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CDU So'n Gehabe

Ein internes Papier wirft dem hessischen CDU-Chef Walter Wallmann selbstherrlichen Führungsstil vor. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Wenn Parteifreunde es vor der Hessenwahl wagten, die sanften Auftritte des Kandidaten Walter Wallmann zu kritisieren, dann reagierte der Christdemokrat ungehalten: »Das ist nun mal meine Art, ich kann und will mich nicht ändern.« Die Zweifler brachte er mit der Bemerkung zum Schweigen, sie hätten »dann ja einen Schuldigen, wenn's schiefgeht«.

Jetzt, nachdem die Wahl verlorengegangen ist, nehmen Christdemokraten im ganzen Land ihren Vorsitzenden beim Wort und schieben ihm die Verantwortung für das Debakel zu. Mit den mageren 39,4 Prozent, murren CDUler, habe Wallmann die Partei nach vorübergehendem Höhenflug wieder unter die 40-Prozent-Marke gewirtschaftet.

Er sei schuld daran, muß sich der Frankfurter Oberbürgermeister sagen lassen, daß die Sozis wieder stärkste Partei in Hessen sind; er habe verspielt, was sein Vorgänger Alfred Dregger in mühsamer Arbeit (1966: 26,4 Prozent; 1982: 45,6 Prozent) aufgebaut habe.

Entgegen bisheriger Gepflogenheit sagen die Mitglieder der Hessen-CDU so etwas neuerdings auch laut heraus. Bei der Jahresversammlung des Ortsverbandes Hohenstein-Holzhausen etwa schimpfte ein Delegierter vor den Fernsehkameras, die Wahl sei verloren worden »durch die Propaganda von unserm Herrn Wallmann, daß die FDP in den Landtag kommen soll«. Ein anderer monierte, der Landesvorsitzende hätte »den Wahlkampf etwas härter führen müssen«.

Ungeniert benennt auch die Philologie-Professorin Gertrud Höhler, die Dregger im vergangenen Jahr zu seiner Wissenschaftsministerin machen wollte, Wallmanns Schwächen: Es sei »im Vergleich zum Vorjahr insofern ein ungewohnter Wahlkampfstil vorgeführt worden, als eine Person im Mittelpunkt gestanden hat«. Der Wähler könne schwerlich in Wallmann »das ganze Themenbündel einer Partei verkörpert« sehen.

Viele CDU-Mitglieder kreiden ihrem Landesvorsitzenden taktische Fehlleistungen an: Er habe sich von Ministerpräsident Holger Börner den ungünstigen Neuwahltermin im Herbst aufschwatzen lassen. Seine strikte Weigerung, mit der SPD zu verhandeln, habe im übrigen die rot-grüne Annäherung beschleunigt (SPIEGEL 50/1983).

Sogar in der von Wallmann regierten Stadt kommt bei Parteigängern jetzt aufgestauter Groll hoch. In Frankfurter CDU-Kreisen zirkuliert ein sieben Seiten langes Papier mit dem spöttisch gemeinten

Titel »Der große Liberale«, in dem über Wallmanns autoritären Führungsstil hergezogen wird.

Kein Zweifel: In Hessen hat der Abstieg eines CDU-Politikers begonnen, der seiner Partei einst zu großen Hoffnungen Anlaß gab. Dem Bundesvorsitzenden Helmut Kohl war Wallmann lange Zeit gut genug für einen Bonner Ministerposten erschienen. Als Vorsitzender des Guillaume-Ausschusses hatte der Bundestagsabgeordnete die Parteiführung tief beeindruckt. Auf ihr Bitten stellte sich der gelernte Richter in Frankfurt als vermeintlich aussichtsloser OB-Kandidat zur Wahl.

Doch Wallmann wurde gewählt - weniger wohl aufgrund persönlicher Qualitäten, eher schon, weil die Frankfurter mit der maroden SPD und deren verfehlter Baupolitik abrechnen wollten. Durch kostspielige Prestige-Bauten und durch rigorose Säuberungsaktionen in der als »Krankfurt« verrufenen Stadt gewann der rechte Christdemokrat an Popularität. Die Frankfurter dankten es ihm mit einem eindrucksvollen Votum (54,2 Prozent) bei der Kommunalwahl 1981.

Seit der verlorenen Landtagswahl indes ist »Wallmanns Prestige angekratzt«, wie der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Aloys Lenz sagt. Enge Vertraute stellen ganz neue Züge an dem Vorsitzenden fest: Er sei »fahrig und nervös« und »raucht so viel wie nie zuvor«.

Daß Wallmanns Karriere deutlich geknickt worden ist, habe er, bedauern Freunde, allein Alfred Dregger zu verdanken. Der hatte ihm, ohne vorherige Absprache, nach der verlorenen Wahl 1982 den Landesvorsitz überlassen, um nach Bonn zu gehen - wohin es Wallmann, den Ministerpräsidenten-Kandidaten wider Willen, damals selber zog.

Dem gescheiterten Spitzenmann tragen CDU-Leute nun vor allem nach, daß er sich mit seinem Aufruf zugunsten der Freidemokraten ("Jede Stimme für die FDP ist auch eine Stimme für mich"), den er kurz vor der Wahl mit Kohl ausgeheckt hatte, völlig danebengriff. Denn treue Christdemokraten beherzigten den Fingerzeig mehr, als der Parteiführung lieb war. Sie ersannen das »Ehegatten-Splitting«, wie es der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Dieter Weirich nennt - er CDU, sie FDP.

