LEHRER Sogar Würstelessen
Im Freistaat Bayern kann ein pädagogisches Talent offenbar in kürzester Zeit völlig verkümmern.
Vor zwei Jahren galt der Junglehrer Rüdiger Offergeld. der am Münchner Luitpold-Gymnasium Unterricht in Deutsch, Sozialkunde und Religion erteilt, noch als »aufgeschlossener Lehrer« mit »spürbarem Erfolg« und »einer gepflegten Sprache«, den Schüler »auf allen Stufen voll angenommen« hatten.
Aber nun ist der 32jährige Studienrat »äußerst leistungsschwach und unbelehrbar«, »nachlässig« und »unfähig, sich in den Klassen durchzusetzen«, sein Unterricht macht »den Eindruck von Improvisation": »Unordnung, Schreien und Lärmen, Herumlaufen und Werfen von Kreidestücken. sogar Würstelessen« nimmt er »als unabänderliche Gegebenheit hin«.
Lehrer Offergelds Arbeit wurde von seinem Schuldirektor Georg Lachenmayr erst mit der Note 2 ("sehr tüchtig"). neuerdings aber mit der schlechtestmöglichen Note 7 ("entspricht nicht den Anforderungen") zensiert. Daß Lehrer ähnlich wie Schüler beurteilt werden, gibt es nur in Bayern, aufgrund der dort so genannten »Regelbeurteilung«.
Gegen Offergeld, den angeblich ungeeigneten Studienrat z. A. ("zur Anstellung"), leitete Bayerns Kultusminister Hans Maier Ende Januar ein Entlassungsverfahren ein. Dabei wurde mit nachweislich so unqualifizierten Methoden vorgegangen, daß aus dem Fall Offergeld ein Modellfall fehlerhafter Personalpolitik zu werden scheint. Die ministerielle Aktion gegen Offergeld stützt sich unter anderem auf ein 21-Seiten-Gutachten des Studiendirektors Albert Schlereth. Hauptpunkte: Von dem Lehrer sei der Lehrplan »allenfalls gelegentlich und dann nur unzureichend eingehalten« worden, und sein Religionsunterricht stimme nicht »mit den Grundsätzen des katholischen Bekenntnisses« überein.
Schlereth gutachtete aufgrund von schriftlichen Schülerarbeiten und setzte damit sich und seinen Auftraggeber der Kritik aus: Es sei, so urteilte der Tübinger Theologieprofessor Norbert Greinacher in einem Gutachten über das Schlereth-Gutachten, »ein völlig unmögliches Unterfangen, aus schriftlichen Arbeiten von Schülern auch nur einigermaßen abgesicherte Rückschlüsse zu ziehen auf den Lehrinhalt des Unterrichts selbst, vor allem im Zusammenhang eines Dienstentlassungsverfahrens«. Insofern erklärte Greinacher das Gutachten für »völlig wertlos«. Und überdies widerspreche das, was Schlereth als bekenntniswidrig monierte, »in keinem einzigen Punkt« der katholischen Religion.
Kaum minder fragwürdig ist es auch, daß Offergelds Leistungen im Deutschunterricht an dem »veralteten. reformbedürftigen Lehrplan« von 1964 gemessen wurden, wie der Frankfurter Deutsch-Didaktiker Professor Valentin Merkelbach in einem weiteren Gutachten kritisierte.
Auch alles, was sonst im Fall Offergeld geschah, läßt den bodenlosen Noten-Sturz und das Vorgehen gegen Offergeld unglaubwürdig erscheinen:
* Offergeld-Schuler demonstrierten klassenweise für ihren »ausgezeichneten Pädagogen und Fachlehrer«, Eltern priesen seine »klugen Denkanstöße« und den »nachhaltigen Wert« seiner »segensreichen Tätigkeit für unsere Kinder«.
* Offergeld-Anwälte fanden heraus, daß sich der Schuldirektor bei Unterrichtskontrollen mit ein paar Minuten begnügte, und werteten sein Kontrollresultat als »konzentriertes Ergebnis der Voreingenommenheit und persönlichen Spannungen«. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) droht dem Offergeld-Direktor Lachenmayr mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, dem Kultusministerium mit einer Verwaltungsklage gegen die »von jeder Sachlichkeit siriusferne dienstliche Beurteilung«.
Tatsächlich ist der politische Hintergrund des Falles kaum zu leugnen. Studienrat Offergeld ist seit einem Jahr Bundesvorsitzender des Ausschusses junger Lehrer und Erzieher in der GEW. Und obschon Bayerns Kultusminister Hans Maier wiederholt versicherte, die gegen Offergeld erhobenen Vorwürfe würden sich »ausschließlich auf den dienstlichen Bereich« beziehen, rügt das Ministerium im 17seitigen Entlassungsschreiben gleich passagenweise Äußerungen des GEW-Funktionärs Offergeld etwa Auszüge einer im »GEW-Kursbuch« wiedergegebenen Rede:
Kollege Offergeld berichtete über die Disziplinierung der Referendare in der Seminarausbildung ... Er verwies auf die vielfältigen Möglichkeiten, unterhalb der Schwelle des Berufsverbots »mit legalen Mitteln« Lehrer ... einzuschüchtern. Die psychischen Folgen dieser Ausbildung zum funktionierenden Staatsdiener sind in der Regel verheerend erfolgreich: Angst, Mangel an Zivilcourage, politische Apathie, totale Passivität.
»Schließlich ist zu vermerken«, so -- ohne Beleg -- der ministerielle Bericht, »daß Studienrat z. A. Offergeld für eine enge Zusammenarbeit zwischen GEW und Kommunisten eintritt. Er wird zum harten Kern der entsprechenden Gruppe innerhalb der GEW gezählt.«
Die Lehrer-Gewerkschaft ist zum Kampf auch deshalb entschlossen, weil am extremen Beispiel Offergeld veranschaulicht werden kann, welchen Disziplinierungscharakter die dienstliche Lehrerbeurteilung im Freistaat Bayern hat. Kultusminister Maier ließ im letzten Jahr die Richtlinien der Lehrerbenotung derart verfeinern und gleichzeitig verschärfen, daß sie »jederzeit für eine subtile Zermürbungstaktik hinreichen« (GEW-Sprecher Klaus Weinzierl).
So wurde der Noten-Katalog in den nun vorgeschriebenen Worturteilen so elastisch, -- daß zwischen einer 2 ("sehr tüchtig") und einer 5 ("entspricht voll den Anforderungen") kaum wahrnehmbare Unterschiede liegen; selbst eine 6 »entspricht noch den Anforderungen« -- Der Ermessensspielraum für die notengebenden Direktoren wurde erhöht, die Widerspruchsmöglichkeiten der benoteten Lehrer wurden verringert.
Und wie sich das Ermessen künftig auszuwirken hat, schrieb Minister Maier seinen Rektoren durch eine interne »Orientierungshilfe« obendrein vor: Noten von 1 bis 3. die zur Beförderung berechtigen, durfen demnach nur maximal 30 Prozent der Lehrer bekommen; Noten von 4 bis 6 sollen die übrigen erhatten, die damit auf Jahre von der Übernahme ins Beamtenverhältnis und von der Beförderung ausgeschlossen sind. Die Note 7, die Offergeld-Beurteiler Lachenmayr vergab, soll offenbar eine Rarität bleiben.
Das Prozent-Puzzle hat sich nach Erhebung der Lehrer-Gewerkschaft schon bei der ersten Beurteilung nach der Neuregelung kräftig ausgewirkt. Während früher der Zensurendurchschnitt bei 1,7 lag, rutschte er nun auf 3,98 herunter. Studienräte z. A., die früher häufig schon nach anderthalb Jahren ihre Probezeit beenden durften, wurden nun überwiegend mit Note 5 abgefertigt und müssen weiter warten.
»Die 5 als Regelnote«, so der GEW-Landesverband, »besorgt den erwünschten Dämpfer für die weitere Laufbahn. Hochdienen ist wieder die Devise.«