IN DER EWG EINE NEUE BALANCE DER MACHT? SIR ALEC DOUGLAS-HOME
könnte als britischer Außenminister des Jahres 1971 wie ein britischer Antagonismus erscheinen: Ausgerechnet ein schottischer Großgrundbesitzer (25 000 Hektar Familienbesitz) und Aristokrat (sieben Adelstitel, davon die sechs ererbten abgelegt), ein Exemplar jener hochkonservativen Kaste, die den Schlipps von Eton, die Jagd auf das Moorhuhn und die Diplomatie aus Zeitvertreib zum Lebensgefühl kultivierte, soll der Nota für die vielleicht dramatischste Entscheidung der neueren britischen Politik sein -- für den Eintritt Englands in den Gemeinsamen Markt. Die entscheidenden Verhandlungen zwischen den Sechs und dem zweimal abgewiesenen Antragsteller beginnen am 11. Mai in Brüssel.
Gebaren 1903, als das Empire nach blühte und die Queen Victoria erst zwei Jahre tat war, hat Englands Außenminister, wie Englands konservative Partei, den Weg nach Europa dennoch leichter und gradliniger beschritten als Labour, vielleicht in der sentimentalen Erwartung einer Kompensation für vergangene Größe, vielleicht auch gefestigt durch die Erfahrung persönlichen Mißgeschicks. 1938 war Home als Privatsekretär Chamberlains an der trügerischen Besänftigung Hitlers in München beteiligt. 1940 erkrankte er an Rückenmarks-TB und lag zwei Jahre lang in Gips. 1944 tadelte er im Unterhaus den Kriegsalliierten Sowjet-Union -- und damit indirekt den eigenen Kriegspremier Churchill.
1963 wurde er, seit drei Jahren Außenminister, überraschend zum Nachfolger des zurückgetretenen Premiers Harald Macmillan ernannt. Eine starke parteiinterne Opposition warf ihm damals vor, er habe seinen Posten dem Einfluß jenes »magischen Kreises (so der konservative Mittelständler Macleod) zu verdanken, dem Home selbst entstammt.
ratsächlich reüssierte der Außenpolitiker Home als Premierminister nicht. Nach einjähriger Amtszeit führte er die Konservativen in die Wahlniederlage. Eine Aufforderung des vitalen Labourchefs Wilson, sich einem Streitgespräch mit ihm im Fernsehen zu stellen, hatte der soignierte, charmant-nüchterne Sir Alec abgelehnt: kein Parteiboß und Kämpfer, sondern ein Berufsdiplomat, der sich aus Understatement mit der Maske des Amateurs zu tarnen liebt, aber hinter einer Fassade von Bescheidenheit ungebrochenes Selbstbewußtsein hervorschimmern läßt.
Während die 1970 abgewählte Labourregierung in ihrer Innen- wie Außenpolitik oft den Weg der geringsten Widerstände wählte -- sie zog ihr Antistreik-Gesetz zurück, sie stoppte die britischen Waffenlieferungen an Südafrika -, praktizierten der neue Premierminister Edward Heath und sein Außenminister Home eine Härte, die von linken Gewerkschaften wie farbigen Commonwealth-Staaten als Provokation wirklichkeitsferner Empire-Adepten empfunden wurde. Die konservative Regierung hob das Waffenembargo für Südafrika wieder auf und erregte damit einen Proteststurm, den sie auf der Commonwealth-Konferenz in Singapur nur mühsam besänftigen konnte. Sie nahm die Herausforderung der Postgewerkschaft an, so daß dem Land ein sechswöchig er Poststreik beschert wurde -- der indes nicht den Ruf der Regierung, sondern den der Gewerkschaften schädigte. Ebenso entschlossen scheinen Heath und Home, den Beitritt Englands zum Gemeinsamen Markt zu vollziehen -- entgegen einer offenbar ständig wachsenden Volksmehrheit. Sogar auf dem Weg zur politischen Union Europas will Englands Außenminister vorangehen -- »so schnell und so weit wie die anderen«.