Gerade in CDU-Hochburgen folgten allzu viele dem Landesvorsitzenden aufs Wort. Im katholischen Fulda verloren die Christdemokraten ganze 9,0 Prozent-Punkte. Am »Lerchesberg«, Frankfurts erste Wohnadresse und auch Wallmanns Zuhause, verhalfen die Nachbarn der FDP gar zu 28,30 Prozent.

Seit der Wahl ist auch CDU-Generalsekretär Manfred Kanther manchmal anderer Meinung als sein Chef Wallmann. Da komme es, weiß Weirich, »zu Abstimmungsschwierigkeiten«. So wollte Kanther, anders als Wallmann, unbedingt »vor den Sommerferien« wählen lassen, noch im Sog der erfolgreichen Bundestagswahl.

Der Frankfurter OB hatte vor dem Hessen-Votum damit geliebäugelt, sich »als stärkste Kraft im Lande« von den Sozialdemokraten tolerieren zu lassen. Hinterher jedoch dachte er nicht daran, umgekehrt den Sozialdemokraten Holger Börner als Ministerpräsident mitzutragen. Wallmann war sich zu fein, neben den Grünen mit der SPD zu verhandeln: »Ich laß mich nicht vorführen.« Generalsekretär Kanther dagegen spürte, daß die schwarze Verweigerung die Sozis »ins grüne Bett« treiben könnte.

Parteigänger lasten überdies ihrem Vorsitzenden überzogenes Machtstreben an und vermissen politische Weitsicht, die seinen Vorgänger Dregger ausgezeichnet habe. Ihnen sind die markigen Sprüche des jetzigen Bonner Fraktionsvorsitzenden im nachhinein lieber als die sanfte Tour des Frankfurter Stadtoberhaupts: »Immer nur schöne Worte und Lächeln«, kritisiert der Frankfurter Christdemokrat Hans Beckmann, »so'n Gehabe reicht nicht.«

Selbst Wallmann-Sprecher Peter Scherer, der gern an »erfolgreiche Schlachten« mit Dregger zurückdenkt, übt leise Kritik an seinem neuen Chef. Die staatsmännische Attitüde, mit der Wallmann in Frankfurt so erfolgreich war, habe im Land »keine neuen Wählerschichten mobilisiert«. Und Lenz kritisiert, Wallmann »hätte mal Börner und die SPD härter an die Brust nehmen« sollen.

Wallmann kann auch anders. In der Frankfurter CDU, so klagen Mitglieder, gehe der Oberbürgermeister (Parteispott: »Seine Scheinheiligkeit") unerbittlich gegen alle vor, die sich ihm widersetzen. Tatsächlich hatte Wallmann nach seinem Einzug ins OB-Büro zielstrebig auch die Übernahme der Frankfurter CDU betrieben.

Abgelöst im Amt des CDU-Kreisvorsitzenden wurde auf Wallmanns Drängen Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber, der Wallmann vor Jahren im Kampf um den Landesvorsitz der Jungen Union geschlagen hatte. Als Riesenhubers Nachfolger drückte der Oberbürgermeister seinen ehemaligen Bonner Referenten Wolfram Brück durch, den in Frankfurt keiner kannte.

Wallmann setzte den ihm ergebenen Brück gleich noch auf den Posten des Frankfurter Personal- und Rechtsdezernenten. So etwas, heißt es in der christdemokratischen Anti-Wallmann-»Dokumentation«, »hätte sich die SPD selbst in schlimmsten 'Filz'-Zeiten nicht einfallen lassen«. Brück habe in Wallmanns Auftrag, so das Papier, »ein Kesseltreiben gegen diejenigen« inszeniert, »die nicht zur Unterordnung bereit waren«.

Seit Wallmanns Wahlschlappe drückt die Basis ihre Unzufriedenheit mit der Parteispitze auch anders als in anonymen Papieren aus. In den Stadtbezirksverbänden wurden letzthin kritische CDU-Funktionäre demonstrativ wiedergewählt, gegen die Wallmanns Helfer - ohne Erfolg - per Antrag auf Parteiausschluß vorgegangen waren.

Allmählich muß der Landesvorsitzende sogar um seinen Posten als Oberbürgermeister bangen. Bei den nächsten Kommunalwahlen im Frühjahr 1985, befürchten Parteifreunde, könnte der Bürgermeister-Bonus vollends aufgebraucht sein. Denn Frankfurts Bürger spüren jetzt die Gebührenerhöhungen, mit denen die ständig wachsende Verschuldung der Stadt abgefangen werden soll.

Wallmanns jüngsten Akt, durch die Vertreibung aller Sexbetriebe aus dem Bahnhofsviertel in andere Stadtgebiete die City weiter zu verschönern, halten selbst CDU-Leute wie der Vorsitzende des Stadtbezirksverbandes Gallus, Reinhold Eisenkrätzer, für eine »falsche Idee« von Leuten, die »nicht in der Tradition der Stadt verhaftet« seien.

Dem angeschlagenen Oberbürgermeister bleibe bei alledem nur noch, wie ein hessisches CDU-Vorstandsmitglied rät, »die Flucht nach Bonn«. Doch dort ist kein Platz mehr für noch einen Hessen - Wallmanns Widersacher Riesenhuber und Dregger waren schneller.

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