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LIZENZ-HANDEL Sonnemanns Bukett

aus DER SPIEGEL 7/1963

Dem Bundesrechnungshof in Frankfurt, der obersten Prüfstelle bundesamtlicher Finanzgebarung, ist es nach mehrjährigen Bemühungen gelungen, eine merkwürdige Transaktion des Bonner Ernährungsministeriums aufzuhellen. In einem Prüfungsbericht über das Haushaltsjahr 1959, der dieser Tage dem Bonner Bundestag zur Begutachtung zugeleitet wurde, bescheinigte der Rechnungshof dem Ernährungsministerium, es habe sich Geldmittel »außerhalb des Bundeshaushaltes durch mißbräuchliche Verwertung von Einfuhrmöglichkeiten beschafft«.

Die Vorwürfe des Rechnungshofs richten sich insbesondere gegen die ehemalige graue Eminenz des Agrarministeriums, den Staatssekretär außer Diensten Dr. Theodor Sonnemann, und gegen den Leiter der Abteilung Außenhandel dieses Ministeriums, Ministerialdirektor Dr. Otto Stalmann.

Theodor Sonnemann, mittlerweile in das Präsidium des Raiffeisenverbandes übergewechselt, hatte im Jahre 1954 einen lästigen Kläger, der die Bonner Ministerialen mit guten Gründen des Amtsmißbrauchs zieh, auf Kosten der Verbraucher zum Schweigen gebracht. Im Rahmen eines ausdrücklich so genannten Gentlemen's Agreement verschaffte das Ministerium dem Hamburger Importeur Dr. Oscar Müser unter Umgehung des Bundeshaushalts 750 000 Mark.

Dr. Müser, Gesellschafter der Deutsch -Schwedischen Handels-Gesellschaft mbH in Hamburg, hatte 1950 mit Unterstützung des damaligen, inzwischen verstorbenen Ernährungsministers Niklas durchgesetzt, daß die Bundesregierung die Einfuhr von 50 Millionen Dosen Fleischkonserven aus amerikanischen Überschußbeständen im Werte von nahezu sechs Millionen Mark genehmigte. Obwohl seinerzeit die Dollarvorräte der jungen Bundesrepublik äußerst knapp waren, stimmte das Kabinett dem Müser-Projekt zu, da wegen der Korea-Krise ein weltweiter Lebensmittel-Engpaß drohte.

Noch bevor indes der in hanseatischen Kaufmannskreisen damals so gut wie unbekannte Müser den Großimport bewerkstelligen konnte, änderte Niklas seine Ansicht. Da das Unternehmen nur über ein Stammkapital von 20 000 Mark verfüge, so erklärte Niklas, sei Müser ein derart großes Geschäft nicht zuzumuten.

Den Löwenanteil der von Bonn bereitgestellten Dollars bekamen statt dessen die Hamburger Edeka-Genossenschaft, die Kölner Firma Valkenburg sowie die der SPD nahestehende Hamburger Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumgenossenschaften mbH (GEG). Müser selbst bekam nur einen Bruchteil der ihm ursprünglich zugedachten Lizenzmenge.

Aber auch die karge Resteinfuhr blieb dem Dr. Müser versagt. Die Außenhandelsstelle des Ernährungsministeriums in Frankfurt nahm ihm die Importzertifikate wieder ab gegen das Versprechen, ihm als Ersatz später Lizenzen für US-Schmalz zukommen zu lassen.

Als dann auch noch die Ersatzgenehmigungen ausblieben, verklagte der Hamburger Importeur die Bundesrepublik Deutschland im Herbst 1951 vor dem Landgericht Frankfurt auf Schadenersatz in Höhe von zunächst 60 000 Mark. Seinen Gesamtschaden bezifferte Müser mit 2,1 Millionen Mark.

Obwohl das Landgericht Frankfurt dem Ministerium mehrmals einen Vergleich angeraten hatte, war das Ernährungsamt erst drei Jahre nach Prozeßbeginn zu gütlicher Einigung bereit.

Dieser Meinungsumschwung kam nun aber ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Müser den Bonner Ministerialen auch noch vorwarf, ihre Lizenzierungspraxis sei nicht frei von Korruption und Günstlingswirtschaft gewesen.

Das Ministerium billigte dem Importeur Müser eine Schadenssumme von 750 000 Mark zu. Staatssekretär Sonnemann beauftragte, wie er später vor dem Kölner Verwaltungsgericht aussagte, seinen Ministerialdirektor Dr. Stalmann, »das Zustandekommen des Vergleichs herbeizuführen und mich über das Ergebnis zu unterrichten«.

Stalmann ließ daraufhin Dr. Müser wissen, das Bundesernährungsministerium werde ihm einen Ausgleich für den erlittenen Schaden in barem Geld zukommen lassen.

Dieses Geld wollte das Ministerium nun aber keinesfalls, wie es Rechtens gewesen wäre, aus Haushaltsmitteln bestreiten. Die Beamten fanden vielmehr eine Methode, mit der sich das kostspielige Verschulden ihrer Behörde der öffentlichen Aufmerksamkeit entziehen ließ. So wurde beschlossen, Einfuhrlizenzen zu schaffen und zu verkaufen und aus dem Erlös dem Dr. Müser seine 750 000 Mark zu zahlen.

Die findigen Beamten stellten - wie es im Jargon des Bundesernährungsministeriums heißt - ein »Bukett« von Einfuhrmöglichkeiten für begehrte Waren zusammen und beauftragten eine Handelsfirma des Hamburger Altbürgermeisters Petersen, die Gesellschaft für Außenhandel mbH, mit der Lizenzvergabe. Petersen sollte diese damals sehr gefragten Einfuhrrechte an zahlungswillige Importeure verkaufen.

Zu dem Bukett gehörten ausschließlich streng kontingentierte Waren wie Zitrus- und Trockenfrüchte, Spargelkonserven, Kaugummi, Süßwaren und Musikautomaten, die den Importeuren von vornherein einen sicheren Gewinn garantierten. Dietmar Petersen, Geschäftsführer der Gesellschaft für Außenhandel und Neffe des Altbürgermeisters, brauchte sich dann auch nicht sonderlich anzustrengen, für die Lizenzen Interessenten zu finden. Eine Genehmigung zur Einfuhr von Kaugummi im Werte von rund 270 000 Mark verkaufte Petersen beispielsweise für 21 500 Mark. Im Durchschnitt betrug das Agio (Aufpreis) der Lizenzen etwa zehn Prozent des Einfuhrwertes,

Dieses Verfahren, Lizenzen mit einem Agio an Interessenten zu verkaufen, hatte das Bundeswirtschaftsministerium im Jahre 1951 durch einen Runderlaß für bestimmte Fälle erlaubt. Bei der Vergabe von Lizenzen für solche Erzeugnisse, bei deren Einfuhr die Importeure erfahrungsgemäß einen hohen Gewinn machten, sollten die Händler einen bestimmten Betrag reservieren. Aus diesen Mitteln sollten vor allem notleidende Exportfirmen, die ihre Erzeugnisse auf dem Weltmarkt nur schwer absetzen konnten, gefördert werden. Dieses Verfahren wandte Sonnemann zur Befriedigung der Müser-Forderungen an.

Insgesamt setzte die Firma Petersen im Auftrag des Ernährungsministeriums Importlizenzen im Warenwert von mehr als zehn Millionen Mark ab. Dietmar Petersen übernahm es auch, den Erlös aus dem Agio namens des Ministeriums an Müser auszuzahlen. Für diese Gefälligkeit durfte Petersen jeweils ein Prozent des Warenwertes der veräußerten Lizenzen einbehalten, was einem Gewinn von rund 100 000 Mark entsprach. Die Lizenzempfänger schlugen das Agio auf ihre Verkaufspreise auf.

Die Sachbearbeiter des Agrarministeriums sorgten dafür, daß ihr Vergleich nicht aktenkundig wurde. Als Müser 1959 vor dem Kölner Verwaltungsgericht von der Bundesregierung verlangte, man solle ihm über die 750 000 Mark hinaus noch weiteren Schadenersatz zahlen, erklärte der Ministerialrat Hornung als Zeuge: »Es ist mir erinnerlich, daß Herr Ministerialdirektor Stalmann sagte, daß ein schriftlicher Vergleich nicht abgeschlossen werden sollte, ein 'Gentlemen's Agreement' würde genügen.«

Theodor Sonnemann hingegen äußerte 1959 auf die Frage der Kölner Gerichtsvorsitzenden, weshalb der Vergleich mit Müser in den Akten des Ministeriums nicht protokolliert, ja nicht einmal ein Aktenvermerk des Sachbearbeiters zu finden sei, er könne hierzu keine Aussage machen. Sichtlich gequält gab der Staatssekretär jedoch zu, »daß ein derartiges Gehaben sicherlich nicht mit den Gepflogenheiten des Hauses übereinstimmt«.

