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LIBANON So nett

Während sich der Bürgerkrieg zum Nordlibanon verlagert, weitet sich Israels Einfluß in den Südlibanon aus -- mittels ärztlicher Hilfe, Bonbons und Benzin.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Mahmud, 6, aus Jahmur im Südlibanon, fieberte seit Wochen. Doch aus seinem Heimatdorf hatte sich der einzige Arzt schon längst nach Zypern abgesetzt, das Bezirkskrankenhaus in Mardschajun konnte den Jungen nicht aufnehmen, Arzneien sind nicht einmal zu Schwarzmarktpreisen aufzutreiben.

Mahmuds verzweifelte Eltern suchten sein Heil einige Kilometer südlich, im Feindesland Israel.

Aus Jahmur und Dutzenden anderer Dörfer südlich des Litani-Flusses ziehen jeden Morgen Autokolonnen in Richtung des 117 Kilometer langen »Zauns der Tränen«, der seit Jahren Israels Territorium mit Stacheldraht, spanischen Reitern, Leuchttürmen, elektronischen Warnanlagen und Minen gegen Eindringlinge aus dem Libanon schützt.

Doch heute bietet er vier Stunden täglich zwei halblegale Grenzpassagen: Unweit der Landstraße von Damaskus zur Küste stehen die einzigen Wegweiser des Libanon mit hebräischer Inschrift: »Marpea« (Klinik), und mit arabischen Erläuterungen: Empfangsstunden von zehn bis zwölf und von 14 bis 16 Uhr.

Kranke Libanesen lassen sieh von israelischen Grenzern ohne besondere Kontroll-Prozeduren zu Militärzelten und Ambulanzen mit dem roten David-Stern begleiten, meistens Kinder oder hochschwangere Frauen, von denen einige auf israelischem Boden entbunden haben und mitunter ihren Kindern den Vornamen des jüdischen Geburtshelfers geben. Etwa 50 Patienten mußten bisher in ein Krankenhaus ins Landesinnere gebracht werden.

Auch Flüchtlinge kommen aus dem Libanon, so 18 Schülerinnen eines griechisch-katholischen Klosters bei Beirut, die in einem Kloster bei Jerusalem Unterkunft fanden.

Israel erweitert ständig sein humanitäres Engagement im heimgesuchten Land der Zedern, um die Beziehungen, wenn nicht zwischen beiden Ländern, so doch wenigstens zwischen den Einwohnern der Dörfer an der Grenze zu bessern, damit diese Nachbarn in Zukunft als aktive Helfer der Terroristen ausfallen.

Mehrere Wasserleitungen wurden bis in den Libanon verlängert, weil niemand dort Brunnen, Pumpanlagen oder Leitungen repariert. Im kleinen Grenzverkehr wird gehandelt: Die Libanesen kaufen -- auch von jüdischen Kaufleuten -- Mehl und Zucker sowie, einmalig in der arabischen Welt, Benzin aus dem Judenstaat. Sie liefern -- von der Versorgung aus dem eigenen Hinterland abgeschnitten -- hauptsächlich Frischgemüse (eine Kiste Gurken für einen Dollar).

Die Firma Dubek aus Tel Aviv hat die gesamte Tabakernte mehrerer Grenzdörfer erworben. Sie bezahlt die Libanesen in libanesischen Pfunden (die von der israelischen Regierung dafür freigegeben wurden; denn in Israel sind Devisen rationiert).

Eine Gruppe tüchtiger Investoren bereitet schon eine Art Supermarket bei Metulla vor, der speziell für den Warenaustausch zwischen den Bauern auf beiden Grenzseiten bestimmt ist. Israel-Premier Rabin: »So etwas kann man wirklich als Ankurbelung unseres Exports bezeichnen.«

Doch für alle diese Aktivitäten wünscht sich die Jerusalemer Regierung möglichst wenig Publizität, um sie nicht zu gefährden: Auch die erfolgreiche Politik der offenen Brücken am Jordan. nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, begann mit kleinen, lokalen Initiativen.

Die Goodwill-Zeichen an Israels Nordgrenze, am Zaun der Tränen, nannte Verteidigungsminister Peres »eine Politik des offenen Zauns": Israel gewinnt Schritt für Schritt Einfluß im Niemandsland Südlibanon, während sich seine arabischen Feinde in Beirut gegenseitig zerfleischen und den Bürgerkrieg nun in den Nordlibanon tragen.

Die syrischen Interventen sind zum Süden nicht vorgedrungen, um sich nicht mit den Israelis anzulegen. Die streitbaren Palästinenser. die den Südlibanon einst als »Fatah-Land« in Anspruch genommen hatten, sind insgesamt nach Norden ins Gefecht gezogen.

Auch Verwundete des blutigen Bürgerkriegs haben sich schon in den israelischen Feldlazaretten hinter der Grenze eingefunden. »Das ist die einzige Stelle der Welt, wo Juden, Christen und Moslems kooperieren, um Leiden zu mildern«, befindet der für die Sicherheit am Checkpoint verantwortliche Hauptmann Nachum.

Unter dem weißen Ärztekittel tragen die jüdischen Samariter ihre Uniformen. Sie behandeln täglich an die 150 Kranke.

Den kleinen Mahmud aus Jahmur untersuchte Dr. Fabian Abraham bei Metulla in einem Zelt, das zwischen erntereifen Äpfeln in einem Hain genau an der Stelle steht, wo im November vergangenen Jahres drei Mann eines palästinensischen Terrortrupps von einer israelischen Patrouille gestellt und getötet wurden.

Reservist Abraham ist im Zivilleben Augenarzt im Jerusalemer Hadassa-Krankenhaus und erhielt vorigen Monat einen Preis der Jerusalemer Universität für seine Forschungsarbeit über »Ophthalmologie im Talmud«. Bei Jung Mahmud diagnostizierte er Mandelentzündung, verschrieb Antibiotika und gab das Medikament den Eltern gleich mit.

Heilmittel -- auch auf Attest libanesischer Ärzte -- sind wie die Behandlung kostenlos. Den Tagessatz in einem israelischen Krankenhaus (120 Mark) trägt das israelische Sicherheitsministerium.

Israelische Soldaten bieten an der Grenze den Besuchern aus dem Libanon Kaffee und den Kindern Bonbons an, neuerdings auch eine Geheimwaffe des guten Willens: Lutscher für Säuglinge. »So nett«, versicherte ein Grenzer dem SPIEGEL, »werden wir nicht empfangen, wenn wir zum Krankenkassenarzt gehen müssen.«

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