So wenig Staatsmacht wie möglich
In der durch das diplomatische Tauziehen fieberhaft gereizten deutschen Atmosphäre kamen wie schon mehrmals in den letzten Monaten Abgesandte mehrerer Parteien zu zwischenparteilicher Fühlungnahme zusammen: Vertreter der SPD, der CDU und der FDP trafen sich in Braunschweig. Sogleich wurden auch die Chefs dieser Parteien als Tagungsteilnehmer gemeldet.
Inzwischen ist sowohl die Anwesenheit Dr. Adenauers wie die Dr. Schumachers dementiert worden. Aus Köln wurde außerdem bekannt, daß der CDU-Führer der britischen Zone erkrankt sei, so daß statt seiner Herfords Oberbürgermeister Dr. Holzapfel zu der Berliner Tagung der CDU-Arbeitsgemeinschaft reisen mußte.
Die CDU der britischen Zone entfaltet noch vor Einleitung des Wahlkampfes eine rege Aktivität. Nachdem Konrad Adenauer für die Zeit nach den Wahlen einen Burgfrieden zwischen den Parteien vorgeschlagen hat, erläuterte er noch am Montag vor den Wuppertaler Unternehmern das Programm, das im Landtag von Nordrhein-Westfalen mit den Stimmen der SPD durchgesetzt wurde.
Diese Entscheidung im Industriezentrum ist noch nicht endgültig. Die Haltung der FDP nach den Wahlen steht noch nicht fest, die Militärregierung hat noch nicht gesprochen und eine gesamtdeutsche Regelung liegt immerhin noch im Bereich der Möglichkeiten. Doch in privaten Gesprächen (zwischen den Requisiten des als Theaterraum dienenden Persil-Hauses) bezeichneten auch SPD-Abgeordnete die Vorschläge der CDU als klug und aussichtsreich.
Sie sollen eine neue Wirtschaftsform entwickeln, und CDU-Stimmen verwahren sich gegen die Lesart, die Landtagsvorschläge bedeuteten eine Spielart des Sozialismus, ebenso wie gegen den Vorwurf, sie dienten der Reaktion als Tarnung.
»Der Staat darf so wenig Macht haben wie möglich«, betonte Adenauer in Wuppertal. »Jede Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in einer Hand muß zum Verlust der Freiheit und zu gesteigerter Bürokratie führen.« Adenauer, der sich gleichzeitig für eine Organisation der Unternehmer einsetzte, forderte für den Bergbau, die Eisen- und Stahlindustrie, die Groß-Chemie und sonstige Unternehmungen monopolartigen Charakters, mehr als die Hälfte der Stimmen müßten sich in Händen von Vertretern des nichtprivaten Kapitals befinden. Staat, Land, Kreis, Städte, Genossenschaften und Arbeiter gehörten dazu. Aber kein Vertreter des »nichtprivaten Kapitalismus« dürfe mehr als 15 Prozent der Stimmen haben, und kein Vertreter des privaten Kapitals direkt oder indirekt mehr als 10 Prozent.
Adenauer prophezeite das Ende des Sozialismus, da auch dessen Gegenspieler, der Kapitalismus, tot sei.
In FDP-Kreisen spricht man davon, daß mehr als ein Leitsatz im CDU-Programm von den FDP-Fachleuten hinzugetragen worden sei. Beim Zentrum hingegen läßt man durchblicken, daß die auseinanderstrebenden Strömungen innerhalb der CDU die kompromißlose Durchführung eines klaren Wirtschaftsprogramms unmöglich machen würden.
Daß Adenauer den Arbeitnehmern gewinnmäßig und im Betriebsrat mehr Einfluß gewähren will, führt man beim Zentrum auf den Einfluß der Männer um den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Nordrhein, Karl Arnold, zurück. Das »fortschrittliche Wollen« des langjährigen christlichen Gewerkschaftlers, der in dieser Woche seinen 47. Geburtstag begeht, wird anerkannt. Der gleichzeitige Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf erklärte in Berlin, wo er mit Gustaf Gründgens verhandelt haben soll, die Vorherrschaft des privaten Kapitals werde in Nordrhein endgültig gebrochen.
Das Zentrumsorgan »Rhein-Ruhr-Zeitung« fordert ihn und den gleichaltrigen Sozialminister Josef Gockeln auf, mit der Reaktion zu brechen. Das neue Zentrum sei von reaktionären Einflüssen gereinigt.