USA Skelett im Schrank
Den ersten deutlichen Hinweis gab ein Mann, der heute im Gefängnis sitzt: John Dean. einst Rechtsberater. später wichtigster Belastungszeuge des Watergate-Präsidenten Richard Nixon.
»Mein Büro«, so erzählte Dean eher beiläufig dem Watergate-Ausschuß des Senats, »erhielt regelmäßig Geheimdienstberichte über Demonstranten und radikale Gruppen -- vom FBI und, in einigen Fällen, von der CIA.« Mit anderen Worten: Im Widerspruch zum »Gesetz über die nationale Sicherheit« von 1947 war die ausschließlich für Auslandsspionage zuständige Central Intelligence Agency auch in den USA aktiv geworden.
Deans Enthüllung ging damals unter. Doch jetzt, anderthalb Jahre und einen Präsidenten später, schickt sich Amerika an, seinem berühmtesten
und umstrittensten -- Geheimdienst so gründlich auf die Finger zu schauen wie nie zuvor: Außenminister Kissinger empfahl seinem Präsidenten, eine Gruppe namhafter US-Bürger mit der Durchleuchtung der CIA zu beauftragen. Gleich vier Kongreß-Ausschüsse wollen noch in diesem Monat mit einer CIA-Untersuchung beginnen.
Den Anstoß hatte derselbe Mann gegeben. der einst das Massaker von My Lai aufdeckte. der als erster enthüllte, daß Henry Kissinger die Telephone seiner Mitarbeiter abhören, daß Richard Nixon heimlich Bomben auf Kambodscha werfen ließ und daß die CIA aktiv am Sturz des chilenischen Präsidenten Allende beteiligt war: Seymour Hersh, 37. Starreporter der »New York Times«.
Die CIA, schrieb Hersh, habe seit über 20 Jahren regelmäßig ihre Befugnisse überschritten, CIA-Agenten hätten in den USA Einbrüche begangen, Telephone abgehört, Briefe geöffnet. Allein in den Jahren der Nixon-Regierung seien Dossiers über mindestens 10 000 amerikanische Staatsbürger angelegt, seien Studenten. Vietnam-Kriegsgegner. Radikale und andere Oppositionelle, darunter »mindestens ein Mitglied des Kongresses, von der CIA überwacht worden. Hersh: »Leute wurden beschattet, Informationen über sie wurden gesammelt, und alles wurde im Computer gespeichert -- genauso wie man es sonst bei KGB-Agenten macht.«
Geleitet wurden alle diese Aktionen laut Hersh von James Angleton, 57, dem geheimnisvollen Chef der geheimnisvollen CIA-Abteilung Gegenspionage. Offen blieb nur, ob der überzeugte Katholik und Kalte Krieger Angleton (Hobbys: moderne Dichtung und Orchideen-Zucht) dabei aus eigener Sorge um die auch von Nixon und dessen Mannschaft stets bedroht gewähnte »nationale Sicherheit« oder in höherem Auftrag gehandelt hatte.
Auf jeden Fall ging nach Hersh die illegale Tätigkeit erst zu Ende, als James Schlesinger, heute Verteidigungsminister, 1973 den ins Watergate-Zwielieht geratenen CIA-Chef Richard Helms ablöste und den Dienst rigoros säuberte. Der jetzige CIA-Direktor William Colby ("Ein Skelett läßt man am besten dort, wo es ist, nämlich im Schrank") meldete seinem Präsidenten in den Wintersport, heute geschehe »nichts Vergleichbares« mehr.
Gerald Ford war das nicht genug. Er werde keine illegalen CIA-Aktivitäten in den USA dulden, versicherte er. und beauftragte Colby, die Vorwürfe zu untersuchen. Noch bevor der etwa 30 Seiten lange Colby-Bericht den Präsidenten in den Bergen von Colorado erreichte, quittierte James Angleton »auf höheren Befehl« den Dienst; drei seiner engsten Mitarbeiter ließen sich zum Jahresende pensionieren.
Die Affäre aber war damit keineswegs zu Ende, im Gegenteil. sie weitete sieh nun erst richtig aus:
>"Time« enthüllte, zu den CIA-Geschädigten habe auch William 0. Douglas gehört, der liberalste der neun Richter am Obersten Bundesgericht, gegen den der Abgeordnete Gerald Ford 1970 ein Impeachment-Verfahren in Gang zu setzen versucht hatte.
* E. Howard Hunt, einer der geistigen Väter des Watergate-Einbruchs. wiederholte gegenüber Hersh, was er dem Watergate-Ausschuß bereits in geheimer Sitzung anvertraut hatte: daß er der erste Chef einer CIA-Abteilung für Aktivitäten im eigenen Land ("Domestic Operations Division") gewesen sei, die in mehreren Städten der USA geheime Büros unterhalten und zum Beispiel im Wahlkampf 1964 den republikanischen Kandidaten Goldwater überwacht habe.
* Angleton und seine früheren Mitarbeiter gaben zu verstehen, die Domestic Operations Division habe in den USA erheblich mehr Spionage betrieben und andere illegale Aktivitäten entfaltet als die Abteilung für Gegenspionage.
Welches Ausmaß diese Aktivitäten zuweilen annahmen, ließ sich die »Washington Post« von einem früheren CIA-Agenten berichten. Der wußte zwar nichts von CIA-Maßnahmen gegen amerikanische Bürger, aber was er wußte, war im Grunde noch vernichtender für die Berufs-Spione:
Um die von ausländischen Botschaften ausgestrahlten und von einem anderen US-Geheimdienst, der National Security Agency. routinemäßig aufgezeichneten Funksprüche entschlüsseln zu können, seien CIA-Agenten auf der Suche nach Code-Büchern mehrfach in ausländische Vertretungen eingedrungen -- so 1972 in die Botschaft von Chile, so zuvor schon in die israelische Botschaft, aber auch in Vertretungen fremder Staaten am Sitz der Uno in New York, obwohl sich die Vereinigten Staaten ausdrücklich verpflichtet haben, geheimdienstliche Maßnahmen gegen Uno-Diplomaten zu unterlassen.
Im CIA-Hauptquartier in Langley nahe der Hauptstadt nahmen die Spionage-Bürokraten die neuen Enthüllungen keineswegs leicht. »Das ist explosiv«, sorgte sich ein CIA-Beamter schon angesichts der ersten Hersh-Enthüllungen, »das könnte das Ende der CIA bedeuten.«
Was es tatsächlich bedeutet, wird Gerald Ford vermutlich noch in der zweiten Januar-Woche bekanntgeben. Bis dahin kann Amerika angeblich beruhigt schlafen, denn -- so Fords Pressesprecher Ron Nessen: »Was immer bei der CIA geschieht, der Präsident wird laufend darüber unterrichtet.«