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BUNDESMARINE / MINENSUCHE Sohnke-Ways

aus DER SPIEGEL 13/1967

Knirschend bohrte sich der Steven des Hamburger Motorschiffs »Hildegard Peters« mitschiffs in den Rumpf des Bremer Motorfrachters »Birkenfels«.

Die 6974 Bruttoregistertonnen große »Birkenfels« konnte nach der Kollision -- am 11. Dezember 1964 -- noch den Unfallort beim Feuerschiff »Elbe 1« verlassen und mit Schlepperhilfe Hamburg erreichen.

Knapp 16 Monate später, am 7. April 1966, erschütterte erneut ein schwerer Stoß die »Birkenfels«. Diesmal war der 15 395-BRT-Motorfrachter »Marie Luise Bolten« aus Hamburg der »Birkenfels« in die Seite gefahren. Durch die mittschiffs aufgeschlitzten Stahlplanken ergossen sich Tausende von Tonnen Nordseewasser in das Bremer Schiff. Zwanzig Minuten später sank es eine Seemeile (1,8 Kilometer) westlich des Feuerschiffs »Noord Hinder« vor der belgisch-holländischen Küste. Kapitän Herbert Huismann und seine 41 Mann Besatzung retteten sich auf den Kollisionsgegner.

Die beiden Zusammenstöße waren kaum mehr als Routine-Zwischenfälle auf den engen Schiffahrtswegen der südlichen Nordsee.

Denn vor den Hafenansteuerungen und auf dem freien Meer vor den Küsten zwängt sich der Schiffahrts-Verkehr durch von Natur und Krieg geschaffene Flaschenhälse: Sände und Untiefen vor den Häfen zwingen zum Einhalten begrenzter Fahrtrouten; Seeminen -- vor mehr als zwei Jahrzehnten von Deutschen und Briten gelegt -- bringen vom Kurs abweichende Handelsfahrer in Gefahr, in die Luft zu fliegen wie ein Kriegsschiff.

Nur wenige enge Wege ("Zwangswege") konnten seit Kriegsende durch die minenverseuchte Nordsee gebahnt werden. Der Hauptzwangsweg zwischen Hamburg und dem Englischen Kanal ist 118 Seemeilen (218,5 Kilometer) lang, aber nur drei Seemeilen (5,5 Kilometer) breit. Auf diesem minenfreien »Borkum-Terschelling-Weg« drängen sich zu jeder Tages- und Nachtzeit durchschnittlich 350 bis 400 Schiffe; sie befahren die Wasserstraße in beiden Richtungen -- die Straßenmitte ist durch eine Kette numerierter Tonnen markiert.

Und dort, wo der Badegast am Strand die Unendlichkeit des freien Meeres wähnt, stoßen die Schiffe aufeinander wie Automobile im Großstadtverkehr: Von 1959 bis 1964, so ermittelte Kapitän Franz Peter Sohnke, 56, Referent für nautische Schiffssicherheit in der Seeverkehrsabteilung des Bundesverkehrsministeriums, kollidierten zwischen der Deutschen Bucht und dem Englischen Kanal 1552 Schiffe -- durchschnittlich 300 im Jahr. Wie die »Birkenfels« sanken viele von ihnen.

Bei der in diesem Seegebiet meist vorherrschenden schlechten Sicht verbindet die auf dem Zwangsweg steuernden Nautiker eine Sorge: die Einhaltung des richtigen Kurses und das rechtzeitige Erkennen entgegenkommender Schiffe.

Zum Rechtsverkehr angehalten, verlassen die Kapitäne, denen es nicht gelingt, die in der Mitte ausgelegten Tonnen bei Nacht und Nebel mit Radar zu identifizieren, gelegentlich ihre Fahrbahnseite« um die Tonnen optisch auszumachen, bisweilen mit dem Handscheinwerfer.

Die Tonnensuche von Schiffen, die auf sich kreuzenden Kursen der Mittellinie zustreben, ist mit erheblicher Kollisionsgefahr verbunden. Die geringe Breite des Schiffahrtsweges verlangt auch außerhalb der Mitte ständig höchste Aufmerksamkeit. Selbst bei guter Sicht sind Brückenoffiziere dauernd mit der »Peilung« von Entgegenkommern beschäftigt, um Zusammenstöße zu vermeiden.

