POPKULTUR Solo auf der Luftgitarre
Manchmal ist das Schicksal richtig fies und gemein. Besonders zu Sigmar Gabriel. Denn der sagt oft, was das Volk denkt und wird dennoch meistens falsch verstanden.
Erst schickte Gerhard Schröder ihn als Minenhund in Sachen Vermögensteuer durchs Land. Dann lässt er ihn im niedersächsischen Landtagswahlkampf im Regen stehen. Anschließend bringen ihn die Wähler, weil sie auf den Kanzler sauer sind, um das Amt des Ministerpräsidenten. Und jetzt hat Gabriel zu allem Überfluss auch noch Ärger mit Dieter Bohlen und die »Bild«-Zeitung gegen sich - was wiederum mit dem zusammenhängt, was er in Ausübung seines Jobs so von sich gibt.
Der Regierungschef a. D. hat nämlich ein neues Amt. Vor kurzem hat ihn das SPD-Präsidium zum »Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs« ernannt. Das klingt nicht nur mächtig intellektuell und amtlich, sondern ist auch äußerst wichtig. Schließlich kommt Pop von populär, und Popularität ist das, was die SPD gegenwärtig am dringendsten braucht.
Hinzu kommt, wie der zuständige Referent in der Parteizentrale betont, dass es sich »um eine echte Querschnittsaufgabe handelt, in der sich alles bündelt, was Politik ausmacht: Wirtschaft, Recht, Gesellschaftskritik«. Was mancher schon lange ahnte, wird im neuen Amt manifest: Politik ist Pop. Eine Herausforderung, die nach einem Vollblutpolitiker geradezu schreit.
Zugleich allerdings ist Gabriel im Hauptberuf SPD-Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag - eine Funktion, die für Soli auf der politischen Luftgitarre, die er so meisterhaft beherrscht, wenig Raum lässt. Deshalb mag es ihm wie eine Fügung des Schicksals vorgekommen sein, als ein Journalist am vergangenen Dienstag in einer Pressekonferenz zum Thema »100 Tage schwarz-gelbe Koalition in Niedersachsen« mit Verweis auf sein »neues Amt« fragte, wie er die Auflösung des Popduos Modern Talking sehe.
Die sei, schnodderte Siggi Pop cool und »selbstverständlich rein privat« ins Mikro, »seit langem überfällig« und entspreche »seinem Musikgeschmack«. Darüber hinaus habe er schon als Ministerpräsident dafür gesorgt, dass Dieter Bohlen das Bundesverdienstkreuz verwehrt worden sei.
Klare Worte, mutiges Bekenntnis. Eine Aussöhnung zwischen Anhängern intelligenter Popmusik und der deutschen Sozialdemokratie schien greifbar nahe. Schließlich war diesbezüglich einiges wieder gutzumachen.
Schon 1988 hatte die Partei jeden stilistischen Anstand vermissen lassen und ein klägliches Liedlein des heute bei der PDS dilettierenden Polit-Barden Dieter Dehm zur Hymne erhoben. Seitdem haben erwachsene Menschen allen Ernstes auf SPD-Veranstaltungen »... und sind wir schwach und sind wir klein, wir wollen wie das Wasser sein, das weiche Wasser bricht den Stein« gesungen. Tralala, die Politik ist da.
Doch das war nur der Auftakt. In den vergangenen Jahren pflegten SPD-Spitzenpolitiker öffentlich Freundschaften mit Musikern, deren schwiemelig-pubertäre Bekenntnislyrik mit Etiketten wie »Liedermacher« oder »Deutschrocker« nur sehr unzureichend diffamiert werden kann.
Oskar Lafontaine und Peter Maffay, Rudolf Scharping und Konstantin Wecker, Gerhard Schröder und Klaus Meine von der »Winds of Change«-Maschine Scorpions - auf der nach unten offenen Skala geschmacklicher Verirrungen schien nichts mehr unmöglich.
War es auch nicht. Denn selbst der Vorschlag, Dieter Bohlen das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, stammte von einer Genossin. Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, hatte ihn bei den zuständigen Stellen in Niedersachsen eingereicht. Böse Zungen behaupten, weil Bohlen in ihrem Wahlkreis wohnt.
Andere Gründe, die eine solche Ehrung rechtfertigen konnten, sind kaum erkennbar. Lediglich die Tatsache, dass der Kulturkiller aus dem niedersächsischen Tötensen seine Verbrechen in englischen Versen begangen hat - »Cheri Cheri Lady« statt »Liebling Liebling Dame« -, kann als Verdienst im Sinne einer Schonung der deutschen Sprache gewertet werden.
Glücklicherweise stand zwischen der SPD und dem letzten kulturpolitischen Abgrund schon damals Sigmar Gabriel, dem allein dafür das Bundesverdienstkreuz gebührt. Doch das Leben ist ungerecht.
Schon am Tag nach seiner Pressekonferenz zeigte sich, dass das Schicksal es auch diesmal mit ihm nicht gnädig meinte. Zwar landete der frisch gebackene Sozi-Popper auf Anhieb einen Hit und schaffte es auf Seite eins der »Bild«-Zeitung. Doch statt Beifall gab es Hohn und Häme.
Bohlens Co-Talker Thomas Anders durfte im Fachorgan für gesundes Volksempfinden ungestraft Salz in kaum verheilte Wunden streuen: »Wäre Herr Gabriel in seiner Landtagswahl so erfolgreich und beliebt gewesen wie Modern Talking, dann hätte er seine Wahl gewonnen.«
Die SPD schwieg und ließ ihren Hoffnungsträger wieder mal im Regen stehen. »Die einzig positive Rückmeldung«, so Gabriel gegenüber dem SPIEGEL, »kam von einem Mitglied des niedersächsischen Adels. Der hat mir eine SMS aufs Handy geschickt, er freue sich, weil endlich mal jemand das Richtige zum Thema Bohlen gesagt habe.« Blaublüter haben eben, was der SPD fehlt: Stil. GUNTHER LATSCH