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DDR / KIRCHENKAMPF Sogenannte EKD

aus DER SPIEGEL 13/1967

Zwischen der »freien und unabhängigen evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik« und der »durch den Militärseelsorgevertrag der Nato verhafteten ... evangelischen Kirche in Westdeutschland«, so proklamierte im Februar Gerald Götting, Chef der Ost-CDU, »gibt es keine Institutionelle Einheit«. Und Göttings Parteifreund Dr. Heinrich Toeplitz, Präsident des Obersten Gerichts der DDR, ergänzte im März: »Die unabhängige und eigenverantwortliche Kirche in der DDR hat mit der westdeutschen Militärkirche nichts gemein.«

Gleichwohl will die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kirchendeutsche Einheit bewahren: Sie hat für die Zeit vom 1. bis 7. April die Vertreter der acht ostdeutschen und 19 westdeutschen Landeskirchen zur EKD-Synode, dem gesamtdeutschen Kirchenparlament, nach Berlin einberufen.

Zwar tagen die Synodalen getrennt -- die 78 westdeutschen Kirchenparlamentarier im Spandauer Johannesstift, die 42 ostdeutschen Abgeordneten auf dem Boden der DDR. Aber sie versammeln sich zur selben Zeit mit derselben Tagesordnung zum selben Zweck: Neuwahl des Vorsitzenden und der 15 Mitglieder des Rats der EKD für die neue, sechsjährige Amtsperiode.

Ob dieser Versuch, die organisatorische Einheit des deutschen Protestantismus für weitere sechs Jahre zu sichern, gelingen wird, ist freilich auch jetzt noch, vierzehn Tage vor Beginn der Synode, ungewiß. Denn daß die SED diese letzte gesamtdeutsche Verklammerung sprengen möchte, ist nicht erst seit den Attacken ihrer CDU-Gefolgsleute Götting und Toeplitz offenkundig. Die Kirchenspaltung steht seit wenigstens zehn Jahren auf der Wunschliste der Einheitspartei obenan, seit jenem Zeitpunkt, zu dem Bischof Dibelius für die EKD und folglich auch die DDR-Gliedkirchen mit der Bundesregierung den Militärseelsorgevertrag abschloß. Obschon dieser Vertrag für die DDR-Kirchen nicht verbindlich war, nahm die SED-Führung das Abkommen fortan zum Anlaß, die Landeskirchen ihres Machtbereichs durch eine sorgfältige Mischung von Propaganda und Pression zur Abkehr von der EKD zu drängen:

> In DDR-Publikationen ist seither von der EKD nur noch als »Nato-Kirche«, »Militär-Kirche« oder »Atomkriegs-Kirche« die Rede.

> Die Abkürzung EKD darf in den Zeitungen nur noch in Gänsefüßchen oder mit dem Beiwort »sogenannte« verwendet werden.

Außerdem begann die SED zu dieser Zeit jene Grüppchen kirchlicher Amtsträger zu fördern, die, wie beim »Bund evangelischer Pfarrer« des SED-Mitglieds und Schweriner Dompredigers Karl Kleinschmidt, die EKD für ein »Instrument des westdeutschen Imperialismus« halten.

Doch die Hoffnungen der SED-Zentrale auf geistlichen Beistand für den Spaltungsplan erfüllten sich bislang nicht: Der Pfarrerbund mickert mitgliederschwach dahin, und weder die demonstrative Staatsloyalität des Thüringer Landesbischofs Moritz Mitzenheim noch die sozialistenfreundlichen Debatten im »Weißenseer Arbeitskreis« -- einem losen Zusammenschluß linksorientierter Geistlicher und Laien -- bewirkten eine separatistische Anti-EKD-Bewegung.

Doch die Kircheneinheit erwies sich selbst beim Bau der Berliner Mauer wie nach der Ausweisung des Ost-Berliner Ratsvorsitzenden Kurt Scharf aus der DDR als haltbar.

Repressalien und Schikanen aus dem Arsenal der SED-Kirchenpolitiker trugen schließlich gerade im Laufe der letzten Monate dazu bei, die Pfarrer und ihre Gemeinden in eine geschlossene Abwehrfront gegenüber dem Staats-Atheismus zu zwingen:

> Die Propaganda für die kommunistische Jugendweihe und gegen die Konfirmation wurde verstärkt.

> Christlich erzogenen Jugendlichen wurde der Besuch der erweiterten Oberschulen (Gymnasien) und Universitäten erschwert.

