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Roma Sintflut im Lager

Der Vorsitzende eines Roma-Verbandes in Baden-Württemberg steht in Verdacht, an Asylbewerbern gut zu verdienen.
aus DER SPIEGEL 15/1991

Am Altar lagerten Leute, auf Kirchenbänken stillten und wickelten Mütter ihre Babys, Aldi-Tüten, Colaflaschen und Matratzen lagen überall herum. Sonntags, wenn die Gläubigen zum Gottesdienst kamen, erfüllte der Geruch von fettigem Brathendel die heilige Halle. 150 Roma bewohnten seit Weihnachten vergangenen Jahres drei Wochen lang die Tübinger Stiftskirche.

Die Besetzungsaktion, ein Protest von Asylbewerbern aus der Tschechoslowakei, aus Jugoslawien und Rumänien gegen ihre drohende Abschiebung, erregte Aufsehen und Anteilnahme über die Landesgrenzen hinaus. Sogar das tschechoslowakische Fernsehen berichtete aus der besetzten Kirche.

Jetzt beschäftigt sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft mit dem Fall: Einer der Organisatoren, der Landesvorsitzende des Zigeunerverbandes »Union Roma«, Jasar Demirov, hat angeblich an der Verzweiflungstat seiner Landsleute ganz gut verdient.

Demirov soll, was er selbst lautstark bestreitet, von asylsuchenden Roma Eintrittsgelder für den Protest im Gotteshaus verlangt haben: 500 Mark pro Person, Kinder die Hälfte.

Systematisch soll der Flüchtlingsbetreuer mit Drohungen und Einschüchterungen seine Tarife für Handreichungen bei den Landsleuten durchgesetzt haben: Petitionen an den Stuttgarter Landtag habe er, so die Beschuldigungen, beispielsweise für 300 Mark verkauft. Schon die Beratung der Ausreisewilligen in der tschechischen Heimat hätten sich Demirov-Helfer mit 50 Mark pro Kopf honorieren lassen.

Demirov war aufgefallen, weil über die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) im badischen Karlsruhe plötzlich eine »Sintflut« (ein ZASt-Bediensteter) von Antragstellern aus der Tschechoslowakei hereingebrochen war: Allein in der ersten Märzhälfte kamen 350 Roma von dort ins Asylantenlager.

Den Namen Demirov kannten auffällig viele der Asylbewerber. Er soll im Prager Fernsehen und in der tschechoslowakischen Presse für die Ausreise nach Baden-Württemberg geworben, Fahrkarten besorgt und Asyltips verbreitet haben.

In Asylantenkreisen und Betreuerzirkeln hat Demirov schon länger einen zweifelhaften Ruf. Aussagen von Betroffenen, die in Baden-Württemberg leben, bestärken den Verdacht der Ermittler, der Mann betreibe eine Schlepper-Organisation. So berichtete eine dreiköpfige Romafamilie aus Schwaben, der Zigeunerführer habe schon viele Roma »über die Grenzen gebracht«.

Eine Familie aus der Stuttgarter Gegend sagte aus, Demirov habe ihr eine _(* Bei einer Demonstration gegen ) _(Abschiebungen am 5. Oktober 1990 in ) _(Karlsruhe. ) seiner teuren Petitionen an den Landtag mit der Drohung andrehen wollen: »Ein Wort von mir und ihr müßt raus aus Deutschland.«

Im Regionalfernsehen schilderte ein tschechischer Roma seine Erfahrungen mit Demirov vor der Ausreise: »Er sagte mir, ja, wir dürfen ruhig kommen.« Kostenpunkt: 100 Mark, für den Anwalt.

Demirov wehrt sich gegen die Anschuldigungen: »Reine Lüge alles.« Er räumt zwar ein, bisweilen Geld kassiert zu haben, »aber nur zur Selbstfinanzierung« der Aktionen oder für Anwaltsbemühungen. Und sein angeblicher Werbeauftritt im tschechoslowakischen Fernsehen sei schlicht ein »Mißverständnis": Dort sei wohl ein Bericht über die Kirchenbesetzung ausgestrahlt worden, der manchen zur Ausreise bewogen habe.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker stellte sich vorerst hinter Demirov und kritisierte, daß aufs neue »der Kriminalisierung der Roma Vorschub« geleistet werde. Doch Asylantenbetreuer gehen auf Distanz zu dem Oberroma.

Der Stuttgarter Pfarrer Werner Baumgarten, 40, Sprecher des Arbeitskreises Asyl Baden-Württemberg, regte an, Demirov solle sich bis zur Klärung der Vorwürfe aus der Betreuungsarbeit zurückziehen. Wenn Zweifel an der Lauterkeit von Asylantenhelfern auftauchten, sei dies »für die ganze Flüchtlingshilfe ein gewaltiger Rückschlag« und leiste jenen Kräften Vorschub, die schon immer für die harte Tour in Sachen Asyl eingetreten seien.

Davon gibt es im Ländle genug. Der Stuttgarter Innenminister Dietmar Schlee (CDU), als besonders entschlossener Abschieber von Asylbewerbern bekannt, läßt die Kollegen von der Justiz schon wissen, er verfolge die Demirov-Ermittlungen »mit Interesse«.

An der Kundschaft des verdächtigen Zigeunersprechers demonstrierten Schlees Leute auch schon ein Exempel. Als Ende März ein Reisebus mit 40 Tschechen-Roma bei der ZASt in Karlsruhe vorfuhr, wurden die Ankömmlinge gar nicht erst vorgelassen.

Etwa 30 Polizeibeamte umstellten den Bus und zwangen die Passagiere zum Umsteigen in ein Behördenfahrzeug. Wenige Stunden später waren die Ausgewiesenen an der tschechoslowakischen Grenze. o

* Bei einer Demonstration gegen Abschiebungen am 5. Oktober 1990 inKarlsruhe.

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