Zur Ausgabe
Artikel 9 / 70

PRÄSIDENTENFALL Sonderfall

aus DER SPIEGEL 29/1959

Ein-Stern-General auf Probe Fritz Berendsen, Mitglied des Deutschen Bundestags und Vizekommandeur der 2. Panzergrenadier-Division in Marburg an der Lahn, hat den allwöchentlich fälligen Unterricht der Truppe über Staatsbürgerkunde um ein bemerkenswertes Thema bereichert: Darf man im bundesdeutschen Verfassungsstaat ungeachtet des Prinzips der Gewaltenteilung und entgegen den positiven Rechtsvorschriften beides zugleich sein - Angehöriger der Exekutive (der Bundeswehr) und Mitglied der Legislative (des Bundestags)?

Als sich die Christdemokraten für die Wahl des Bundespräsidenten rüsteten und selbst schwerkranke Parteifreunde nach Berlin beorderten, kam der CDU-General Berendsen, von seinen parlamentarischen Pflichten bis dahin beurlaubt, nunmehr bei der Bundeswehr um Urlaub ein. Berendsen legte den steingrauen Waffenrock ab, den schwarzgrauen Prokuristen-Zweireiher an und trat, solchermaßen vom Offizier zum Parlamentarier zurückverwandelt, in der Bundesversammlung zu Berlin an, um seinen obersten Repräsentationsherrn - den Bundespräsidenten, der Offiziere ernennt und entläßt - mit eigenem Stimmzettel zu wählen. Berendsen: »Ich bin ein Sonderfall. Ich bin der einzige General, der zugleich Bundestagsabgeordneter ist.«

Sonderfall Berendsen, bis Kriegsende Oberst im Generalstab, nach dem Kriege Prokurist bei der Duisburger Firma Klöckner & Co., war 1953 in den Bundestag gewählt worden. Als Militärexperte der CDU -Fraktion kam er in den Verdacht, sein Bundestagsmandat dafür mißbraucht zu haben, daß ein ansehnlicher Bau-Auftrag für Schützenpanzerwagen an die Kölner Firma Klöckner-Humboldt-Deutz vergeben wurde.

Zwar beteuerte Berendsen fast glaubwürdig, er habe nicht ahnen können, daß seine Firma - Klöckner-Duisburg - mit dem Werk, das den Bauauftrag für Schützenpanzerwagen bekommen sollte - nämlich Klöckner-Humboldt-Deutz - geschäftlich verbunden sei. Aber seinen längst gehegten Wunsch, die Uniform wieder anzuziehen, durfte er erst am 1. April dieses Jahres verwirklichen. Das Bundesverteidigungsministerium berief ihn als Ein-Stern -General zur Vier-Monate-Eignungsübung ein.

Von diesem Zeitpunkt an führt Berendsen die Zwitter-Existenz eines Parlamentarier-Militärs, der die vom Bundestag für die Bundeswehr dekretierten Grundsätze zugleich überwachen und vollziehen muß. Daß diese Doppelfunktion zumindest das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung verletzt, will Berendsen allerdings nicht wahrhaben: »Auf mich werden die Bestimmungen über Reservisten sinngemäß angewandt.« Woran sinngemäß zu erkennen ist, daß sich dieses Mitglied des Bundestags-Verteidigungsausschusses mit dem vom Verteidigungsausschuß ausgetüftelten Soldatengesetz nicht sonderlich intensiv vertraut gemacht hat.

Paragraph 60 des Soldatengesetzes regelt die Einstellung altgedienter Wehrmachtsoldaten als Freiwillige in die neue Bundeswehr. Solche Bewerber werden nach freiwilliger Dienstverpflichtung für vier Monate zur Eignungsübung einberufen. Während dieser Probezeit können sie nach Belieben wieder gehen; die Bundeswehr kann ihnen halbmonatlich kündigen. »Im übrigen«, so heißt es im Soldatengesetz-Paragraphen 60, »hat er (der Bewerber aus Wehrmacht-Zeiten) für die Dauer der Eignungsübung die Stellung eines Soldaten auf Zeit...«

Ob »Soldat auf Zeit« Berendsen mit Beginn der Eignungsübung sein Bundestagsmandat verliert oder nicht - diese Frage hat der Gesetzgeber in seiner Hast, das Wehrrecht durch die Bundestagsmühle zu drehen, offenbar zu regeln vergessen. Dagegen bestimmt der Grundgesetz-Artikel 137, daß »freiwillige Soldaten auf Zeit«

nicht in eine gesetzgebende Körperschaft gewählt werden dürfen. Wörtlich: »Die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden kann gesetzlich beschränkt werden.«

Die gesetzgeberischen Konsequenzen aus diesem Verfassungsgebot hat der Bundestag im »Gesetz über die Rechtsstellung der in den Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes« gezogen: Beamte treten mit dem Tage, an dem sie die Wahl in den Bundestag annehmen, in den Ruhestand. Erlischt ihr parlamentarisches Mandat, so können sie das alte Dienstverhältnis erneuern.

Für Bundessoldaten gilt dieses Gesetz - laut Soldatengesetz - »entsprechend«.

Das Verfassungsprinzip, das diesen »Beschränkungen der Wählbarkeit« zugrunde liegt: Parlamentarisches Mandat und öffentlicher Dienst - auch der eines »freiwilligen Soldaten auf Zeit« - sind unvereinbar, woraus geschlossen werden muß, daß der »freiwillige Soldat auf Zeit« Berendsen sein Bundestagsmandat nicht ausüben darf, den Bundespräsidenten mithin nicht hätte wählen dürfen.

Bleibt nur die Frage, ob Heinrich Lübke nach Verfassung und Soldatengesetz Rechtens zum Bundespräsidenten gewählt worden ist. Die Stimme des Bundestagsabgeordneten und Ein-Stern-Generals Berendsen - im zweiten Wahlgang vermutlich eine von 526 Lübke-Stimmen - war jedenfalls ungültig.

Parlamentarier-General Berendsen

Zweierlei Urlaub

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 9 / 70
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren