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MAU-MAU Sonst droht Schlimmeres

aus DER SPIEGEL 12/1954

Londons traditionsbeladenes Kolonialamt ist im Begriff, nach altbewährtem Rezept Politik zu machen. Die Methode besteht darin, den Gegner durch Angebote von Geld, Orden, einer Ministerpräsidentschaft oder allem zusammen zu einer Stütze des britischen Weltreiches zu machen:

Im neuesten Fall paktiert die britische Kolonialverwaltung mit einem Mann, der Mord, Totschlag und Brandstiftung auf dem Gewissen hat, seine Feinde lebendigen Leibes zerstückeln ließ und verläßlichen Angaben zufolge bei rituellen Schwurzeremonien wiederholt das Blut umgebrachter Neger-Babies getrunken hat.

Es handelt sich um Waruhiu Itote, genannt »General China«, 32 Jahre alt, zweithöchsten Führer der Mau-Mau, im Zivilberuf Maschinenputzer bei den Eisenbahnen Kenias. Die von ihm drangsalierten britischen Siedler der Kronkolonie schäumten, als in Nairobi seine Begnadigung vom Strick zu Lebenslänglich und seine Verwendung durch die Kolonialbehörden als Vermittler zu den aufständischen Kikuju verkündet wurde Sie befürchten, daß dies alles der Anfang einer politischen Karriere Itotes sein könnte, und daß am Ende der schwarze »General« das erreicht, was er durch seinen Aufstand nicht erzwingen konnte: die Rückgabe des Farmerlandes an die vertriebenen Kikuju-Neger.

»Ich bin nicht pro-britisch, ich betrachte mich als kriegsgefangenen Angehörigen einer Bewegung, die seit längerer Zeit einer Katastrophe entgegenmarschiert«, so erklärte der wuschelköpfige »General China« die Beweggründe, die ihn veranlaßten, statt des Todes durch den hänfenen Strang die Vermittler-Rolle zu akzeptieren.

Verwundet war er den britischen Kolonialsoldaten am 15. Januar nach einem Gefecht in die Hände gefallen. Wenige

Tage darauf gab er ihnen schriftlich, daß es nach seiner Auffassung an der Zeit sei, mit militärischen Operationen Schluß und statt dessen Politik zu machen. Die Kikuju können nach der unter britischer Gefängnis-Pflege gewonnenen Erkenntnis des Partisanen mit Gewalt nicht mehr viel erreichen. Wenn es nach »General China« geht, werden die Neger in Zukunft ihre Forderungen nach mehr Land und nach Gleichstellung mit den weißen Siedlern in Verhandlungen durchkämpfen.

Mit der Zähigkeit eines geborenen Politikers hielt Itote auch nach seiner Verurteilung zum Tode an dieser Ansicht fest. In Verhören, die insgesamt 68 Stunden dauerten, machte er Aussagen über die Mau-Mau, die ein Dossier von 44 Seiten füllen. Er konnte genaue Angaben über alle Führer der 4000 Kikuju machen, die unter ihm an den Südabhängen des Keniaberges kämpften. Er verriet Einzelheiten über die Organisation der Mau-Mau, ihre Methoden und ihren Nachrichtendienst.

Auf diese Weise gelang es ihm, die Engländer von seinen guten Absichten zu überzeugen. »Wenn der gelogen hat, so wird er als einer der größten Schwindler aller Zeiten in die Geschichte eingehen«, philosophierte General G. D. G. Heyman, Stabschef des englischen Oberkommandierenden in Ostafrika.

Unter strenger Bewachung, als Askari verkleidet, wurde er aus der Hauptstadt Nairobi nach Njeri, einem Zentrum der Unruhen, geflogen, in dasselbe Gefängnis, in dem zwei seiner Frauen gefangen sitzen. Von dort aus schrieb er an 26 Führer der Mau-Mau Briefe, in denen er sie aufforderte, mit den Engländern über Kapitulation zu verhandeln. »Sonst drohen allen Kikuju noch viel strengere Maßnahmen«. setzte er hinzu.

