Sirenen in der Nacht
Neun Jahre und aus Gewöhnung
Weil alles nichts geholfen hat, soll nun McArthur helfen: der Ostasiatische Verein Hamburg-Bremen hat das amerikanische Generalkonsulat in Hamburg darauf aufmerksam gemacht, daß im mandschurischen Hafen Dairen vierzig Auslandsdeutsche, Frauen und Kinder vor allem, unter ungewöhnlichen Verhältnissen ihr Leben fristen müssen. Das Konsulat sagte Weiterleitung an das State-Department zu, mit wärmsten Empfehlungen. Der Ostasiatische Verein hofft nun, daß seine Hilferufe bis zum amerikanischen Oberbefehlshaber in Japan, General McArthur, dringen.
Während des Krieges waren die Deutschen im japanischen Einflußgebiet Dairen unbehelligt. Dann aber, als die Russen kamen, wurden die Männer abtransportiert. Die Frauen mußten sich damit abfinden, daß sie sich selbst überlassen blieben - oder auch mit schlimmerem.
Als die Russen sich vor kurzem endlich bereit fanden, Ausreisevisa zu stempeln, knüpften sie als Bedingung an: Transportmittel dürfen nur Schiffe sein, die Dairen im Tourendienst anlaufen. Das sind neben chinesischen Küstendampfern nur Schiffe die zwischen Dairen und Japan verkehren. Weil aber die amerikanischen Behörden in Japan keine Einreisevisa erteilen, war der von den Russen gewiesene Weg bisher versperrt. Hier nun soll McArthur helfen.
Durchaus ungeklärt dagegen bleibt, wer der versprengten Gruppe deutscher Seemänner helfen soll, die seit 1939, über neun Jahre also nun schon, in Portugiesisch Indien festliegt.
Am 25. August 1939 ging auf dem Motorschiff »Drachenfels« der Kapitän mit seinen Offizieren zu Rate, was in Anbetracht der internationalen dicken Luft zu tun sei: zurück nach Bombay, Bender Schapur im Persischen Golf oder einen Hafen in Italienisch-Somaliland anlaufen? Die »Drachenfels« war von Bombay nach Hamburg unterwegs.
Am 29. August lief schließlich die »Drachenfels« den Hafen Mormogao in Goa (südlich Bombay, portugiesisch) an, wo die »Ehrenfels« von der heimatlichen Hansa-Reederei bereits vertäut war. Ein paar Tage später lief als dritter bremischer Hanse-Dampfer die »Braunfels« in Mormogao ein.
110 Mann Schiffspersonal fühlten sich bei Bewegungsfreiheit auf portugiesischem Boden, bei den Lebensmitteln, Delikatessen, den Bier- und Schnapsflaschen und den Radioapparaten aus der »Braunfels« nicht eben unwohl. Die Freundschaft war mit den portugiesischen Hafenbehörden gleichermaßen herzlich wie mit den Besatzungen neutraler oder auch feindlicher Schiffe. Fußballspiele beispielsweise zwischen Engländern und Deutschen waren auf portugiesischem Rasen so lange üblich bis es der britische Konsul in Mormogao für nötig befand, die englischen sailorboys vor politischen Einflüssen von deutscher Seite zu schützen. Er brachte ein Verbot heraus, in Mormogao an englische Besatzungen Geld auszuzahlen.
Bei 18 bis 20 Grad Dauertemperatur hielten die Deutschen jahraus, jahrein in Badehose und regelmäßigem Dienstturnus Schiffe und Ladungen fit, bis der 9. März 1943 kam.
In Mormogao war an diesem Abend Karneval. Ein Teil der deutschen Besatzungen hatte Landurlaub. An Bord ging alles seinen Gang, es war Flut und pechschwarze Finsternis. Da tutete die Sirene der »Ehrenfels« durch die Nacht, Schüsse fielen, Handgranaten detonierten und die Wachen auf »Braunfels« und »Drachenfels« hörten Kampfgetümmel. Von einem Schiff unbekannter Nationalität hatte ein englisch sprechendes Prisenkommando über die Reeling die »Ehrenfels« geentert.
Ein Rollkommando stürmte die Brücke, ein anderes den Maschinenraum. Der Kampf war kurz. Die Deutschen hatten keine Waffen, und der nächtliche Angreifer machte unbekümmert von seiner Armierung Gebrauch. Schwimmend oder in Booten rettete die »Ehrenfels«-Besatzung sich und ihre Verwundeten an Land. Vorher waren die Bodenventile geöffnet worden. »Drachenfels«, »Braunfels« und die italienische »Amfora« wurden gleichfalls von ihren Besatzungen auf Grund gelegt.
Die Schiffsmannschaften, elf Tote von der »Ehrenfels« abgerechnet, wurden unter Bewachung in die portugiesische Festung Aguador gebracht. Die Gefangenschaft, von den Portugiesen als »Untersuchungshaft« motiviert, zog sich bis nach Kriegsende hin. Dann gab es Seegerichtsurteile und dreijährige Gefängnisstrafen für die Deutschen, unter Anrechnung der halben Untersuchungshaft. Nur die Landurlauber vom Karneval gingen frei aus. Weihnachten 1946 kamen die letzten Häftlinge durch Amnestie aus dem Gefängnis.
Die Freigesprochenen saßen immer noch in Mormogao. 150 Rupien Unterstützung bekam jeder im Monat. Devisen für die Ueberfahrt waren nicht greifbar.
An Heimkehr war nicht zu denken.
Was die Hansa-Linie in den letzten drei Jahren tat, bei der portugiesischen Regierung, beim Internationalen Roten Kreuz und bei den Kirchen, alles war vergebens. Vergebens auch der Versuch des Reedereichefs, auf einer Indienreise nach Mormogao vorzudringen und zu helfen.
Allerdings sind es nur noch 60 deutsche Handelsschiffer, die in Mormogao sitzen, Denn die Patentinhaber, insonderheit die Ingenieure, sind inzwischen von nach der indischen Unabhängigkeitserklärung gegründeten Reedereien wegengagiert worden. Eine kleine Hansa-Mannschaft ist auch schwarz nach Indien vorgedrungen, von den Engländern interniert und mittlerweile heimgeschafft worden.
Die 60 in Mormogao aber warten, auf was, wissen sie selbst nicht recht. Auf deutsche Konsulate vielleicht, die irgendwann doch einmal eingerichtet werden müßten. Sie warten hauptamtlich und aus Gewöhnung. Gut neun Jahre nun immerhin schon.