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»Sollen sie doch SPD wählen«

Beherrscht von Ideologen einstiger kommunistischer Sekten, der sogenannten K-Gruppen, sind die Hamburger Grünen ins politische »Ghetto« geraten, »zynisch« geworden gegenüber den eigenen Wählern und kaum fähig zur Kurskorrektur - Thesen aus einer Analyse, die der GAL-Mitgründer Kurt Edler, 37, von 1984 bis 1986 Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft, für das September-Heft der Linkszeitschrift »Kommune« verfaßt hat. Auszüge: *
aus DER SPIEGEL 37/1987

Ausmaß und Auswirkungen der GAL-Niederlage bei den Bürgerschaftswahlen am 17. Mai 1987 dürfen nicht unterschätzt werden. Nicht nur, daß die GAL fast ein Drittel ihrer WählerInnen verloren hat und auf den Stand vom Dezember 1982 zurückgedrückt worden ist - viel entscheidender ist der politische Bedeutungsverlust.

Das Vier-Parteien-System kann sich nun auch in Hamburg konsolidieren, und die drei anderen Parteien werden nach erfolgreicher Überwindung der »Hamburger Verhältnisse« nun versuchen, die GAL bei der parlamentarischen Mehrheitsbildung dauerhaft überflüssig zu machen. Damit schlägt das taktische Versagen der GAL hart auf sie selbst zurück; der Fundamentalismus hat die Stabilisierung des herrschenden Blocks begünstigt und sich ironischerweise damit zugleich eine weitere Existenzberechtigung geschaffen.

Die GAL greift in ihrem Programm die Interessen großer Bevölkerungsgruppen auf und beschränkt sich nicht auf die Vertretung ihres unmittelbaren großstädtischen Umfelds. Sie tritt damit als politische Minderheit in ein problemträchtiges Verhältnis zur Bevölkerungsmehrheit.

Die sozialökonomischen Adressaten der Programmaussagen sind vielschichtig: Arbeitslose, U-Bahn-Benutzer, alleinerziehende Mütter, Schüler, Energieverbraucher - um nur einige zu nennen. Mit der Veröffentlichung ihrer Forderungen weckt die GAL in dieser Öffentlichkeit Erwartungen, die weit davon entfernt sind, das gesamte Selbstverständnis der GAL zu teilen.

Diese Erwartungen können sich in eine Wahlentscheidung für die GAL umsetzen. Tun sie es, so ergibt sich die Frage, inwiefern die GAL den Erwartungen entspricht. Natürlich sind die WählerInnen von den Parteien allerhand gewöhnt und beobachten die von ihnen gewählten Parteien nach der Wahl. Dabei erweisen sich - wie wir wissen - grünalternative Wählerschichten als außergewöhnlich intelligent, abgeklärt und mäkelig. Sie sind darin nicht anders und nicht schlechter als die GAL-Mitglieder selbst.

Der große Irrtum der GAL war, nicht begriffen zu haben, daß für viele WählerInnen die Beobachtungsphase zwischen November und Mai lag. (In diesem Zeitraum scheiterte ein rot-grünes Bündnis an der Verweigerungshaltung von Hardlinern in SPD und GAL - d. Red.). Nun ging es darum herauszufinden, was die GAL aus der Lage machte. Die Antwort war ernüchternd: nichts.

Nun kann kein Fundamentalist bestreiten, daß die Tatsache, daß die GAL _(Im Oktober 1985 als Abgeordneter der ) _(Hamburger Bürgerschaft. )

nach ihrer Wahlniederlage und nach der Stabilisierung der Verhältnisse »aus dem Spiel ist«, ein schwerer Schaden für die Masseninteressen ist. Das gibt ja die GAL selbst zu, indem sie heute öffentlich gegen die fatalen Folgen einer »rotgelben« Koalition zu Felde zieht. Aber ausgerechnet diejenige Partei, die am leichtesten das Wort »Basis« in den Mund nimmt, weist - mehrheitlich - eine Eigenverantwortung weit von sich.

Die GAL hat es immer abgelehnt, ein »rot-grünes Bündnis« offensiv zu propagieren. Sogar der Begriff »Bündnis« wurde tunlichst vermieden. Standardauskunft an die SPD war: »Unser Tolerierungsangebot ist in der Substanz nicht verhandelbar; für Tauschgeschäfte stehen wir nicht zur Verfügung.«

Die Inkaufnahme einer parlamentarischen Konstellation, die breiten Teilen der Bevölkerung nur gravierende Nachteile bereiten kann, lag in dieser Logik sehr nahe. Das Mißverständnis, damit nichts zu tun zu haben, hat diesen fatalen Weg erleichtert.

