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WALD Sinne gestört

Mit Anordnungen, Jungbäume abzuholzen, tragen Behörden und Gerichte zum Waldsterben bei. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Gute Nachricht verhieß der grüne Behördenbrief, der im Februar bei dem Frankfurter Elektrokaufmann und Naturfreund Hans-Jürgen Diehl einging. »Waldpflege«, so hatte die Bezirksdirektion für Forsten und Naturschutz in Darmstadt mit roter Farbe auf das Kuvert gestempelt, »ist aktiver Naturschutz.«

Doch das Schriftstück befaßte sich nicht mit der propagierten Waldpflege, sondern kündigte einen Akt der Waldvernichtung an. Auf Diehls Grundstück bei Schotten im ländlichen Vogelsberg, so teilte die Behörde mit, werde die »ungenehmigte Aufforstung« nach der Schneeschmelze »auf Ihre Kosten beseitigt«.

Von Amts wegen fallen dann rund 1000 Fichten und Lärchen, allesamt mehrere Meter hoch und nach übereinstimmendem Urteil »gesund und in bestem Wuchs«. Diehl hatte sie vor mehr als zehn Jahren, ohne förmliche Genehmigung, direkt vor einem Hochwald angepflanzt, der inzwischen stark kränkelt.

Jahrelang beschäftigten Diehls Bäume die Behörden und Gerichte. Am Ende entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof, es sei nicht zulässig, ohne Genehmigung aufzuforsten. Im »Landschaftsschutzgebiet Vogelsberg-Spessart«, so die Richter, sei die »Neuanlage von Wald« eine Veränderung, »die die Natur schädigt und das Landschaftsbild verunstaltet«.

Das Kuriosum, daß in Zeiten des Waldsterbens die Anzucht gesunder Bäume verboten wird, ist nach Angaben des hessischen Forstdirektors Berthold von Riedesel »kein Einzelfall«. »Viele Anträge« auf Aufforstung würden jährlich »von den Forstämtern abgelehnt«, und das bundesweit. Die Genehmigungspflicht für Neupflanzungen sei nach dem Krieg in allen Bundesländern eingeführt worden, zuletzt 1980 in Nordrhein-Westfalen, »damit nicht jeder überall Wald anlegen kann«.

»Solche Gerichte und Fachbehörden«, meint der Hauptgeschäftsführer der deutschen Waldbesitzerverbände, Joachim Pampe, seien »zum Weinen«. Aufforstung werde »zunehmend verhindert«. Pampe: »Das wird immer schlimmer, geht durch alle Länder und wird immer verrückter.«

Vor Jahren noch wurden Neuanpflanzungen verboten, weil vor allem traditionelle Flächen der Landwirtschaft erhalten bleiben sollten. Waldbesitzer beobachteten dabei etliche Ungereimtheiten.

In der Gemarkung Gundhelm im hessischen Main-Kinzig-Kreis etwa mußten 1984 zweieinhalb Hektar Fichten gerodet werden, die Bäume waren drei Jahre alt und kerngesund. Die Landbesitzerin Karin Golebski hatte sie im Einvernehmen mit Bürgermeister und Ortslandwirt gepflanzt, weil kein Bauer den kargen Boden mehr bewirtschaften konnte.

Doch die örtlichen Gegebenheiten interessierten die Fachbehörden nicht. Weil das Grundstück, so der Bescheid, im Raumordnungsplan »als Fläche für die Landwirtschaft und nicht als Waldnutzfläche vorgesehen« war, mußten die Jungbäume vernichtet werden.

Mit Pflanzverboten zum Schutz der Landwirtschaft sind Behörden nach Pampes Erfahrungen mittlerweile vorsichtiger geworden, seit immer häufiger »von Flächenstillegungen und EG-Prämien« die Rede sei. Neuerdings gäben die Behörden »vermeintliche Veränderungen des Landschaftsbilds« meist als Grund für das Verbot von Neuanpflanzungen an.

Hessische Ämter etwa argumentieren immer wieder, eine »Aufforstung in der Feldgemarkung« sei als »Verunstaltung des Landschaftsbildes anzusehen«. Selbst die »Neuanlage von Hochwald am Rand der Feldflur« wurde vom Kasseler Verwaltungsgerichtshof abgelehnt, Begründung: »Veränderung der Landschaftsstruktur« und »nachteilige Auswirkungen auf Flora und Fauna«.

Anderswo ergehen ähnliche Urteile. Ein Grundbesitzer in Schleswig-Holstein hatte auf einem großen Moorgrundstück 100 Birken und Erlen gepflanzt, ohne zuvor eine Genehmigung einzuholen. Die Verwaltungsrichter in Schleswig sahen darin eine »erhebliche und nachhaltige Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und des Naturhaushalts«. Die Bäume mußten abgeholzt werden. Dabei hatte die Kammer in ihrer Urteilsbegründung selber erkannt, daß »Birken und Erlen« im Moor »auch natürlich vorkommen«.

Wegen einer Weihnachtsbaumkultur in einem Wiesental der bayrischen Rhön wurde schon 1981 das Verwaltungsgericht Würzburg bemüht. Es versuchte, den »unbestimmten Rechtsbegriff« der Verunstaltung näher zu definieren: _____« Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes liegt vor, » _____« wenn die Veränderung der Landschaft auf einen gebildeten, » _____« für den Natur- und Landschaftsschutz aufgeschlossenen » _____« Durchschnittsbetrachter unlusterregend wirkt, wenn er » _____« sich durch den Anblick verletzt fühlt. »

Mit lyrischem Talent ("Unberührtheit, die noch nicht die Hand des Menschen verrät") untersagten die Richter die Christbaum-Pflanzung. Die stehe zwar im »brachliegenden Ödland«, wirke aber »störend auf die menschlichen Sinne«. Derlei naturpflegerischen Argumenten folgen die Waldbesitzer stets dann, so Pampe, wenn es um Erstaufforstungen in ausgewiesenen Naturschutzgebieten geht. Doch auch außerhalb solcher Flächen darf nicht mehr ohne weiteres gepflanzt werden.

So mußte ein Landwirt in Niedersachsen, der eine Weihnachtsbaumkultur mit 9500 Weiß- und Blaufichten angelegt hatte, die Pflanzen auf eigene Kosten wieder roden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschied, sie stünden zwar lediglich »in unmittelbarer Nähe eines Naturschutzgebietes«; die Pflanzung sei dennoch nicht »ordnungsgemäß«, weil sie das Tierleben im geschützten Biotop beeinträchtige.

Warum selbst die Waldbesitzerverbände mit ihrem Fachwissen gegen die Entwicklung

»vergeblich anrennen« (Pampe), lernte auch der Frankfurter Waldpflanzer Diehl. Er muß seine Vogelsberg-Bäume abholzen, obwohl er im Hessischen Naturschutzgesetz gelesen hatte, daß eine »ordnungsgemäße forstwirtschaftliche Bodennutzung nicht als Eingriff in Natur und Landschaft« gelten kann.

»Ordnungsgemäß«, belehrten die Oberrichter den Kläger, sei eine Pflanzung nur, »wenn sie zulässig ist«. Zulässig sei sie jedoch erst mit der »erforderlichen Genehmigung« der Forstbehörden. Und weil die fehle und auch nicht erteilt werde, handele es sich um einen verbotenen »Eingriff in Natur und Landschaft«.

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