Zur Ausgabe
Artikel 10 / 80

BUNDESPRÄSIDENT So kömmt's

Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich entschieden: Der Berliner Bürgermeister Richard von Weizsäcker soll im nächsten Jahr Nachfolger von Bundespräsident Carstens werden. *
aus DER SPIEGEL 34/1983

Kanzlerberater Eduard Ackermann wunderte sich. Wochenlang hatte Helmut Kohl von seinem Urlaubsort am Wolfgangsee aus alle Fragen nach dem zukünftigen Bundespräsidenten barsch zurückgewiesen. Des Kanzlers Gehilfen mußten sich an die vorgegebene Sprachregelung halten: Kohl sei noch nicht festgelegt, er lasse sich keine Personaldiskussion aufreden, es bestehe »überhaupt kein Entscheidungsbedarf«.

Am vorletzten Donnerstag aber schien es so, als wolle der Regierungschef bei der Aufzeichnung eines Interviews mit dem Bonner ARD-Korrespondenten Friedrich Nowottny doch noch verraten, daß auch er sich für Berlins Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker entschieden hat.

Unverhofft hatte der Kanzler plötzlich die ausgetretenen Pfade abgesprochener Leerformeln verlassen und sich auf einen Ausflug »in die Geschichte meiner eigenen Partei« begeben - mitten hinein in die für die Union entscheidenden Jahre 1968/69. Er wisse, so Kohl, »von Fehlern, die gemacht wurden im Vorfeld der Benennung von Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten«. Und: »Ich möchte nicht zulassen, daß wir diese Fehler wiederholen.«

Zur Erleichterung von Kohl-Intimus Ackermann fragte Nowottny nicht nach, welche »Fehler« der Kanzler meine. Der ARD-Mann hatte seinen Gesprächspartner, wie er später vor Kollegen bekannte, falsch verstanden. Nowottny war der Meinung, Kohl habe auf eigene, leidvolle Erfahrungen bei der Benennung von Kanzler-Kandidaten anspielen wollen.

Andernorts freilich kam die verschlüsselte Botschaft an. »Das war«, meint ein Genscher-Vertrauter, »das Signal an uns, daß Kohl - trotz absoluter Unionsmehrheit in der Bundesversammlung - einen Präsidentschaftskandidaten präsentieren will, den auch wir ohne Bauchschmerzen wählen können.« Diese Bedingung aber erfüllt nur Richard von Weizsäcker. Wäre er schon 1968 als Kandidat aufgestellt worden, darauf spielte der Kanzler mit seiner Bemerkung an, hätten viele Liberale den Christdemokraten gern zum Präsidenten gewählt.

Weder Bundestagspräsident Rainer Barzel noch der Chef der Unionsfraktion, Alfred Dregger, könnten sich gegen ihn Chancen ausrechnen. Sie wollen auch nur antreten, falls Weizsäcker verzichten sollte.

Die Wertschätzung, die der Regierende Bürgermeister auch bei politischen Gegnern genießt, verdankt er nicht zuletzt seinem Einsatz in der Problemstadt Berlin. Der eigenen Partei bescherte Weizsäcker das Glücksgefühl, endlich auch in der ehemaligen SPD-Hochburg den Ton angeben zu können.

Die Argumente, die für den Wahl-Berliner sprechen, überzeugen offenbar auch die Sozialdemokraten. Sie wollen nicht einmal einen Zählkandidaten gegen Weizsäcker aufstellen. Der Hintergedanke: Weil die Genossen wissen, daß sie gegen den Regierenden Bürgermeister Weizsäcker bei den nächsten Wahlen in Berlin keine Chance hätten, käme ihnen sein Weggang gelegen.

Wäre es nach dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, gegangen, hätten die Christdemokraten aus dem Renommee ihres Parteifreundes Weizsäcker schon sehr viel früher Kapital schlagen sollen. Er wie zahlreiche seiner Parteifreunde glauben, daß die Union die Präsidentschaftswahl im Mai 1969 gewonnen hätte, wenn die CDU/CSU - anstelle des konservativen Verteidigungsministers Gerhard Schröder - den damaligen Präsidenten des Evangelischen Kirchentages, von Weizsäcker, gegen den Sozialdemokraten Gustav Heinemann aufgeboten hätte. Kohl war, ebenso wie CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger, damals überzeugt, mit der Kandidatur von Weizsäckers könne die Union verhindern, daß die FDP dem Votum ihres Vorsitzenden Walter Scheel folgt und nahezu geschlossen Heinemann wählt.

Scheel selbst hat, so berichtet der Historiker Arnulf Baring, im Herbst 1968 keinen Zweifel daran gelassen, in welche Zwickmühle die Union ihn brächte, falls sie Weizsäcker anstelle Schröders nominierte. Er traue sich zwar zu, so Scheel laut Baring zu Kiesinger, »das eigene Lager gegen Schröder zusammenzuhalten«. Träte jedoch Weizsäcker an, könne es zu einer gespaltenen Stimmabgabe der FDP kommen - zu Lasten Heinemanns und der SPD.