Für die GAL bedeutet Opposition Freiheit von Verantwortung; die aufgegriffenen Masseninteressen haben in dieser Funktion nur symbolischen Wert; eine reale Bezugnahme auf die Alltagsanliegen der eigenen Wählerschaft erfolgt im parlamentarischen Handeln nicht. Irgendwann muß sich hier das zynische Bewußtsein des Stimmenklaus durchsetzen: »Hauptsache, wir haben ihre Stimmen, und sie lassen uns in Ruhe.«

In der schwierigen Dialektik von Minderheitenkultur und Mehrheitsinteressen kann sich eine Art instrumenteller Arroganz der »Szene«-Partei durchsetzen. Die soziale Ghettoisierung eines nicht unerheblichen Teils des aktiven Kerns macht es schwer, einen »Draht« zu den sozialen Milieus der Bevölkerungsmehrheit zu entwickeln und die gängigen »Szene«-Klischees zu überwinden.

Anders ausgedrückt: Wer von einer so eingeengten sozialen Plattform in einen so weiten Raum hineinoperiert, wie ihn die politische Öffentlichkeit einer Millionenstadt darstellt, muß Wahrnehmungsprobleme bekommen. Er wird sehr leicht dazu neigen, weiter entfernte Zielgruppen lediglich als Objekt einer politischen Werbung anzusehen, zumal wenn dies durch die eigene Ideologiegeschichte (K-Gruppen-Zeit) nahegelegt wird.

Die latente Massenverachtung einer bloß symbolisch agierenden Parlamentsbeteiligung bricht in der politischen Krise womöglich auf. Unter dem Schock der schweren Wahlschlappe riefen Vertreter der GAL-Mehrheit den abtrünnigen Wählern hinterher: »Dann sollen sie doch SPD wählen, wenn sie so blöd sind!« (ein Vorstandsmitglied).

Noch deutlicher wurde eine Referentin; sie erklärte, es wäre besser, wenn die GAL nur von solchen Leuten gewählt würde, die das GAL-Programm bejahen, auch wenn dies nur drei bis vier Prozent brächte. Der »Szene«-Autismus entlarvt sich hier als das erschreckende Unvermögen zu begreifen, daß unsere Wähleröffentlichkeit keine Gemeinde treuer Adepten sein kann.

Das anfängliche Bekenntnis zum Pluralismus hat nicht verhindern können, daß sich in vielen Gremien eine bestimmte Strömung vollständig etabliert hat. Da die formelle Existenz zum Beispiel einer GAL-Fachgruppe nicht an eine Mindestzahl von Mitgliedern oder eine Rechenschaftspflicht geknüpft ist, kann es dazu kommen, daß eine kleine Handvoll von Leuten die gesamte Fachpolitik der Partei bestimmt, ohne sich demokratischen Kontrollen unterwerfen zu müssen.

Der Hinweis, sie seien dabei an das Programm gebunden, fruchtet wenig; in der Regel sind dieselben Menschen Autoren des Programms und so mancher Programmbeschluß wurde auf den Mini-Mitgliederversammlungen der GAL durch die antragstellende Fachgruppe dominiert.

Der demokratische Pluralismus ist also längst in Gefahr, zum oligarchischen Partikularismus zu degenerieren; ebenso hat sich die Parteiöffentlichkeit inzwischen in eine Unzahl nebeneinander existierender Sonderöffentlichkeiten aufgespalten.

Die allgemeine Parteiöffentlichkeit wird selbst zur Spezialistenöffentlichkeit; der aktive Kern der GAL, der sich mit der Generallinie beschäftigt, beträgt schätzungsweise sechzig Personen. Auf dieser Basis wird die Gestaltung eines Lernprozesses schwierig. Es ist daher durchaus denkbar, daß die GAL als Ganzes keine produktiven Schlußfolgerungen aus ihrer Wahlniederlage zieht.

Das typische Grünen-Mitglied will sich nicht mehr »mit Haut und Haaren« einer Partei verschreiben. Private Rückzugsmöglichkeiten bekommen auch in der Parteisphäre einen hohen Stellenwert. Es gibt eine Mentalität des typischen Mitglieds, bei den Grünen »auch noch ein Eisen im Feuer zu haben«, daneben ebenso starke Identitäten der Alltagswelt zu stellen (Surfer, Mutter, Rockfan, Streetfighter, Philosophin usw.).

