Sogar Chefredakteur verschont
(Nr. 42/1975, Gewitter)
Es gibt nicht nur Kugelblitze, manchmal beehren sie sogar Redaktionen. So in Riga in den dreißiger Jahren. Schauplatz: die Räume der »Rigaschen Rundschau«. Gegenüber dem Gebäude des Blattes ragte die »Domkirche« empor. An diesem alten Gemäuer zerbarst eine intensiv strahlende Lichtkugel während eines Gewitters in zahlreiche kleinere Kugeln. Gespenstisches geschah nun in den verschiedenen Stockwerken der »Rundschau": Im dritten Stock, in der Redaktion, wanderte eines dieser etwa Tennisball großen Gebilde durch das Empfangszimmer, über die Köpfe der zwei Sekretariatsdamen hinweg, durch eine offene Tür zum Vorraum der Chefredaktion und zerknallte mit bleibenden Spuren an den Kacheln eines Ofens. Im zweiten Stock war gerade eine Sitzung des Verwaltungsrates im Gang. Die Herren erstarrten erschreckt, als über dem Kopf ihres Vorsitzenden eine Art Heiligenschein aufleuchtete. Im technischen Betrieb wanderte ein ähnliches Gebilde über die »Gassen« der Handsetzerei hinweg schnurstracks zu jener Fensterecke hin, wo der »Umbruch« stattzufinden pflegte. Die Kugel beendete ihren Besuch an einem hölzernen Fensterkreuz genau im Rücken des Umbruch-Redakteurs. Die kürzeste Lebensdauer hatte eine Lichtkugel, die vom rückwärtigen Eingang sich direkt in den Keller der Rotation begab, dort mit einem Krach in die Marmortafel mit den E-Schaltern der Rotationen hineinfuhr. Die Maschinen standen.
Apensen (Nieders.) WERNER A. GROSBERG
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