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KORRUPTION So widerwärtig

aus DER SPIEGEL 8/1950

Als die pommerschen Kartoffelzüchter aus Labes im Februar 1945 vor dem Russensturm mit drei Planwagen lostreckten, nahmen sie ein paar Säcke »Böhms Mittelfrühe«, »Ackersegen« und »Erdgold« mit. Damit bauten sie in Wittenmoor im Altmark-Kreis Gardelegen eine neue Zuchtstation für die volkseigene »Deutsche Saatzuchtgesellschaft« (DSG) auf. Als sie im Februar 1950 nächtens westwärts flüchteten, hatten sie nur noch leichtes Marschgepäck. Alles Erdgold ließen sie zurück, um nicht auch noch in das Kesseltreiben um die ostzonalen Saatzüchter hineingezogen zu werden.

Das Ende der großen Säuberungsaktion der DSG war eine Jagd auf Haase. Vor die Zentrale in der Berliner Linkstraße fuhr ein blauer Skoda der »Kommission für Staatliche Kontrolle« und holte Generaldirektor Gustav Haase ab. Seinen Schreibtischinhalt beschlagnahmte Spezialist Toni Ruh.

Inzwischen sind im ganzen Ost-Staat 44 Mann aus den DSG-Büros abgeholt worden. Offiziell wurde allerdings nur die Verhaftung des kaufmännischen Leiters des 1945 enteigneten Stammbetriebes von Rabbethge und Giesecke in Klein-Wanzleben, Paul Steidtel, gemeldet.

Er habe den enteigneten Firmeninhabern, die jetzt in Einbeck und Holzminden ihre weltbekannten Zuckerrübensorten weiterzüchten und den Volkseigenen in Kleinwanzleben erhebliche Konkurrenz bieten (siehe SPIEGEL Nr. 2/50 »Steine in der Pumpe"), Aktienpakte im Werte von 22 Mill. in die Hände gespielt.

Der sächsisch-anhaltischen »Landeskontrollkommission« kam diese »Millionenschiebung« sehr gelegen, um dem rechten Flügel der CDU wieder einmal »volksfeindliche reaktionäre Umtriebe« anzuhängen. Steidtel war führender CDU-Funktionär im Bördekreis Wanzleben und dem SED-Landrat Bitterlich schon längst ein Widernis.

Von den Schiebergeschäften der nur zum Teil jetzt verhafteten Landes- und Kreisbeauftragten der DSG - die durch die Bank Genossen sind - schwiegen die Kontrollberichte. Um so lauter schimpften darüber die jahrelang geneppten Neubauern. Trotz ministerieller Anordnung weigern sie sich, ihr selbsterzeugtes Saatgut gegen DSG-Hochzucht bei 100 Prozent Preisautschlag umzutauschen. Was sie an Rücklieferung erhielten, war oft nicht mehr keimfähig.

Als die mit Millionen-Beträgen staatlich subventionierte DSG im vergangenen Frühjahr auf ihren Eliten und Hochzuchtsaaten sitzenblieb, weil die Bauern in Käuferstreik getreten waren, konzentrierten die zum Rapport nach Berlin bestellten Genossen Landes- und Kreisbeauftragten ihre Abwehr nach der Haltet-den-Dieb-Methode auf die »alten reaktionären Fachleute«, die der damalige Generaldirektor Dr. jur. Dreykorn stützte. Der hatte einmal erklärt, mit politischen Bildungsabenden ließen sich keine neuen Kartoffelsorten züchten.

Das leuchtete selbst Paul Merker ein. Neue Frühkartoffelsorten waren seine Privatliebhaberei. Staatssekretär Merker war damals noch erster Landwirtschaftsreferent im Zentralsekretariat der SED und hatte seine mexikanischen Emigrationsbeziehungen spielen lassen, um mexikanische Wildkartoffeln hereinholen zu lassen. Für die Kreuzungsversuche waren ihm die von Dreykorn unterstützten Fachleute unentbehrlich. Protektor Dreykorn, Nachkriegssozialist und zeitweiliger Landrat von Erfurt/Land, war als juristischer Beirat gerade noch tragbar.

Als Paul Merker seinen Freund Gustav Haase, früher Melker, dann Leiter des volkseigenen Mustergutes Hammer bei Liebenwalde, in die Linkstraße holte, wurde Dreykorn verhaftet. Nachfolger Haase wollte wissen, daß die Luxusvilla, die sich Dreykorn bei Friedrichsbrunn im Harz bauen ließ, von den Samenschiebungen der Quedlinburger volkseigenen Züchter (früher Dippe, Mette und Schreiber) mit finanziert worden sei.

»Der ganze Korruptionsskandal ist so widerwärtig, daß unsere Presse sich auf keinen Fall damit beschäftigen darf«, sagte Gustav Haase zu einem Ostjournalisten kurz nach seiner Beförderung zum Generaldirektor. Staatskontrolleur Fritz Lange habe verboten, das Thema DSG-Korruption aufzurollen, da es rein intern behandelt werden müsse.

Die gründliche Untersuchung scheiterte an den unberechenbaren Eingriffen der sowjetischen Kontroll- und Handelsorgane. Aus den Speichern in Klein-Wanzleben, Quedlinburg, Torgau und Bernburg mußten in kurzer Zeit Tausende von Tonnen Hochzuchtgetreide, Zuckerrüben-, Kohl- und Blumensämereien für Rassno-Export verladen werden. Bei diesem »Stoßgeschäft« teilten sich russische Kommissionäre und DSG-Lagerhalter den Gewinn der nebenher verschobenen Mengen.

Wegen dieser Querverbindung zur Besatzungsmacht verliefen sich alle Ermittlungen gegen den ehemaligen DSG-Beauftragten aus Haases Heimatkreis Liebenwalde, der 50 Zentner Kohlsamen auf eigene Rechnung verkauft hatte, ebenso klanglos wie die Kontenüberprüfung des Landesbeauftragten der DSG in Halle, Otto Lerke, der sich in drei Jahren ein Privatkonto in Höhe von 62000 Mark zulegte.

Bei der letzten Dienstbesprechung in der Linkstraße erklärte Haase vor seinen Kreisbeauftragten: »Die Hälfte von Euch müßte man zum Teufel jagen ...«

Im Quedlinburger Saatzuchtgebiet gehörte selbst der SED-Volkskorrespondent zu den Hauptschiebern, die vor kurzem eingesperrt wurden. Zur Ablenkung schrieb er Schmähartikel über die »reaktionären Fachleute« der DSG im »Neuen Deutschland«.

Diversen Fachleuten wurde dieses Intrigenmanöver schließlich zu simpel, so daß sie sich wie die Wittenmoorer Pommern absetzten. Auch der Expert für den ostzonalen Zuckerrübensamenanbau, Dr. Oberndorf, verließ unabgemeldet die volkseigenen Zuchtgärten von Klein-Wanzleben.

Nun müssen die Mitschurins der SED-Betriebsgruppe selber sehen, wie sie Matthias Christian Rabbethges Erbe, die hochgezüchtete Zuckerrübe mit 20 Prozent Maximalzuckergehalt, leistungsfähig halten. Der Spezialistenverlust ist Landwirtschaftskontrolloffizier Michnin von der sowjetischen Kontrollkommission sehr fatal. Die Sowjets hatten auch mit Dr. Oberndorf besondere Pläne.

Der festgenommene Altkommunist Gustav Haase soll nun verantworten, durch grobe Fahrlässigkeit und mangelnde Dienstaufsicht das Abwandern der alten Fachleute verschuldet zu haben.

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