Auch später war das Ministerium bemüht, jede öffentliche Diskussion des Lizenzhandels zu unterbinden. Als die »Frankfurter Rundschau« am 21. April 1961 unter der Überschrift »Ministerium verkaufte seine Lizenzen« über das Geschäft berichtete, erstattete das Ministerium gegen den Verfasser des Artikels, den Hamburger Journalisten Georg H. Würtz, Anzeige wegen Beleidigung. Weiteren Rückfragen von Journalisten anderer Blätter konnte in Bonn daraufhin mit dem Hinweis begegnet werden, gegen den Verfasser des Artikels sei bereits Strafanzeige erstattet worden.

Weil das Vergleichsgeschäft in der Bonner Haushaltsrechnung nicht sichtbar Wurde, konnte der Bundesrechnungshof unter seinem Präsidenten Dr. Guido Hertel erst viele Jahre nach Abschluß der Lizenzaffäre die inzwischen nahezu verwehten Spuren Sonnemanns und Stalmanns aufnehmen. In den Akten des Ernährungsministeriums fanden sich so gut wie keine Unterlagen über das Gentlemen's Agreement.

»Nach dem Ergebnis der Untersuchung des Bundesrechnungshofes«, so heißt es deshalb im Hertel-Bericht, »liegt es nahe anzunehmen, daß die verantwortlichen Bediensteten von vornherein beabsichtigt haben, über wichtige dienstliche Vorgänge möglichst keine schriftlichen Unterlagen entstehen zu lassen.«

Auch die Gründe solcher Geheimniskrämerei wurden Hertels Inquisitoren deutlich:

- Entgegen dem Artikel 69 der Reichshaushaltsordnung war die Vergleichssumme von 750 000 Mark weder als Einnahme noch als Ausgabe in der Haushaltsrechnung verbucht worden;

- den Bundesfinanzminister hatte Stalmanns Abteilung nicht konsultiert;

- sogar der Haushalts-Sachbearbeiter des Ernährungsministeriums war von der Abteilung Außenhandel übergangen worden.

Guido Hertels Behörde resümierte: »Durch die Abwicklung des Vergleichs außerhalb der Haushaltsrechnung ist der gesamte Vorgang der parlamentarischen Kontrolle entzogen worden.« Dank dem Fleiße der Frankfurter Revisoren hat nunmehr der Bonner Bundestag darüber zu entscheiden, ob dem Etat des Ernährungsministeriums Entlastung zuteil wird und welche Würdigung das Vorgehen der verantwortlichen Beamten finden soll.

Aber auch das Interesse der am Müser-Geschäft beteiligten Importeure dürfte nach dem Spruch des Rechnungshofs neuen Auftrieb erhalten.

Vor dem Kölner Oberlandesgericht ist derzeit eine Klage des Gemüseimporteurs Külter anhängig. Der Bonner Külter-Anwalt Dr. Georg Böckenhoff verlangt von der Bundesregierung die Rückerstattung des damals gezahlten Aufgeldes, weil sich der Bund an seinem Mandanten »ungerechtfertigt bereichert« und weil der verantwortliche Ministerialdirektor Stalmann zudem seine Amtspflichten verletzt habe.

Sollte Anwalt Böckenhoff mit seinem Musterprozeß Erfolg haben, könnten alle damaligen Lizenzempfänger die von ihnen gezahlten Aufgelder zurückfordern. Der Bund wäre gezwungen, die gesamte Vergleichssumme, die Sonnemann und Stalmann einst von der Haushaltsrechnung fernhalten wollten, schließlich doch noch legal lockerzumachen.

Für den ausgeschiedenen Staatssekretär Sonnemann und den amtierenden Chef der Außenhandelsabteilung, Dr. Otto Stalmann, dürfte die leidige Akte Müser jedoch auch noch ein persönliches Nachspiel haben. Am Schluß des Hertel-Gutachtens heißt es: »Der Bundesrechnungshof hält eine disziplinarische Würdigung des Verhaltens der für die Bearbeitung verantwortlichen Bediensteten für geboten.«

Kläger Müser

Von Bonn abgefunden

Staatssekretär a.D. Sonnemann

Im Ministerium wurden...

Ministerialdirektor Stalmann

... dienstliche Vorgänge...

Bundesprüfer Hertel

... parlamentarischer Kontrolle entzogen

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