Die Botschaften wurden in geheime »Briefkästen« der Mau-Mau geworfen. Hohle Bäume und Astgabelungen, über das ganze Gebiet der 1,2 Millionen Kikuju verstreut, dienen seit langem diesem Zweck. Manchmal mußte »General China« im Panzerwagen mitfahren, um sich den »Postboten« zu zeigen und sie zu überreden, die Briefe »auszutragen«.

Tatsächlich erschienen auch Mau-Mau-Führer im Gefängnis von Njeri zu Beratungen. Die Engländer ließen sie danach wieder ziehen, damit sie Itotes Ratschläge mit der eigenen Truppe besprechen konnten.

Die Kämpfe und Überfälle der Mau-Mau haben bisher 22 Weißen, 21 Indern und 930 englandtreuen Kikuju das Leben gekostet. Sie wurden nicht erschossen, sondern meist bestialisch geschlachtet.

Die Mau-Mau ihrerseits hat englischen Angaben zufolge bereits fast 4000 Gefallene zu verzeichnen, und in den letzten Monaten wurde es immer schwerer für sie, Rekruten, Waffen, Geld und Lebensmittel aufzutreiben. Das ist das wichtigste Argument, mit dem der gefangene Rebell seine ehemaligen Kampfgefährten zur Vernunft mahnen kann.

Hauptmotiv »Chinas« für seine Desertion bleibt nach der Auffassung der Kolonialregierung, daß er die richtigen Folgerungen aus der Kriegsmüdigkeit in den Mau-Mau-Reihen gezogen hat. Gerade weil sich aber der Mann als Politiker von gewissem Format erweist, empören sich die 40 000 weißen Siedler gegen den Beschluß, »General China« verhandeln zu lassen, anstatt ihn aufzuknüpfen.

Eine Versammlung aufgeregter Weißer in South Kinangop verlangte die sofortige Hinrichtung »Chinas«, die Ersetzung des britischen Oberkommandierenden in Ostafrika, General Erskine, durch einen härteren Offizier und den Rücktritt des Gouverneurs der Kolonie, Sir Evelyn Baring.

Selbst Michael Blundell, der gemäßigte Führer der Siedler im Kolonialparlament, warf in einer erbitterten Rede der Regierung Prinzipienlosigkeit vor: »Der Durchschnittsbürger muß zu dem Schluß kommen, daß die Regierung Brutalität, obszöne Schwüre und Mord toleriert.« Andere Abgeordnete sprachen noch heftiger, bis sich schließlich ein Regierungsmitglied, Mr. Windley, über »Kurzsichtigkeit und hysterische Reden« in der Kammer beschwerte.

Dafür stellte sich das Londoner Unterhaus resolut hinter Gouverneur Baring und »General China«. Die Sozialisten, die monatelang über Kolonialminister Lyttelton hergefallen waren, sprachen ihm in seiner Abwesenheit - er besuchte gerade Kenia - ihre Glückwünsche aus.

Trotzdem ist ein solches Paktieren mit den Rebellen für England eine harte Nuß.

»Es erforderte Klugheit und Mut von der Regierung, 'Chinas' Eingeständnis zu akzeptieren, daß der Kampf nunmehr mit anderen Mitteln fortgesetzt werden muß«, kommentierte der Londoner »Observer«. Aber das Commonwealth hat von den Unruhen genug.

Wenn es »General China« gelingt, einen Teil der 26 Führer, an die er schrieb, zur Kapitulation zu bewegen, oder wenn zumindest die 4000 Mann, die unter ihm kämpften, die Waffen strecken, hat sich die riskante Politik Lytteltons gelohnt. »China« wird dann auch die 18 Shilling bekommen, die ihm die Eisenbahn von Kenia noch für das Putzen von Lokomotiven schuldet. Als er noch als Feind Englands in seinem Dschungel-Hauptquartier saß, sandte er seine Forderung an die Verwaltung der ostafrikanischen Eisenbahnen.

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