Kapitän Sohnke kam daher die Idee, nach Autobahn-Vorbild auf See »Kollisionsschutzwege« einzurichten. Entsprechend dem Grünstreifen der Autobahn sollte eine zentrale Sicherheitszone in der Mitte der Seestraße den Verkehr teilen. Den »Bauauftrag« vergab der Zivilist an die Bundesmarine.

Die Marine weiß heute nicht, wie viele Seeminen noch immer außerhalb der für die Schiffahrt freigeräumten Zwangswege in der Nordsee liegen. Genau bekannt ist nur, wie eine jüngst vom Kommandostab der Minenstreitkräfte der Bundesmarine vorgenommene Auszählung ergab, daß England und Deutschland insgesamt 64 915 Minen verschiedener technischer Konstruktion in der Nordsee verlegten:

> Ankertau- oder Kontaktminen: Die Ankertaumine ist ein eiserner Ballon von rund einem Meter Durchmesser, der mit Sprengstoff angefüllt ist und noch so viel Auftrieb besitzt, daß er, mit einem Stahlseil am Meeresboden verankert, unter der Wasseroberfläche schwebt und von einem daran stoßenden Schiff zur Detonation gebracht werden kann;

> Grund- oder Fernzündungsminen: Die Grundmine ist ein auf dem Meeresboden liegender Metallkörper, mit Sprengstoff (bis zu einer Tonne) angefüllt und mit einem ausgeklügelten Zündmechanismus versehen, der auf das Magnetfeld oder auf Schraubengeräusche eines vorbeifahrenden Schiffes sowie eine Kombination beider Zündereinstellungen anspricht. Die Gefahr, einer Ankermine zu begegnen, droht nicht mehr. Denn schon zwei Jahre nach Kriegsende waren diese leicht zu entfernenden Waffen geräumt.

Die Grundminen zu beseitigen, deren Batteriezunder selbst heute noch reagieren, erfordert indes größeren Aufwand. Denn Minensuchboote müssen hierzu unter der Meeresoberfläche Magnetfelder und Schallwellen erzeugen, die dann die Minen zur Detonation bringen. Fregattenkapitän Hans-Harro Stüben, 45, Operationsoffizier der in Cuxhaven stationierten Flottille der Minenstreitkräfte: »Es sind Teufelseier mit einem komplizierten Innenleben.«

16 000 deutsche Freiwillige räumten von 1945 bis 1947 mit 400 Booten unter Aufsicht der Besatzungsmächte die Grundminen auf den Schiffahrtsrouten. Dann ruhte die Minenräumerei bis zur Aufstellung der Bundesmarine.

Als die ersten Minensucher unter Bundesflagge wieder ausliefen, erhielten sie Aufgaben, die unmittelbar dringender erschienen: Sie befreiten Fischereigründe, Trassen für Seekabel-Verlegungen und Zufahrtswege zu Bohrinseln von der Minengefahr.

Erst in jüngster Zeit gehen die Cuxhavener Minensucher mit drei Geschwadern (27 Boote) modernster Nato-Bauart in See, um in konzentrierter Suche die von Schiffssicherheits-Referent Sohnke geforderten Autobahnen zur See zu schaffen. Erstes Ziel der Minensucher: die Räumung eines 45 Seemeilen (83 Kilometer) langen und acht Seemeilen (rund 14,8 Kilometer) breiten Weges zwischen dem Feuerschiff »Elbe 1« und dem »Borkum-Riff«-Feuerschiff. Zwei jeweils drei Seemeilen (5,5 Kilometer) breite Einbahnwege sollen entmint werden. Eine zwei Seemeilen (3,7 Kilometer) breite, nicht zu befahrende zentrale Sicherheitszone soll beide Fahrtrassen voneinander trennen.

Im zweiten Räumabschnitt soll die Strecke von »Borkum-Riff« bis zum Feuerschiff »Terschelling« entmint werden. Minensucher Stüben schätzt, die Suchaktion werde erst im Herbst 1968 beendet sein.

Die von der Bundesmarine nach Autobahn-Vorbild freizuräumenden Schifffahrtswege nennen die Direktoren der marktbeherrschenden Londoner Schiffsversicherung Lloyd"s nach dem Erfinder: »Sohnke-Ways«. Für die Zeit bis zur Entminung der Einbahnstraßen hat Sohnke eine düstere Prognose: »Noch viele Schiffe werden wie bisher kollidieren.«

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