WAHLEN So nicht
Acht Bonner Koalitionsherren setzten sich am letzten Freitag im Palais Schaumburg zum Souper an den runden Mahagonitisch. Der neunte blieb im Bayrischen Wald.
Kanzler Erhard hatte die Spitzen der Regierungsparteien zum Liebesmahl geladen, um endlich Koalitionsfrieden zu stiften und damit die Wurzel des gemeinsamen Wahlübels vom vorletzten Sonntag auszureißen.
Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatte die SPD um 5,9 beziehungsweise 4,4 Prozent Stimmenanteil zugenommen und dabei in vielen Gemeindeparlamenten die absolute Mehrheit erreicht oder erweitert. CDU und FDP büßten hingegen in Nordrhein-Westfalen je zwei Prozent Stimmenanteil ein, während sie in Niedersachsen zwar frühere DP- und BHE-Wähler übernahmen, den Zuwachs der SPD aber auch dort nicht verhindern konnten.
Am Morgen nach den Kommunalwahlen war Koalitionskanzler Erhard mit dem Minister Krone und dem amtierenden Fraktionsvorsitzenden Barzel zu Rate gegangen, wie die Wahlpanne zu reparieren sei. Barzel: »Das ist ein ernster Denkzettel für uns.« Erhard dachte an die Auseinandersetzungen mit seinen Koalitionspartnern von CSU und FDP: »Ja, ja, das Zerfleischen muß aufhören.«
Barzel regte an, sich mit den Herren von der FDP alsbald einmal abends in Ruhe beim Essen zusammenzusetzen; Herr Strauß und Herr Weyer müßten unbedingt dabeisein.
Krone empfahl, der Herr Bundeskanzler möge dann aber mit dem Kollegen Strauß vorher noch unter vier Augen sprechen.
Am Dienstagabend zitierte Erhard den bayrischen Störenfried ins Kanzleramt. Erhard hielt ihm vor, die CSU verfolge neuerdings eine unbegreifliche Separatpolitik. Es gehe nicht an, daß ein parteioffizielles CSU-Organ, der »Bayern-Kurier«, vom Parteivorsitzenden Strauß selber herausgegeben, dauernd die Regierungspolitik, den Kanzler und den Außenminister vor aller Öffentlichkeit angreife.
Mit Eloquenz konnte Strauß darauf verweisen, daß er am selben Tag im außenpolitischen Arbeitskreis der Fraktion immerhin für Schröders Europa-Pläne (SPIEGEL 40/1964) votiert habe. CDU-Direktor Dufhues und sein Stellvertreter, der Verteidigungsminister von Hassel, rapportierten am Morgen nach der Wahl dem Parteipatriarchen Adenauer im Urlaubsquartier Cadenabbia über den Wahlausgang.
Adenauers Sohn Georg hatte schon telegraphiert und das Debakel im Heimatstädtchen Honnef-Rhöndorf vermeldet: CDU verliert im Stadtrat die absolute Mehrheit.
Was Dufhues über die absolute Mehrheit der Sozialdemokraten in Köln zu berichten wußte, verbiesterte den einstigen kölnischen Oberbürgermeister noch mehr. Dufhues hinterher zu Freunden: »Das hat den alten Herrn richtig mitgenommen.«
Adenauers Wahlkampfgeist aber blieb ungebrochen: »Das Ergebnis ist vielleicht gerade zur rechten Zeit gekommen, um die CDU in letzter Minute aufzurütteln.«
Von den Deutungen der Wahlniederlage durch Erhard, Krone und Barzel, daß der Hader von CDU mit CSU und FDP schuld sei, wollte der Altkanzler gar nichts wissen. Seine Schuld-These: »Der Herr Erhard hat eine sehr unglückliche Hand.« Adenauer zählte auf: - die Erhöhung der Telephongebühren,
- die Behandlung der Kriegsopfer,
- den Honorarstreit mit den Ärzten
und
- den Affront gegen General de Gaulle.
Resümee: »So macht man's einfach nicht.«
Adenauer nannte noch einen zweiten Sündenbock: »Der Herr Schröder belastet das deutsch-französische Verhältnis.«
Die Freien Demokraten waren schon einen Tag vor dem Wahldesaster von Nordrhein-Westfalen im Kreis ihres geschäftsführenden Vorstandes mit sich zu Rate gegangen, der in Klausur auf der Bonner Rosenburg versammelt saß. Im Amtszimmer des Justizministers Bucher debattierte man über den Schlachtplan für die Bundestagswahl im nächsten Jahr.
Die Geschäftsführer der Partei und der Fraktion trugen die Forschungsergebnisse ihrer Demoskopen vor. Die Analyse offenbarte ein Dilemma: Koalitionskrach in Bonn zahlt sich nicht aus, aber brave Anpassung an die CDU macht die FDP in den Augen des Wählers überflüssig.
Der Vorstand einigte sich auf eine taktische Linie:
- den bürgerlichen Habitus der Partei
betonen,
- die Bereitschaft zur Koalition mit der
SPD nicht andeuten,
- die Schuld an Koalitionsquerelen
immer wieder der CDU/CSU zuschieben.
Wahlkämpfer Willi Weyer aus Nordrhein-Westfalen verbürgte sich kategorisch: »Ich werde jeden Gedanken an einen Friedensschluß mit Strauß rücksichtslos bekämpfen; das laß ich mir durch keinen Parteibeschluß abkaufen.« Zwischenruf: »Willi, mach mal Pause!«, Den FDP-Vorstehern erschien eine Schonzeit für Strauß zweckmäßig, damit das Pulver nicht vorzeitig verschossen wird. Zum Bundestagswahlkampf aber wollen alle vereint Strauß aufs Korn nehmen.
An dem Nach-Wahl-Souper im Palais Schaumburg, das außer dem Kanzler-Minister Westrick die Christdemokraten Krone, Dufhues, Barzel und die Freidemokraten Mende. Weyer und Zoglmann bei Erhard vereinte, nahm Franz-Josef Strauß nicht teil. Er sagte kurzerhand ab und präsidierte lieber seiner Landesgruppe im Sporthotel Brennes am Großen Arber nahe der tschechischen Grenze.
Derweil hatte das SPD-Präsidium das Thema Wahlen nebenher erledigt, unter dem Tagesordnungspunkt »Politische Berichte«. Intensivere Beratungen waren überflüssig, denn die nächsten Gemeindewahlen in Hessen. Rheinland-Pfalz und an der Saar Ende Oktober hat die SPD längst nach jenem Plan vorbereitet, der in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen funktionierte.
Und das Elektronengehirn der SPDZentrale hat bereits vorausberechnet, daß sich der SPD-Trend zwischen Saar und Werra fortsetzen wird.
Urlauber Adenauer in Cadenabbia
Telegramm vom Sohn