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GEHEIMDIENSTE / GRENZKONTROLLEN So naiv

aus DER SPIEGEL 32/1968

»Das Beste, was wir für Prag jetzt tun können«, dozierte Bundesaußenminister Willy Brandt, »ist, nichts zu tun.« Bonn halte sich »strikt an das Prinzip der Nichteinmischung«, beteuerte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Und seine Bundesregierung, darauf bedacht, die südöstlichen Nachbarn vor ungebetener sowjetischer Waffenhilfe zu bewahren, verlegte das Manöver »Schwarzer Löwe« von der tschechischen Grenze ins neutrale Schwabenland.

Doch während die Koalitionsregenten bemüht sind, das schonbedürftige Prager Reformwerk nicht zu belasten, wird die Bonner Doktrin der Enthaltsamkeit von einer Bonner Behörde beharrlich ignoriert.

»Wir müssen aufpassen«, so mahnte letzte Woche der Bundestagsabgeordnete Martin Hirsch, 55, »daß hier kein Mißbrauch getrieben wird.« Und diese Sorge bewog auch das FDP-MdB Werner Forsch, 53, am Montag vergangener Woche zu einer parlamentarischen Anfrage: »Was verspricht sich die Bundesregierung davon, daß die deutsche Grenzpolizei die polizeilichen Kennzeichen von deutschen Wagen und die Namen ihrer Besitzer, die aus der CSSR in die Bundesrepublik fahren, notiert?«

Alarmiert worden war Porsch von dem Bundesbürger Bruno Gebhardt*, der am »Tag der deutschen Einheit« mit seiner Ehefrau im Kraftwagen Prag besucht hatte, um dort Wiedersehen mit Verwandten aus Leipzig zu feiern.

Bei der Rückfahrt über den tschechisch-bayrischen Grenzübergang Rozvadov-Waidhaus machte Reisender Gebhardt ("Ich habe den Tag der deut-

* Der Name wurde von der Redaktion geändert.

schen Einheit würdig und gewiß im Sinne seiner Erfinder begangen") eine Beobachtung, die er drei Tage später in einem Brief der FDP-Bundestagsfraktion in Bonn übermittelte: »Dort werden die Fahrzeug-Kennzeichen der in die Bundesrepublik einreisenden Bürger der Bundesrepublik Deutschland von der bayrischen Grenzpolizei notiert und in eine Liste eingetragen.«

Von dem Bayern-Grenzer, der auch ihn registrierte, hatte Staatsbürger Gebhardt Auskunft erbeten, welche Bedeutung die Schreiberei habe. Der Freistaat-Beamte weigerte sich, Aufklärung zu geben, und Grenzgänger Gebhardt argwöhnte: »Die Tatsache, daß eine Auskunft ... nicht erteilt wurde, läßt darauf schließen, daß es sich um eine Verwaltungsmaßnahme zur geheimen Observation der CSSR-Reisenden handelt.«

Der Verdacht bestand zu Recht, und ohne Umschweife bestätigte das bayrische Innenministerium der FDP-Bundestagsfraktion mit Schreiben vom 22. Juli: »Eine Registrierung der Kennzeichen der Kraftfahrzeuge ist aber auch aus Gründen des Staatsschutzes von Bedeutung ... Die Paßnachschau ... umschließt auch die Befugnis, Wahrnehmungen zu sammeln, die für die Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Länder von Bedeutung sein können.«

FDP-MdB Werner Porsch, Schreinermeister in Speichersdorf im bayrisch-tschechischen Grenzbezirk, schloß aus dem Eingeständnis des Münchner Innenministeriums, daß bundesdeutsche Behörden »so naiv ... auf diese Weise etwaigen Ostagenten auf die Spur kommen« wollten.

Doch hier irrte Parlamentarier Porsch. Denn durch diese Grenzkontrollen sollen nicht Ostagenten aufgespürt, sondern Westagenten angeworben werden. Und Bayerns Grenzpolizisten notieren zu diesem Zweck nicht nur Autonummern, sondern auch Namen und Adressen aller Bundesbürger, die auf Straße oder Schiene die Grenzpfähle des Freistaates Bayern in beiden Richtungen passieren.

Die Namenslisten werden durch Kuriere von den Grenzübergängen Schirnding, Waidhaus und Furth im Wald dem Präsidium der bayrischen Grenzpolizei, Referat D 2 (CSSR-Grenze), München 22, Königinstraße 17, zugestellt. Von dort aus befördert ein Bote die Personenregister täglich zum Hauptquartier der westdeutschen Auslandsaufklärung -- zum Bundesnachrichtendienst (BND) in München-Pullach.

Der BND, unter seinem Präsidenten Gerhard Wessel dem Bundeskanzleramt direkt unterstellt und mit einem Jahresetat von über hundert Millionen Mark sowie 5000 Mitarbeitern vornehmlich zur Spionage im Ostblock angesetzt, filtert die Namenslisten nach potentiellen Informanten.

CSSR-Rückkehrer, die den Auswertern des BND interessant und sprechbereit erscheinen, werden von V-Männern des Geheimdienstes angelaufen und über Interna aus der Tschechoslowakei ausgehorcht. Als besonders willfährige Plauderer gelten in Pullach deutsche Staatsbeamte.

Die so praktizierte Auslegung des Kanzler-Prinzips von der Nichteinmischung durch den Kanzler-Geheimdienst erläuterte SPD-MdB Martin Hirsch, Mitglied des Parlamentsausschusses zur Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste, letzte Woche dem SPIEGEL: »So arbeiten nun mal alle Geheimdienste der Welt. Das ist nicht schön, aber wohl nicht zu ändern.« Und ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf die Frage, ob nicht durch Befehl an die Grenzer die Zulieferung von Personalien an die Pullacher zu stoppen sei: »Bayerns Grenzpolizei untersteht uns nicht.

In der Tat unterhält der Freistaat Bayern als einziges Bundesland eine eigene Grenzpolizei, die allein Weisungen des Innenministeriums ·in München unterliegt. Und nicht immer war der Draht zwischen Bayerns Grenzwächtern und Pullachs Geheimdienstlern so kurz geschlossen. In einem Protokoll vom 25. Oktober 1950 klagte die »Organisation Gehlen«, Vorläuferin des BND: »An dieser Stelle sei noch ein weiterer für den Nachrichtendienst untragbarer Umstand zu erwähnen. Laut amtlicher (angeblich!) Vorschrift der bayrischen Grenzüberwachungsbehörden müssen sämtliche zurückkommenden und von der bayrischen Polizei aufgegriffenen Agenten. trotz Nennung einer bestimmten Telephonnummer, im Profil und en face photographiert und ihre Fingerabdrücke genommen werden.«

Zwar wollen Bayerns Grenzhüter den Kleinkrieg mit den geheimen Grenzgängern nicht wieder aufflammen lassen. Ihre Bereitschaft zu weiteren Dienstleistungen an den BND kühlte letzte Woche jedoch ab.

Das Münchner Innenministerium befahl seinen Schrankenwächtern, von Reisenden nur dann Notiz zu nehmen, wenn durch die Registrierung der Verkehrsstrom nicht gestoppt werde.

In der ersten Jahreshälfte 1968 wechselten 368 000 Bundesdeutsche über die deutsch-tschechische Grenze.

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