RADIKALE Sittliches Wohl
Volksschullehrer Uwe Hüttmann war Vorsitzender einer DKP-Wohngebietsgruppe und machte am Niederrhein beim Aufbau der »Jungen Pioniere« mit. Bei einer Konferenz der DKP fungierte er als Schriftführer, und observiert wurde er als Delegierter bei S.71 einer Versammlung in der Gaststätte »Tivoli« im rheinischen Neukirchen.
Hüttmann durfte nicht Beamter werden, weil, wer »die verfassungsfeindlichen Ziele der DKP vertritt« (Verwaltungsgericht Düsseldorf), nach westdeutschen Bräuchen eben nicht zum Pädagogen taugt -- das Übliche.
Aber auch eine ganz neue Variante des Extremisten-Erlasses wurde an Hüttmann exerziert: Dem Ehepaar wurde von Amts wegen verboten, ein Kind anzunehmen, »da nicht die Gewähr gegeben ist, daß das Pflegekind bei Ihnen im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erzogen wird« -- so der Sozialdezernent Wilhelm Pfirrmann, Erster Beigeordneter in Kleve.
Längst beschränkt sich die Radikalen-Sperre nicht mehr darauf, den Beamten-Körper der Republik von Kommunisten freizuhalten; Gesinnung interessiert in allen Lebenslagen.
In Köln wurde vorigen Monat einem Kommunisten mit ausdrücklichem Hinweis auf seine Partei-Zugehörigkeit die Wohnung, die schon zugesagt war, verweigert.
Ein staatenloser Student aus Oldenburg wurde jüngst von der Bezirksregierung Weser-Ems nicht eingebürgert, weil er Mitglied des Marxistischen Studentenbundes Spartakus gewesen war.
Und einer Krankenschwester im schwäbischen Kaufbeuren wurde von ihrem Klinikchef nahegelegt, »ihre privaten Beziehungen zu überdenken«. Als sie die Wohngemeinschaft mit einem DKP-Mann nicht aufgeben mochte, wurde ihr gekündigt.
Publik waren solche Tendenzen zuerst in Bayern geworden. In München bekam schon 1974 einer, der auf der roten Liste stand, vom Kultusminister die schriftliche Empfehlung, es wäre für seine Einstellung in den Staatsdienst »von Vorteil«, wenn er belegen könne, daß »die DKP-Mitgliedschaft der Ehefrau zur Mitbegründung des Scheidungsbegehrens herangezogen« worden sei.
Aus solcher Sicht ist es nur konsequent, den Nachwuchs überall vor schädlichen Einflüssen zu schützen. Der Beigeordnete Pfirrmann in Kleve: »Die Gesellschaft muß darauf achten, daß Kinder in einem Geist erzogen werden, der dem Grundgesetz entspricht.« Bei Kommunisten befürchtet er Indoktrination schon in der Kinderstube. Der Pflege-Kandidat Hüttmann sei zwar »kein blinder Fanatiker, aber leider ein überzeugter Kommunist«.
Das Ehepaar aus Kleve -- sie Sozialarbeiterin, er Lehrer mit Sonderschulerfahrung -- hatte sich schon vor geraumer Zeit beim Jugendamt um ein Pflegekind bemüht. Beide trauten sich auch zu, ein älteres, schwer zu vermittelndes Kind aufzunehmen. Die Sozialarbeiterin der Gemeinde fand schließlich ein 15jähriges Mädchen für sie, »drogengefährdet und ohne Halt in der Familie, ein Problemfall«, wie selbst Pfirrmann einräumt.
Sie hatte geprüft, was normalerweise geprüft wird, wenn jemand ein Kind in Pflege nehmen will: ob die räumlichen Verhältnisse ausreichen, welche Erziehungsvorstellungen das Ehepaar so hat und ob die finanziellen Verhältnisse gesichert sind. Die Sozialarbeiterin hatte keine Beanstandungen.
Was sie nicht geprüft hatte, war der Amtsspitze nicht entgangen. Hüttmann war DKP-Mitglied, und in Kleve, 45 000 Einwohner, CDU-Mehrheit, kennt man seine Kommunisten, im privaten Bereich -- Hüttmann wurde auch vom Segelverein abgewiesen -ebenso wie von Amts wegen. Pfirrmann: »Da brauchen wir keine Anfrage, keinen Verfassungsschutz.«
Die Verwaltung lehnte den Bewerber für die Pflegschaft ab. Sie berief sich auf das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG), das jedem deutschen Kind »ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischgeistigen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit« zusichert.
Die Gewähr aber, daß das Pflegekind »im Geiste der ... Demokratie und Toleranz« erzogen würde, sei bei einem aktiven DKP-Mitglied »nicht gegeben«, fanden die Stadt-Juristen. Sie stützten ihre Argumentation auf ein leicht angestaubtes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin aus dem Jahre 1965.
Damals entzog das Landesjugendamt einem Anthroposophen-Ehepaar die Pflegeerlaubnis für sieben Kinder, weil der Mann wegen einer Denkschrift in Verdacht geraten war, »Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation« zu sein. Dieser Verdacht ließ sich nicht belegen, der Mann war wohl nur ein bißchen verschroben.
»Eine politisch nonkonformistische Meinung der Pflegeperson«, so befand das Gericht, könne »das geistige oder sittliche Wohl des Kindes« nicht gefährden, Voraussetzung sei allerdings, daß sie sich »im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hält und vom Geiste der Toleranz gegenüber anderen Meinungen getragen wird«.
Der Tenor von damals und die »höchstrichterlichen DKP-Urteile« der letzten Jahre ließen Pfirrmann »keine andere Wahl«. Wenn die »Obergerichte sagen, daß Kommunisten Verfassungsfeinde sind, halte ich mich daran«.
So rigoros, wenn es die Erziehung der Kinder betrifft, geht es sonst -mit umgekehrten Vorzeichen -- nur in der DDR zu. In ihrer Verfassung ist festgelegt: »Es ist ... die vornehmste Pflicht der Eltern, ihre Kinder ... zu staatsbewußten Kindern zu erziehen.«
Dortzulande, hinter der Mauer, wird Eltern aus politischen Gründen »bei schwerer schuldhafter Verletzung der elterlichen Pflichten« gelegentlich das Erziehungsrecht entzogen.
Darüber hat Pfirrmann auch schon mal nachgedacht, doch so weit mag er nicht gehen: »Dafür reicht das Jugendwohlfahrtsgesetz nicht aus, das wär' zu viel des Guten.«