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ASYL Sorgloser Umgang

Neun Jahre nach ihrer Einreise haben Chilenen, die nach dem Sturz Allendes in die Bundesrepublik flüchteten, noch immer kein Asyl.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Der Kanzler machte Versprechungen. »Die Bundesrepublik«, versicherte Willy Brandt 1973 nach dem Militärputsch in Chile, werde »mehr chilenische Flüchtlinge aufnehmen als jedes andere europäische Land«.

Die Zusage wurde zwar eingehalten. Mehr als 2500 Anhänger des gestürzten chilenischen Regierungschefs Salvador Allende kamen damals, direkt oder auf Umwegen, aus dem Andenstaat nach Westdeutschland. Doch nun, gut neun Jahre danach, zeichnet sich für einige von ihnen das Ende der Gastfreundschaft ab.

Chilenen, die beispielsweise über Rumänien in die Bundesrepublik geflüchtet waren und hier Asyl beantragt haben, müssen damit rechnen, daß ihr Begehren abgelehnt wird. »Erst hat man uns gesagt«, klagt Harnan Antonio Baeza-Verdugo, der seit 1974 in Hamburg lebt, »wir dürften bleiben, und jetzt wollen uns die Deutschen nicht mehr haben.«

Die Deutschen, das sind für Baeza-Verdugo die Richter des Verwaltungsgerichts im bayrischen Ansbach. Nachdem das Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge dem Asylantrag zunächst stattgegeben, ihn dann aber abgelehnt hatte, entschieden die Verwaltungsrichter, der Chilene, seine Ehefrau und die vier Kinder hätten »einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte ... nicht mehr«.

Der Fall Baeza-Verdugo weist wieder einmal auf eine bedenkliche Entwicklung in der westdeutschen Asylpraxis hin. Das in der Verfassung garantierte Recht auf Asyl (Grundgesetz-Artikel 16: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.") wird durch restriktive Rechtsauslegung stark eingeschränkt - vor allem, wie es scheint, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und zunehmender Ausländerfeindlichkeit.

Asyl wird mittlerweile selbst dann nicht mehr gewährt, wenn Betroffene - beispielsweise türkische Kurden - in ihrer Heimat gefoltert werden (SPIEGEL 49/1982). »Ein subtiles Zusammenspiel von Bevölkerung, Politikern und Verwaltung«, rügt der Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen beim Zirndorfer Bundesamt für Verfolgte, Peter van Krieken, habe zu »einem sorglosen Umgang mit den Menschenrechten in der BRD« geführt.

Der Chilene Baeza-Verdugo, der in seiner Heimat Mitglied der Sozialistischen Partei war, hat diese Sorglosigkeit zu spüren bekommen. Zum Verhängnis wurde ihm, daß er sich vom Weltkirchenrat zunächst nach Rumänien vermitteln ließ, um den Häschern des Militärregimes zu entgehen, und erst drei Monate später in die Bundesrepublik einreiste.

Denn nach Paragraph 2 des Asylverfahrensgesetzes kann Verfolgten das Asyl verwehrt werden, sofern sie schon »in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden haben«. Und weil die Baeza-Verdugos vorübergehend in Rumänien untergekommen waren, so argumentierten das Zirndorfer Flüchtlingsamt und das Ansbacher Verwaltungsgericht, hätten sie ja auch dort bleiben können.

Zwar habe die chilenische Familie nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. Gleichwohl, so schlossen die Richter kurz, sei sie auch auf Dauer vor Abschiebung geschützt gewesen. Dies sei schon dadurch bewiesen, daß Baeza-Verdugo in Bukarest Wohnung und Arbeit erhalten habe.

Daß sich der Fall durchaus anders bewerten läßt, zeigt ein Urteil der Ersten Kammer des Ansbacher Verwaltungsgerichts in einem vergleichbaren Verfahren: Da Rumänien nicht Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention sei und deshalb auch »kein absolutes Asylrecht« gewähren könne, erkannten die Richter eine andere chilenische Familie als politisch Verfolgte an.

Chile-Flüchtlinge, die - wie Baeza-Verdugo - »nicht einer kommunistischen Partei angehört haben«, so argumentierten diese Juristen, hätten einen »unsicheren Rechtsstatus«. Auf Dauer sei nicht auszuschließen, daß bei einer Besserung der rumänisch-chilenischen Beziehungen »der Aufnahmestaat Rumänien solche Flüchtlinge entweder selbst S.68 oder über einen Drittstaat zurückschaffen könnte«.

Rechtskräftig ist diese Entscheidung allerdings ebensowenig wie das Urteil im Fall Baeza-Verdugo. Und selbst eine endgültige Ablehnung der Asylanträge brächte keine Klarheit. Denn die Richter haben zwar das Asylbegehren verworfen, eine Ausweisung ist aber auch ausgeschlossen: Chilenen aus Rumänien, die in die Bundesrepublik weitergeflüchtet sind, können laut einem anderen Ansbacher Urteil »nicht mehr nach Rumänien zurückkehren«.

Und weil in Chile »lebensbedrohende Maßnahmen der Militärregierung gegen den Kläger nicht ausgeschlossen« sind, »dürfte eine Abschiebung dorthin ... ebenfalls nicht in Betracht kommen«.

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