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LANDWIRTSCHAFT Singende Hühner

Landwirtschaftsminister Josef Ertl will die umstrittene Käfig-Haltung von Hühnern durch eine Verordnung legalisieren.
aus DER SPIEGEL 31/1981

Als die Stuttgarter Verhaltensforscherin Glarita Martin am Mittwoch vor Himmelfahrt von einer Fachtagung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Celle nach Hause fuhr, fühlte sie sich »innerlich frei und glücklich«. Endlich, so glaubte sie, war die »Stunde der Wahrheit« gekommen.

Ohne Widerspruch von den übrigen Wissenschaftlern nämlich hatte ihr Schweizer Kollege Beat Tschanz in seinem Schlußvortrag für »wissenschaftlich eindeutig« erwiesen erklärt, wovon deutsche Tierschützer und Ethologen seit jeher ohnehin felsenfest überzeugt sind: Hühner in Legebatterien zu halten sei Tierquälerei; ein Verbot dieses Haltungssystems deshalb zwingend.

Für ein solches Verbot kämpft Frau Martin im Verein mit anderen deutschen Ethologen und Tierschützern schon seit Jahren ebenso engagiert wie vergeblich.

Allenfalls eine moderne Käfig-Form mit Sitzstangen, geschützten Nestern und Staubbademöglichkeiten für das geschundene Federvieh wollen sie akzeptieren. Alles andere sei Quälerei.

Als ideal gilt den Tierschützern die Bodenhaltung, in der die Hühner ähnlich wie früher rumflattern, Körner picken und scharren könnten -- ganz so wie es ihre Art ist.

In den Hühnerfabriken können die Tiere hingegen von all ihren natürlichen Bedürfnissen nur eines wirklich befriedigen: Eier legen. Und dies auch nur, wie die Experten meinen, unter unzumutbarem Streß.

Denn mit drei oder vier anderen Artgenossen zusammengepfercht, müssen S.72 sie sich mit kaum mehr als einem halben Schreibmaschinenblatt als Stehfläche zufriedengeben.

Gegen die Pläne der Tierschützer laufen die Geflügelzüchter Sturm, die ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Produzenten anderer EG-Länder aufs ärgste bedroht sehen.

Daß Hühner in Käfigen Qual leiden, wie die Tierschützer behaupten, streiten die Hühnerhalter rundweg ab. Die Hennen in Legebatterien fühlten sich ebenso fidel wie frei pickendes Federvieh, außerdem seien sie gesünder, die Eier für den Verbraucher hygienischer.

Um keine der beiden wählerstarken Gruppen von Züchtern und Tierschützern zu verprellen, ersann Landwirtschaftsminister Josef Ertl vor fünf Jahren einen Ausweg, der ihm erlaubte, einen Entscheid hinauszuzögern: Er gab ein Forschungsprojekt in Auftrag. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten in einer Verordnung zum Tierschutzgesetz berücksichtigt werden.

Im Celler Institut für Kleintierzucht der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft starteten 1976 vergleichende Untersuchungen an »Legehennen in unterschiedlichen Haltungssystemen (Auslauf-, Boden- und Käfighaltung)«.

Auf diesen Bericht stützte der von den Hühnerforschern als unabhängiger Gutachter geladene Schweizer Ethologe Tschanz seine These, Käfighaltung sei Tierquälerei.

Dem Bonner Landwirtschaftsministerium kam die klare Stellungnahme von Tschanz freilich höchst ungelegen. Der Wissenschaftler habe, wiegelte das Ministerium auf eine Anfrage des SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Conradi ab, nur seine persönliche Meinung kundgetan.

Denn Ertls Beamte fürchten um ihre Verordnung, die diese Woche dem Bundesrat zugeleitet und nach der Sommerpause verabschiedet werden soll.

Ohne das Ende des 1,3 Milliarden teuren Forschungsprojektes überhaupt abzuwarten, hatten sie den ersten Entwurf dafür bereits im April letzten Jahres verfaßt. Die Anliegen der Tierschützer finden kaum Beachtung.

Das Papier, zürnte die »Aktion Verantwortung für das Tier« in einem Schreiben an Bund und Länder, sei nur der neueste Versuch, »quälerische Haltungsformen zu zementieren«. Prompt weigerten sich die Tierschutzverbände zunächst, überhaupt an der Anhörung des Landwirtschaftsministeriums teilzunehmen, ein, wie Ministerialdirektor Helmut Scholz findet, »einmaliger Vorgang«.

Der Entwurf aus dem Hause Ertl erlaubt die gegenwärtige Käfighaltung auch weiterhin. Weder die von den Tierschützern geforderte Sitzstange noch Nester sind vorgesehen. Nicht einmal eine Minimalgröße pro Huhn und Käfig ist darin verbindlich festgelegt.

Damit aber werde versucht, empört sich der Nagolder Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, die Straftatbestände der Tierquälerei auf dem Verordnungswege zu legalisieren. Schließlich hätten, so der Anwalt der Tierschützer, schon zahlreiche Gerichte die Käfighaltung als Tierquälerei verurteilt.

Die Tierfreunde argwöhnen, Ertl habe mit der lauen Verordnung dem Druck der um ihre Gewinne bangenden Hühnerzüchter nachgegeben. Sein Parlamentarischer Staatssekretär Georg Gallus will davon nichts wissen. Schließlich gehe es auch ihm um das Tier.

Der Beweis: Auf EG-Ebene versuche die Bundesrepublik mit allem Nachdruck, 600 Quadratzentimeter als Mindestplatz für Käfighühner durchzusetzen.

Sobald eine europäische Einigung darüber zustande kommt, wollen die Bonner dies unverzüglich in die nationalen Richtlinien einbringen. Allerdings, räumt Gallus ein, gebe es in diesem Punkt mit Partner-Staaten zur Zeit »noch einige Schwierigkeiten«.

Ein Verbot der Käfighaltung allerdings kommt für Gallus aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht in Frage. »Dann«, warnt er, »müßten wir unsere Grenzen dichtmachen.«

Und ob Hühner sich nicht doch auch auf engstem Raum wohl fühlen können, ist für den Ex-Landwirt trotz des ganzen Gutachtenstapels noch immer nicht eindeutig geklärt. »In gutgeführten Käfigen«, erzählt er aus eigener Anschauung, »singen sie förmlich.«

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