherheit der DDR verschwiegen. Sein Verhalten lasse ihn für den Beruf des Rechtsanwalts »unwürdig erscheinen«, die Zulassung werde ihm nun entzogen.

Einen neuen Job muß sich der gelernte DDR-Jurist dennoch nicht suchen. Wenn er 5000 Mark an die Hilfskasse für bedürftige Rechtsanwälte zahle, so die Beamten im vergangenen Monat, dürfe er seine Lizenz behalten. Der Erfurter stimmte »widerwillig« zu. »Durch 5000 Mark war ich plötzlich wieder würdig für den Anwaltsberuf«, grollt er.

In allen neuen Ländern und Berlin prüfen zur Zeit die Justizministerien die DDR-Vergangenheit von Rechtsanwälten und Notaren aus dem Osten. Die Absicht: Die Anwaltschaft soll von stasibelasteten Juristen gesäubert werden.

Immer wieder aber hat der Bundesgerichtshof (BGH) einzelne Entscheidungen der Länder gekippt. Vor wenigen Wochen verfiel das Erfurter Justizministerium auf einen besonderen Handel, um sich langwierige Prozesse zu ersparen: Wer spendet, darf arbeiten.

Der Deal sei »eindeutig gesetz- und verfassungswidrig«, sagt der Freiburger Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack, Experte für Standesrecht: »Entweder ist ein Jurist würdig für den Beruf des Anwaltes, oder er ist es nicht.«

Der Erfurter Verteidiger hatte sich nur wenig zuschulden kommen lassen. Vor 15 Jahren hatte die Stasi versucht, ihn als hauptamtlichen Mitarbeiter anzuwerben. Er hatte damals abgelehnt, die folgenlosen Gespräche verschwieg er, als er nach der Vereinigung seine Zulassung beantragte.

Doppelt soviel wie er mußte nun einer seiner Kollegen zahlen, um alte Sünden loszuwerden. Für 10 000 Mark, ebenfalls an die Hilfskasse zu überweisen, verziehen die Ministerialen einem Thüringer Anwalt, daß er zehn Jahre lang als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Stasi Spitzeldienste geleistet hatte. Standesrechtler Kleine-Cosack: »Das ist eine ganz simple Erpressung.«

Dabei ging Thüringen bisher weit schärfer gegen belastete Anwälte vor als die anderen Ostländer. Das Justizministerium berief sich dabei auf das »Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter«.

Danach kann ehemaligen DDR-Juristen die Zulassung entzogen werden, wenn sie gegen »die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit« verstoßen haben, etwa während der Arbeit »als hauptamtlicher oder Inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes«.

Das Gesetz ist umstritten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hält es für »überflüssig«. DAV-Präsident Günther Schardey: »Wir waren von Anfang an gegen dieses Gesetz. Die schweren Fälle kann man über das Strafrecht regeln.«

Die Paragraphen stellen Rechtsanwälte bei der Überprüfung ihrer DDR-Vergangenheit dem Öffentlichen Dienst gleich, obwohl sie einen freien Beruf ausüben. Doch nur in gravierenden Ausnahmefällen kann ein befristetes Berufsverbot erlassen werden. Prinzipiell haben die Bewerber einen Anspruch auf Zulassung als Rechtsanwalt.

So sieht es auch der BGH. Die Richter verlangen den Nachweis, daß der abgelehnte Jurist jemandem konkret geschadet oder eine Schädigung zumindest in Kauf genommen hat. Thüringens Justizstaatssekretär Karl-Heinz Gasser (CDU) hält das für übertrieben: »Wie soll man das beweisen?«

Der BGH kassiert deshalb immer häufiger Entscheidungen der ostdeutschen Justizbeamten, zumal die teilweise auch noch schlampig recherchieren.

So hatte das Thüringer Justizministerium einer Anwältin die Zulassung entzogen, weil sie als IM angeblich 191 Berichte an die Stasi geliefert hatte. Vor dem BGH mußten die Beamten dann eingestehen, daß sie mit einer falschen Akte operiert hatten.

Um derlei Pannen und Fehlschläge zu vermeiden, versucht das Ministerium nun offenbar, sich über den Ablaßhandel schneller und sicherer mit den belasteten Rechtsanwälten zu einigen.

Die Beamten nutzten die »Hilflosigkeit und Unsicherheit der Ostjuristen aus«, schimpft Kleine-Cosack. Die Thüringer Praxis sei ein »klassischer Fall des Verkaufs von Hoheitsakten«.

Staatssekretär Gasser hält das Geschäft mit der Schuld hingegen für »völlig in Ordnung«. Bei der Zulassung von Anwälten werde eben »in Anlehnung an das Strafrecht verfahren«. Gasser: »Die müssen doch spüren, daß das in der Vergangenheit Unrecht war.« Y

»Ein klassischer Fall des Verkaufs von Hoheitsakten«

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