BUNDESWEHR Skelett im Schrank
Karl Wilhelm Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, beschwor seinen ehemaligen Oberbefehlshaber: »Helmut, daß du mir jetzt aber auch Geld gibst für die Hochschulen. Das muß laufen.«
Wirtschafts- und Finanzminister Schmidt, der während seiner dreijährigen Amtszeit auf der Hardthöhe die Bundeswehr-Hochschulen selber durchgepaukt hat, beruhigte den Freund trotz aller Finanznöte: »Sicher kriegst du das Geld.«
Schmidt kann sich bei seiner Zusage abf einen Beschluß des Kabinetts vom Juni berufen. Damals hatten die Minister die Bundeswehr-Pläne zur Neuordnung von Bildung und Ausbildung in der Armee akzeptiert. Künftig sollen alle längerdienenden Soldaten ein auch zivil verwertbares Training. die Offiziere gar ein Studium absolvieren.
Nachfolger Georg Leber ("Das wird im Oktober Wirklichkeit") hält trotz Widerstands von allen Seiten an dem Projekt fest. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz ließ durch ihren Präsidenten Gerald Grünwald verkünden: »Wir bedauern die Entscheidung. Der Verband Deutscher Studentenschaften ("Ausweitung des Militarismus") formulierte linke Kritik.
Und der eher konservative Deutsche Bundeswehrverband. Lobby für 143 000 Soldaten, befürchtete die »totale Verwissenschaftlichung« des Offizierkorps. Die ganze Reform. so befand Verbandsvorsitzender Oberstleutnant Heinz Volland. sei vom Schwanze her aufgezäumt. Berkhan: »Daß die Kritik von links so stark ist, hat mich etwas überrascht, daß wir der Kritik von rechts ausgesetzt sein würden, war mir klar.«
Am empfindlichsten traf die sozialdemokratischen Wehrpolitiker der Mängelkatalog des Rektoren-Kollektivs. Mit ihrer Warnung, die Bundeswehr-Hochschulen könnten Vorläufer für andere Sonder- und Privatuniversitäten werden, zeigten die Professoren ein Problem auf, das auch die Bildungs-Experten des Ministeriums nicht ohne weiteres abtun. Major Dr. Eckart Opitz, Staatssekretärs-Adjutant und auf die Probleme der Ellwein-Reform spezialisiert: »Hier muß man einfach ehrlich sein, das ist theoretisch denkbar -- aber es spricht nicht viel dafür.«
Tatsächl ich wäre es nach dem Grundgesetz möglich, daß der Bundesfinanzminister seine Zollräte, die Länder-Justizminister ihren Juristen-Nachwuchs an Sonder-Hochschulen ausbilden. Indes, sogar Kritiker Grünwald mußte bestätigen: »Anzeichen dafür sind noch nicht bekannt.«
Weitere Ministerial-Hochschulej~ sind auch auf Dauer kaum zu erwarten. Dazu ist die Interessenlage des öffentlichen Dienstherren bei Soldaten und Beamten zu verschieden.
Der Beamte erwirbt an den Universitäten auf eigene Kosten das Rüstzeug für einen Beruf, den er nach seiner Wahl dauernd ausübt. Der Zeitoffizier hingegen muß nach spätestens 15 Jahren in einen zivilen Zweitberuf überwechseln. Ohne den Anreiz der kostenlosen Ausbildung für den zweiten Job sind junge Bundesbürger kaum noch bereit, den Erstberuf des Zeitoffiziers zu wählen.
Berkhan versteht die Sorge der Rektoren, aber: »Daß wir ohne Not ein Präjudiz schaffen, stimmt nicht. Der Personalmangel der Bundeswehr ist unbestreitbar eine Not.«
Die Bundeswehr-Oberen wollen mit dem Studienbeginn der Offiziere keinesfalls länger warten als bis zum 1. Oktober 1973. Die fachkundigen Professoren der Rektorenkonferenz bezweifeln allerdings, daß die Soldaten bis dahin arbeitsfähige Hochschulen einrichten können.