Baring: »Kiesinger nahm es sich noch zehn Jahre später übel, daß er damals nicht so weit gegangen sei, in den eigenen Reihen mit seinem Rücktritt zu drohen, um Weizsäcker durchzubringen.« Am 15. November 1968 votierte das Wahlmännergremium der CDU/ CSU gegen Weizsäcker. »Wesentlich mit dem mißtrauischen Argument«, schreibt Baring, »man habe nichts gegen ihn, weil man ihn ja gar nicht kenne.«

Dieses Argument gilt heute nicht mehr. Weizsäcker zählt zur ersten Garnitur der CDU - ein Grund mehr für den langfristig planenden Kohl, den Mann auf den Stuhl des Bundespräsidenten zu heben, ehe er ihm je als Konkurrent gefährlich werden könnte. Schließlich weiß er, daß weder Barzel noch Dregger ihm jetzt noch das Kanzleramt streitig machen könnten.

Dennoch hat der Kanzler zeitweilig mit dem Gedanken gespielt, Barzel als Bundespräsidenten zu favorisieren, um auf den freiwerdenden Sessel des Bundestagspräsidenten den Chef der Unionsfraktion, Dregger, zu setzen. Kohl war verärgert, weil der ehemalige hessische CDU-Chef sich gleich nach der Bundestagswahl demonstrativ auf seinem Bonner Posten zurückmeldete und öffentlich erklärte, er bleibe Fraktionschef.

Weil Kohl unpopuläre Entscheidungen verabscheut, hat er seine Gedankenspiele inzwischen eingestellt. Das Medien-Echo in der Sommerpause hat ihm gezeigt, daß es unklug wäre, wegen Bonner Postenschiebereien auf Weizsäcker zu verzichten.

Die Entscheidung für Weizsäcker löst allerdings Kohls Dilemma nicht. Je eher er sich öffentlich für seinen Favoriten erklärt, desto mehr Zeit haben die Sozialdemokraten, einen Gegenkandidaten für die nächste Wahl in Berlin aufzubauen. Je länger er schweigt, desto ärgerlicher werden die Berliner Parteifreunde, die endlich Klarheit haben wollen.

Um aus dieser Klemme zu kommen, wählte Kohl einen Mittelweg: Mit dem Hinweis auf frühere »Fehler« bei der Benennung von Präsidentschaftskandidaten gab er zu erkennen, daß Weizsäcker sein Mann ist. Kohl zu Nowottny: »Ich weiß ziemlich genau, was ich will.«

Zugleich aber lehnte er es entrüstet ab, jetzt schon Namen zu nennen: »Ich denke nicht daran, mich zu Personalien zu diesem Zeitpunkt öffentlich zu äußern.« Kohls Fazit: »Das, was ich gesagt habe, ist für den Augenblick völlig ausreichend.«

Auch seine Gehilfen in Bonn tun immer noch so, als sei die Entscheidung offen. Begründung: Es sei außerordentlich schwierig, einen Nachfolger für Berlin zu finden, der Weizsäcker ersetzen und den auch die FDP akzeptieren könne. Doch die Bonner FDP hat schon einen Favoriten, den Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, dessen Name in der Sommerpause gezielt lanciert wurde.

Zwar versuchte das Kanzleramt auf Kohls Weisung, dieses Gerücht gleich im Keim zu ersticken. Aber für Genschers Staatsminister Jürgen W. Möllemann besteht kein Zweifel, daß Rommel genau der Richtige wäre: »In der Frontstadt Berlin ein Mann mit diesem Namen - der wird gewählt.«

Der so Hofierte selbst hält sich zurück: »Ich will gar nichts erklären. Ich erkläre auch nicht, daß ich nichts ausschließe.«

Mit vornehmem Understatement äußert sich auch Richard von Weizsäcker. Er zitiert seinen Lieblingsspruch: »Es kömmt, wie es kömmt und so kömmt''s.«

Ein Bonner Christdemokrat ist ganz sicher: »Wenn Weizsäcker will, dann wird er es auch. Der Mann sieht doch aus, als sei er in der Villa Hammerschmidt geboren.« _(Oben: nach der Wahl Heinemanns zum ) _(Bundespräsidenten am 5. März 1969; ) _(unten: nach seinem Stuttgarter Wahlsieg ) _(im November 1982. )

Oben: nach der Wahl Heinemanns zum Bundespräsidenten am 5. März1969;unten: nach seinem Stuttgarter Wahlsieg im November 1982.

Zur Ausgabe
Artikel 10 / 80
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren