TOURISMUS So riesig
Wenn einer, im Zeitalter des Massentourismus, eine Reise tut, kann er vielleicht was erzählen, nur wer will"s noch hören?
Elefanten am Kilimandscharo, im rollenden Hotel durch die Sahara, Kopfjäger auf Borneo, mit dem Hundeschlitten durch Grönland, das sind von Touristikunternehmen angepriesene »Abenteuer- und Erlebnisreisen«. Aber, ach, dank Organisation kann von Abenteuer meist keine Rede sein, und was erlebt werden soll, steht flott getextet im Prospekt.
Nun endlich können frustrierte Globetrotter aufatmen. Ein bayrischer Bierbrauerei-Arbeiter aus dem 642-Seelen-Dorf Bonstetten bei Augsburg, der Kreuz Erwin, 50, hat bewiesen, daß aus einem vorprogrammierten ADAC-Billigflug nach Amerika etwas Atemberaubendes, Einmaliges, ja möglicherweise das ganze Leben Umkrempelndes werden kann. Bedingung: Der Mensch muß sich irren können.
Als schwäbisch-bajuwarischer Niemand, mit einem nur vom deutschen Fernsehen geschürten »Californian dream« in der fettgepolsterten Brust, war Erwin Kreuz am 3. Oktober nach San Francisco aufgebrochen. Als »instant celebrity« ("Associated Press"),
* Mit San Francisco-Bürgermeister Moscone (r).
der »ganz Amerika zu Füßen lag« ("Abendzeitung« München), kehrte er am Dienstag vergangener Woche heim.
Seine wunderbare Reise begann da, wo Nordamerika, von Europa aus gesehen, anfängt: im nordöstlichsten US-Bundesstaat Maine, in Bangor, weil dort die »World Airways«-Maschine zwischenlandete, das Reisegepäck zwecks Zollkontrolle ausgeladen wurde. Während sich andere Passagiere die Füße vertraten, wähnte sich der Bonstettener schon am Ziel seiner Träume. Er bestieg ein Taxi, tat dem Fahrer eine seiner sehr wenigen englischen Vokabeln kund ("sleep") und landete in einem Hotel. »Weil in Amerika doch alle Entfernungen so riesig sind«, dachte sich Kreuz nichts Böses, als er auf Anhieb nichts von dem erblickte, was San Francisco so auszeichnet. Dieses Bangor konnte ja doch ein Vorort sein.
Drei Tage lang durchstreifte der Bayer Bangor mit ungebrochener Zuversicht, die Hügel, die Bucht, die Golden-Gate-Bridge doch noch mal zu finden. Als er dann »die Schnauze voll« (Kreuz) hatte und einem Taxifahrer einen Zettel vor die Nase hielt, auf dem geschrieben stand, er wolle in die Innenstadt von San Francisco, klärte der ihn auf über das 3000-Meilen-Mißverständnis, »Verratzt« war er, und: »Sakrament, hab« ich geflucht.«
Dann ging er sein Wanderers-Leid klagen in ein Lokal mit Namen »Black Rose«. Dessen Wirt Ralph Kaufmann war deutsch und clever genug, hier eine Story fürs Lokale der heimischen Zeitung zu wittern.
Überwältigender Trost wurde dem Bonstettener Odysseus zuteil, der zuvor nur einmal mit dem Flugzeug (nach Berlin) geflogen war. Tag um Tag vermeldeten Zeitungen, Radio und Fernsehen von immer neuen Demonstrationen amerikanischen Entzückens.
Bürgermeister Brontas ernannte Kreuz zum Ehrenbürger und übergab ihm den Schlüssel der Stadt, der Maine-Gouverneur James Longley schmiß ihm eine Party, rote Teppiche wurden ausgerollt, Bangor-Bürger Bill Ellwood schenkte dem Gestrandeten eine eigene Scholle von einem Hektar, der Stamm der Penobscot-Indianer erkor ihn zum Bruder ehrenhalber, drei Bangor-Damen boten Haushalt, Hand und Herz.
Da endlich mochte San Francisco, Kreuzens ursprüngliche US-Liebe, nicht nachstehen. Der »San Francisco Examiner« schickte ein Freiticket.
Aller Aufwand -- Cadillac-Anfahrt zum Bürgermeister, Festbanketts unter anderem im weltberühmten »Empress of China«-Restaurant. Ehrenbürgerschaft in der San Franciscoer Chinatown, der um »Wong« bereicherte kreuzdeutsche Name -- all das beeindruckte den Bayern aber wenig.
Erwin grantelte, es gäbe keine Bäume in San Francisco. Und mögen Komponisten ihre Herzen dort zuhauf verloren haben, Bonstettens Erwin Kreuz hatte seins fest vergeben, an Bangor.
Von seiner Fluggesellschaft mit einem überdimensionalen Anhänger in deutsch und englisch ("Bitte, in Frankfurt/M. aussteigen lassen") vor neuen Abenteuern bewahrt, hatte nun Bonstetten die Ehre der Ehrung.
Blasmusik gab es, eine Straßen- und eine Wanderweg-Benennung nach Erwin und Freibier in Strömen. Was war das schon für Erwin, den Erlebnisreichen? »I am a Bangorer«, hatte er allen kundgetan. Später dann schlief er am Zechtisch im Rathaus zu Bonstetten ein.