Major Dr. Peter Balke vom Stab des Beauftragten für Erziehung und Bildung hält derlei Befürchtungen für unbegründet:, »Die wissen gar nicht, was wir alles haben: in München den technischen Apparat der Heeres-Fachschule für Ingenieurbauwesen, dazu die Technik und den didaktischen Apparat der Luftwaffenakademie in Neubiberg. In Hamburg ist es ähnlich. Außerdem haben wir da wie dort zwei große Bibliotheken.«
Auch die Bedenken der Rektoren, ob die Militärs überhaupt einen »qualifizierten Lehrkörper für wissenschaftlich leistungsfähige Hochschulen« zusammenbringen können, teilen die Bundeswehr-Bildungsplaner nicht. Im Ministerium liegen zahlreiche Bewerbungen von Universitäts-Professoren unter Verschluß. Zudem ergab eine Bestandsaufnahme allein im Bereich des Heeres, daß dort rund 150 Personen mit akademischer Lehrbefähigung Dienst tun. Zwei Drittel von ihnen sind Zivilisten, rund dreißig haben sogar die Qualifikation für eine Professur.
Schon ein »Sofortangebot« der Magnifizenzen im Februar, Offizieren Studienplätze an öffentlichen Hochschulen zu offerieren, hatte die Soldaten nicht sonderlich beeindruckt. Gänzlich abgeschreckt von dieser Art des Studiums wurden die Hochschulplaner in Uniform, als das Ergebnis einer Umfrage zwischen Kiel und Konstanz bekannt wurde.
Fast durchweg wollten die Rektoren erst mal Kasse sehen. TH Braunschweig: »Angabe erst nach Kenntnis der Studiengänge und der zusätzlichen Mittel«; Uni Regensburg: »Stellungnahme erst nach Kenntnis der Studiengänge sowie der zusätzlichen Kapazitäten«; TH Karlsruhe: »Quote nach Abstimmung und Kostenbeteiligung«.
Ein besonders dürftiges Angebot machte Grünwalds Alma mater: Der Fachbereich Informatik in Bonn versprach »mit zusätzlichen Anstrengungen im Wintersemester 74/75 zehn Plätze«.
Der kümmerliche Bescheid der Rektoren, der mit der Zusage von Studienplätzen für die fernere Zukunft ohnehin nicht verbunden war, bestärkte die Ellwein-Truppe in ihrer Überzeugung. nur bundeswehreigene Hochschulen anvisieren zu müssen. Ihr Planziel liegt für 1976 bei 3600 Offizier-Studenten. Die Anstalten sind so großzügig geplant, daß zusätzlich auch 1200 Zivilisten dort studieren können.
Im eigenen Haus wollen die Militärs dann »einen Teil der allgemeinen Hochschulreform vorwegnehmen« (Major Dr. Klaus von Schubert vom Münchner »Wissenschaftlichen Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften"). Das Studium soll in drei Jahren anstatt bisher in mindestens vier absolviert werden. Anstelle von jährlich zwei Semestern (sieben Vorlesungsmonate) tritt das »Studienjahr« mit neun Monaten Lehrbetrieb.
Die uniformierten Bildungsexperten sind überzeugt, den Zivilisten voraus zu sein. Major Balke: »Mit dem dreijährigen kondensierten Studiengang einschließlich Anleitstudium, Diplom und großer Berufsbezogenheit sind die Universitäten nicht vorangekommen. Da haben die ein Skelett im Schrank.«
Die ersten Lehrpläne ("Curricula") für verkürzte Studiengänge haben die Experten vom Wissenschaftlichen Institut inzwischen im Verteidigungsministerium abgeliefert: Betriebs- und Verwaltungswissenschaften, Pädagogik, Elektronik, Luft- und Raumfahrttechnik sowie Bauingenieurwesen.
Wichtig und politisch brisant ist vor allem der ebenfalls fertiggestellte und für alle Einzel-Lehrpläne gleichlautende »Allgemeine Teil« mit dem Kapitel »Zur Situation der Gesellschaft«.
Schubert befürchtet: »Darüber wird"s noch Trouble geben, wie immer, wenn es um Aussagen zur Gesellschaft geht -- obwohl wir keine extremen Positionen bezogen und keinen Verbal-Radikalismus getrieben haben.«
Die Curricula sind sprachlich so abgefaßt, daß sie an Abiturienten und Leutnante verteilt werden können. Künftige Studenten sollen sich frühzeitig darüber informieren, für welches Fach sie sich entscheiden wollen.
Berkhan-Adlatus Opitz ist überzeugt von der Fortschrittlichkeit des Bundeswehr-Bildungskonzepts. Doch plagen ihn Sorgen ums politische Profil der Beteiligten: »Uns wäre lieber, »wir bekämen anständigen Beschuß von rechts, damit der Reform-Ansatz deutlicher wird. So stehen wir ja geradezu als Reaktionäre da.«