WEIN Sonne mit Siegeln
Das Etikett auf der Flasche muß jedem
Wein-Gourmet den Durst verschlagen: Ohne Angabe von Ort, Lage und Jahrgang verheißt es schlicht »Rheingau Riesling«.
Noch plebejischer geht es auf der Flaschen-Rückseite zu. Als handle es sich um Gesundheitsmost, garantiert dort Diplomchemiker Theodor Massing, daß der Wein »aus reifen Trauben« gewonnen, »bekömmlich« und »von gleichbleibender Qualität« sei.
Aber nicht weinfremde Banausen haben das Getränk gemischt; Westdeutschlands Winzer selbst kredenzen den anonymen Wein. Unter dem Druck stetig wachsender und immer schwerer verkäuflicher Erntemengen wich die Grundsatztreue.
Noch im vergangenen Herbst hatten die Verfechter der deutschen Namens-Rebe den Markenwein »Goldener Oktober« des Lebensmittelkonzerns Allgäuer Alpenmilch AG ("Bärenmarke") mit Empörung bedacht. Weinbauminister Oskar Stübinger von Rheinland-Pfalz: »Jeder Wein aus jedem Jahrgang und jeder Lage ist ein Individuum ... Nicht den uniformen Massenwein, sondern die vielfältige ... Güte wollen wir auf den Markt bringen.«
Und August Bold, Präsident der pfälzischen Landwirtschaftskammer, mahnte: »Der deutsche Qualitätswein lebt von seiner Individualität nach Jahrgang, Lage und Rebsorte.«
Der »Goldene Oktober« bewies jedoch, daß er vom Marken-Renommee auch nicht schlecht lebte. Seine Erzeugerin, die Alpenmilch-Tochter St. Ursula Weingut und Weinkellerei GmbH in Bingen, erwartet bereits in diesem Jahr einen Umsatz von zehn Millionen Flaschen oder mehr als 20 Millionen Mark. Für die Zukunft rechnet die Kellerei mit einem Marktanteil von etwa fünf Prozent.
Das Anonymprodukt ermuntert durch seine Einfachheit zum Kauf. Dagegen werden die zumeist wenig weinkundigen Normalverbraucher von den rund 30 000 verschiedenen Etiketten des deutschen Weinangebots verwirrt und vom Kauf abgehalten. Überdies hat das Einheitsgetränk für die Kellermeister den Vorteil, Weine verschiedener Lagen und Jahrgänge freizügig mischen zu können.
Nachdem im vergangenen Jahr wieder eine Hochflut von sieben Millionen Hektolitern Most aus den Weinbergen geströmt war, kapitulierten auch die 539 westdeutschen Winzergenossenschaften. Sie gründeten zunächst als gemeinsame Vertriebsfirma die Deutsche Interwein GmbH in Frankfurt am Main, deren Gesellschafter die sieben genossenschaftlichen Haupt- oder Zentralkellereien der Weinanbaugebiete sind.
Dann wurde ein Sortiment von 20 zeitlosen Kreszenzen zusammengestellt, darunter
- »Rheingau Riesling« (1,80 Mark je Flasche ab Erzeuger) der Hauptkellerei in Gau Biekelheim,
- »Badische Sonne« (1,90 Mark) der
Zentralkellerei Preißach und
- »Pfalz-Krone Gold« (1,95 Mark) der Zentralkellerei in Mußbach.
Interwein-Geschäftsführer Dr. Karl Bieser vertritt die neu gewonnene Erkenntnis der Weinbauern, daß »nur die Beschränkung auf ein überschaubares gebietstypisches Weinsortiment von stets gleichbleibendem Geschmack und guter Durchschnittsqualität« die Verbraucher zum Massenkonsum von Wein anregen könne.
Einen weiteren Kaufanreiz klebten die Winzer unübersehbar auf jede Flasche: das schwarz-rote, von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft als Gütezeichen verliehene Deutsche Weinsiegel.
Winzer-Markenwein
Die Treue wich