> Jugendgottesdienste mit geistlicher Musik im Jazz-Stil wurden mit der Begründung unterbunden, daß, wie der CDU-Funktionär Joachim Gelfert aus Karl-Marx-Stadt sagte, »von diesen gottesdienstlichen Experimenten ... unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung wesensfremde politische Einflüsse ausgehen, die im besonderen der einheitlichen Jugendpolitik unseres Staats entgegenwirken«.

Am Beispiel der seit dem Mauerbau halbierten Landeskirche Berlin-Brandenburg erwies sich dann im vorigen Jahr vor aller Öffentlichkeit, wie fruchtlos alle Separationsversuche der SED bislang geblieben sind: Die gleichzeitig. wenn auch wegen der Mauer getrennt tagenden Synodalen wählten mit großer Mehrheit den EKD-Ratsvorsitzenden Kurt Scharf zu ihrem Bischof -- jenen Mann, den der frühere Göttinger FDJ-Student und heutige Ost-Berliner Theologie-Professor Dr. Hanfried Müller, 41. den »Schanddeckel der Bosheit jener Politik« nannte, »die im Namen der EKD zu treiben er berufen, die zu ändern er zu schwach war«.

Trotz solcher Erfahrungen mit halsstarrigen preußischen Protestanten aber denkt die SED offenbar nicht daran, vor der Kirche zu kapitulieren. Monate vor der EKD-Synode Anfang April setzte die Parteiführung ihre fünfte Kolonne im Kirchenkampf, die Ost-CDU. in Marsch. Order: den Repräsentanten 4er ostdeutschen Landeskirchen endgültig den Mut zum Bekenntnis für die Kircheneinheit zu rauben. Die Unionsfreunde, obschon längst als trojanische Vorbeter der Spaltung enttarnt, mühten sich redlich. Tag um Tag druckte ihr Ost-Berliner Zentralblatt »Neue Zeit«, was immer Gerald Götting oder andere, von der Agitationszentrale der SED instruierte Funktionäre zu sagen hatten.

Zugleich begann im Ost-Berliner SED-Hauptquartier eine bislang nicht abgeschlossene Debatte darüber, ob man den Zusammentritt der Ost-Synodalen in Weißensee einfach verbieten, die Ratswahl durch Sabotage des Kurierdienstes zwischen West- und Ost-Berlin verhindern oder aber darauf vertrauen solle, daß die Kirchen-Parlamentarier diesmal nicht Kurt Scharf wählten, sondern seinen Gegenkandidaten, den hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje.

Die Wahl Scharfs wäre den Kirchenspaltern schon deshalb unangenehm, weil dem Bischof, der sich auch nach seiner Ausweisung aus Ost-Berlin noch immer einen »Bürger der DDR« nennt, eine gegen das Ost-Berliner Regime gerichtete Haltung nicht nachgewiesen werden kann und Scharf sich erst jüngst

* Links: West-Berlins Regierender Bürgermeister Albertz.

wieder zur kirchlichen Anerkennung der DDR durch die EKD bereit erklärte.

Der Bischof schrieb an seinen Amtsbruder Johannes Jänicke in Magdeburg, er halte es für möglich, daß die EKD mit der DDR-Regierung einen formellen Kirchenvertrag abschließe. Scharf versicherte in seinem Brief überdies: »Die Kirche praktiziert keine Hallstein-Doktrin.«

Würde aber Lilje gewählt, so spekulieren die Kirchenseparatisten im Politbüro, könnte die weitere Beteiligung der DDR-Kirchen an der EKD kurzerhand mit dem Hinweis auf die DDR-Feindlichkeit Liljes untersagt werden. Sie erinnern dabei an einen Fernsehauftritt Liljes im Jahre 1961, bei dem der Bischof das Widerstandsrecht der DDR-Christen gegen ihren Staat bejaht und hinzugefügt hatte, »im Augenblick« wolle er »niemandem den Rat geben, voreilig zu einer Flinte zu greifen«.

Zur Axt griff unterdessen Ost-Berlins CDU. Voll christlicher Nächstenliebe kündigte die »Neue Zeit« an, was letzten Endes mit der EKD, diesem »Faulbaum der Bonner Militärkirche«, zu geschehen habe. Wohl in Unkenntnis der Tatsache, daß es sich beim Faulbaum um eine Heilpflanze handelt, doch bibelfest predigte das Blatt·. »Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen.«

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