Vergleichen wir die Grünen als eine Linkspartei neuen Typs mit einer klassischen Linkspartei, so liegen Welten dazwischen. Die Weimarer KPD, eine Partei im politischen System, organisierte quasi eine ganze Lebenswelt für ihre Anhängerschaft. Ganz im Gegensatz dazu bieten die Grünen ihrer Basis kein »Leben in der Partei«, auch wenn auf Parteitagen gestrickt wird und Bananen gegessen werden.

Viele Mitglieder kommen einmal im Jahr, wenn »ihr« Punkt dran ist, auf eine Mitgliederversammlung und sehen in ihr eine Art Supermarkt. Das Dienstleistungsverhältnis zur Partei ist innen ähnlich ausgeprägt wie außen; es paart sich mit einer modischen Abneigung gegen »lange Debatten«, »Elefantenrennen«

und »Theoretisiererei«, was letztendlich auch die Zahl der Elefanten verkleinert, das heißt informelle Hierarchien zuspitzt.

Diese »moderne« Einstellung zur Partei sieht in dieser ein »Angebot«, aus dem man sich das wenige Brauchbare herausfischen muß, während der Rest einen anödet.

Die breite Abstinenz bei Beschlüssen von zentraler politischer Tragweite entspringt einem diffusen, unartikulierten Verständnis der Partei als einem »offenen Raum«, in dem besondere Anliegen im kleineren Kreis verwirklicht werden; das Geschäft der allgemeinpolitischen Ausrichtung wird so vertrauensvoll wie indifferent einer zahlenmäßig kleinen Parteioligarchie überlassen, welche über beträchtliche informelle Macht verfügt.

Die Annahme, es werde schon alles gut geregelt werden, speist sich auch aus dem Wissen um den Pluralismus und die Durchschaubarkeit der Entscheidungsgänge durch andere. Der Pluralismus wird also delegiert; die formelle Zugänglichkeit zentraler Entscheidungsebenen wird zu einem Argument für individuelle Passivität.

Die Metamorphosen der Basisdemokratie haben damit die Gesamtpartei umfassend als ein Milieu konstituiert, in dem eine aufgeklärte Diskussionskultur sich großen Hemmnissen gegenübersieht und der ideale Dialog aller miteinander in weite Ferne gerückt ist. Die Nichtöffentlichkeit der Politik in der formellen Öffentlichkeit der Partei führt dazu, daß ein allgemeiner Wille der Mitgliederschaft heute eher spekulativ rekonstruiert werden muß, als daß er auf der Basis faktischer Abläufe realisiert werden kann.

Im »Ökosozialismus« der Hamburger GAL sind Relikte früheren Denkens unkritisch aufbewahrt. Eines dieser Relikte ist die Vorstellung von Revolution, jener ruckartigen Auswechslung des Systems also, die schon öfter in der Geschichte gründlich mißlungen ist.

In diesem Sinne finden wir im entfalteten »Ökosozialismus« eine harmonische Vereinigung grüner Authentizität mit dem »großen Wurf« einer Gesellschaftserneuerung vor. Er kommt damit vor allem der Ungeduld jüngerer Mitglieder entgegen.

Das Selbstmißverständnis, sich als »links« gegenüber einer reformpolitischen Option einzuordnen, zieht dieser Schematismus aus der irrtümlichen Annahme, es sei ein Zuwachs an Radikalität, alles auf einmal zu fordern, auch wenn dabei klar ist, daß die Chance einer Realisierbarkeit in dieser Form nie besteht.

Die radikale Pose desjenigen, der alle seine Forderungen zu Sofortforderungen erhebt, verdient nicht das Prädikat »links«, weil allein die Praxis darüber entscheidet, welche Politik sich am Ende als emanzipatorisch herausstellt.

Nun kann eine radikale Pose, die sich GAL-Mitgliedern als »links von« empfiehlt, schon deshalb gar nicht dieses Prädikat für sich in Anspruch nehmen, weil sie auf einer Täuschung und Selbsttäuschung beruht. Die Besonderheit des »Ökosozialismus« besteht nämlich darin, den Glauben an revolutionäre Umbrüche nicht mehr zu verkörpern, sondern nur noch einen hohlen »Sofortismus« zu propagieren.

Die Beharrlichkeit, mit der trotzdem an dieser rhetorischen Floskel festgehalten wird, erklärt sich damit, daß grünalternative Versammlungen immer noch mit dieser Floskel in den Gesinnungsrausch versetzt werden können, der für die Herstellung von Abstimmungsmehrheiten nun einmal erforderlich ist - wenn Argumente nicht zählen.

Im Oktober 1985 als Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft.

Kurt Edler

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