NIGERIA / OJUKWU Sogenannte Führer
Einst führte er zwölf Millionen in den Krieg und zwei Millionen in den Tod. Jetzt will er 120 000 in der Diaspora organisieren: Odumegwu Ojukwu, 37, Ex-Staatschef von Biafra, plant »die effektive Wiedereingliederung der Biafraner in aller Welt«.
Nach dem Ende des zweieinhalbjährigen nigerianischen Bürgerkriegs am 15. Januar 1970 war Ojukwu an die Elfenbeinküste, den Staat des frankophilen Präsidenten Houphouët-Boigny geflüchtet. Er verbarg sich in Yamoussoukro, einer Ortschaft im Innern des Landes.
In einem von Polizisten bewachten Fünf-Zimmer-Bungalow widmete sich der Oxford-Zögling zunächst der klassischen Literatur. Ojukwu las unter anderem »Das verlorene Paradies« des Cromwell-Zeitgenossen John Milton. Körperlich fit hielt er sich durch Pingpong-Spielen. Zuweilen kamen Freunde. Die Prinzessin Irene von Bourbon von Parma, die einst Kinder aus dem Kessel von Biafra transportiert hatte, brachte ihrem vereinsamten Idol einen Hund als Geschenk.
Im Sommer gründete der General ohne Armeen im Elfenbeinküsten-Exil die »Biafra Research Organisation«, ein Hilfswerk, das »Siedlungen In befreundeten Ländern in Afrika« errichten möchte. Wie einst die Juden in Palästina, sollen sich die Ibos fern der Heimat in »Kibbuzim« zusammenschließen.
Ojukwus Ideen sind kaum realisierbar. Denn die vier Staaten, die einst Biafra anerkannt hatten (die Elfenbeinküste, Gabun, Tansania, Sambia), haben sich im September mit Nigeria ausgesöhnt. Seither hat Ojukwu In Afrika keine Freunde mehr. Und auch nur wenige der in anderen afrikanischen Staaten lebenden etwa 100 000 Ostnigerianer bekennen sich noch zu Biafra und dem gescheiterten Separatisten Ojukwu.
Ojukwus Biafra-Elite kehrt lieber an den Niger zurück, anstatt, wie Ojukwu forderte, »in anderen Ländern lebensfähige Biafra-Gemeinschaften zu gründen«.
Aus dem Exil zurück in die Heimat gingen unter anderen:
* Biafra-Ex-Kabinettschef Udo Akpan, einst Ojukwus Ehmke,
* Ojukwus Oberster Richter, Louis Mbanefo, der während des Bürgerkriegs aus Protest gegen das Nigeria-freundliche England seinen »Sir«-Titel niedergelegt hatte,
* Ojukwus Berater Dr. Francis Ibiam, als ehemaliger Präsident des Weltkirchenrats einer der erfolgreichsten Biafra-Werber,
* Biafras Vertreter in der Bundesrepublik, Dr. A. N. Obonna; Obonna vor der Abreise: »Alle sollten sich um das Staatsoberhaupt, General Gowon, zusammenschließen.«
Ojukwu über seine treulosen Mitkämpfer: »Einige dieser sogenannten Führer haben sich aus persönlichen Erwägungen abgesetzt. Einige sind naiv genug, Nigerias Nachkriegs-Zusicherungen zu glauben. Andere meinen wohl auch, ihrem Volke zu Hause besser dienen zu können.«
Unklar ist, von wo aus Ojukwo ("Solange ich lebe, lebt Biafra") in Zukunft seinem Volke dienen wird. Elfenbeinküsten-Präsident Houphouët-Boigny forderte ihn auf, das Land »so bald wie möglich« zu verlassen, angeblich, weil der Ex-Staatschef entgegen einem Verbot Houphouëts dem Londoner »Sunday Telegraph« und dem britischen Fernsehen Interviews gegeben hatte.
Gegenwärtig sucht Ojukwu einen Unterschlupf in Europa. Aber auch dort will Ihn niemand. Kein Staat möchte sein Verhältnis zu den Siegern in Lagos belasten, die England, Irland, Frankreich und der Schweiz mitteilten, Asylgewährung für Ojukwu sei »unwillkommen«.
Im Schweizer Kanton Waadt wollte sich Ojukwu mit zwölf Personen niederlassen -- mit sechs Familienmitgliedern und sechs Bediensteten, darunter einem Koch und zwei Leibwächtern. Der Berner Bundesrat jedoch verwarf das Asylgesuch. 450 In Nigeria ansässige Eidgenossen atmeten auf.
Die Schweizer, von deren Boden Ojukwus P.R.-Organisation »Markpress« operiert hatte, fürchteten Gowons Rache. Nigerias Behörden hatten Schweizer Geschäftsleuten die Pässe abgenommen und mit Repressalien gedroht. Die »United Trading Company«, eine der größten Handelsfirmen am Niger, Ist ein Schweizer Unternehmen.
Sollte auch Schweden sein Asylgesuch ablehnen, wird Ojukwu wahrscheinlich bei der letzten großen Kolonialmacht Zuflucht finden: in Portugal.