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TSCHECHOSLOWAKEI Sorry, Tony

Der gestürzte Diktator Novotny wurde wieder in die Partei aufgenommen. Er schreibt Memoiren, die dem Kreml nicht gefallen können.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Atonin Novotný, so urteilte in Preßburg der CSSR-Parteichef Husák über seinen Vor-Vorgänger, ist eine »politische Leiche«. Wenig später, am 25. Mai, sagte Husák in Prag dasselbe auf kommunistisch: »Die Parteiführung mit Antonin Novotný an der Spitze schätzte den erreichten Grad der Entwicklung der Gesellschaft falsch ein und idealisierte das Niveau ihrer moralisch-politischen Einheit.«

Die Leiche wurde wieder lebendig: Wenige Tage darauf verließ ein braungebrannter Novotný mit selbstbewußter Miene das ZK-Gebäude am Prager Moldau-Ufer.

Ehrfürchtig grüßte der Polizei- Posten den einst allmächtigen Genossen. Die Zentrale Kontroll- und Revisionskommission der KPC hatte dem 1968 abgelösten Partei- und Staatschef mitgeteilt, seine vollen Rechte eines Mitglieds der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei seien wiederhergestellt.

Man empfahl ihm, bei nächster Gelegenheit Selbstkritik zu üben -- er habe ja auch einige Fehler gemacht. Novotný lehnte ab. Sein Parteibuch bekam er auch ohne öffentliche Reue zurück.

Am 30. Mai 1968, mitten im Prager Frühling, war Novotnýs Parteimitgliedschaft suspendiert worden, bis sein Anteil an den Säuberungen der Jahre 1949/1954 überprüft sei. Den Bericht darüber sollte eine Sonderkommission unter Vorsitz des Genossen Jan Piller dem ZK erstatten.

Der sowjetische Einmarsch verhinderte eine Publikation des fertigen Berichts -- er kam in einen Geheim-Safe. Nicht Novotný nahm Schaden, sondern Kommissions-Chef Piller stürzte -- nach Veröffentlichung des Piller-Berichts im Ausland (SPIEGEL 13/1970).

Novotný wartete in aller Ruhe seine Rehabilitierung ab -- in einer Prager Stadtwohnung und auf seinem Sommersitz in Kouhm. Seine Luxusvilla im Getto der Parteiprominenz an der Moldau beim Schloß Orlik hatte er allerdings aufgeben müssen.

Seine Staatspension beträgt 5600 Kronen im Monat (1271 Mark). Regelmäßig geht Novotný ins Gasthaus am Ort, um mit den Nachbarn Karten zu spielen. Er schmeißt Bier für alle.

Und regelmäßig empfängt Novotný Besucher aus Prag: Er hofft auf Rückkehr aus dem Ruhestand, und er hofft nicht ohne Grund. Denn aller Haß der »Tschechen richtet sich nicht mehr gegen den Alt-Stalinisten Novotný, sondern gegen den heutigen Parteichef Husák, der die Grenzen schließen ließ, sich beim Kreml für die Okkupation bedankt hat und außerdem kein Tscheche, sondern ein Slowake ist.

Unter Novotný stand keine Sowjet-Garnison im Land, konnten -- am Ende seiner Amtszeit -- Ferienreisen ins westliche Ausland unternommen werden, Künstler und Wissenschaftler ihre Meinung äußern, und zum Schluß wurde kaum jemand mehr verhaftet.

Pessimistische Prager erzählen sich den Witz, Novotný werde vor Gericht gestellt und zu fünf Jahren Kerker verurteilt: ein Jahr dafür, daß er einst Husák hatte einsperren lassen, und vier Jahre, weil er Husák aus der Haft wieder freiließ. Junge Leute tragen Abzeichen mit der Aufschrift: »Sorry, Tony!« -- als ob sie sich für ihre Demonstrationen gegen Antonin ("Tony") Novotný im Dezember 1967 entschuldigen wollten. Tony selbst aber stellte sich auf einem Treffen ehemaliger Insassen des KZ Mauthausen Anfang Mai in Prag als ein Mann mit Zukunft vor. Er beschwerte sich nur, daß er eine kleinere Pension als die Witwe des bürgerlichen Präsidenten Benes bezieht, und verriet, er schreibe an seinen Memoiren.

Das war eine deutliche Drohung gegen manche seiner Zeitgenossen, die heute noch an der Macht sind. Der sowjetische Parteichef Breschnew jedenfalls wird kaum geneigt sein, Novotný ins politische Leben zurückzuholen: Novotný weiß, wie Breschnew an die Macht kam.

Nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 erzählte Nachfolger Breschnew per Telephon seinem neuen Kollegen Novotny, Chruschtschow habe wegen Krankheit selbst seine Demission eingereicht. Novotný hielt ihm erregt entgegen, sechs Wochen zuvor habe Chruschtschow als sein Gast die Tschechoslowakei besucht und vor Gesundheit gestrotzt.

Chruschtschow-Ehefrau Nina, die in Karlsbad kurte, wollte ihrem Mann in jener schweren Stunde beistehen -- aber Sowjetbotschafter Simjanin ließ sich verleugnen. Novotný besorgte ihr ein Flugzeug nach Moskau.

Novotný ließ das tschechoslowakische Parteipräsidium sogar eine Resolution fassen, in der Chruschtschows Abgang bedauert und seine Tätigkeit positiv bewertet wurde. Und Novotný lehnte eine Einladung nach Moskau zu den Oktoberrevolutions-Feierlichkeiten demonstrativ ab.

Solchen Eigensinn vergaß Breschnew nicht. Als Novotný im Dezember 1967 den Sowjet-Genossen zur Hilfestellung nach Prag rief, hörte sich Breschnew die Argumente Novotnýs und die seiner Widersacher an -- und entschied dann: »Eto wasche djelo!« (Das ist eure Sache). Die Widersacher -- Oppositionsführer: Alexander Dubcek -stürzten Novotný.

Novotný setzt darauf, daß auch Breschnew. 64. nicht ewig im Amt bleibt Breschnew-Nachfolger könnten sich dann erinnern, daß Novotný, 66, stets vor dem Liberal-Kommunismus gewarnt und während seiner Amtszeit -- 15 Jahre lang -- das Land ruhig gehalten hatte.

Novotnýs Leute sitzen heute noch in den höchsten Organen von Partei und Staat:

* sein früherer Innenminister Strougal ist Premier und Mitglied des Parteipräsidiums (mit Villa in Orlik): > sein früherer Premier Lenárt ist Parteichef der Slowakei und Mitglied des Parteipräsidiums;

* seine ehemaligen Minister und engen Verbündeten Václav David, Lastovicka, Krajcir und viele andere sind Mitglieder des neugewählten ZK. Aus dem ZK ausgeschlossene Novotný-Anhänger (die »Ultra-Internationalisten") haben sich in einer Gruppe organisiert und im Juni auf einer Tagung in Prag scharfe Kritik an dem Kompromißler Husäk geübt: Er betreibe eine »Liquidation der Kader, die der Sowjet-Union am treuesten ergeben sind«.

Die Sowjet-Treuesten werden weiter hin von Moskau ausgehalten, um Husäk unter Druck zu setzen und ihn der Bevölkerung zugleich als das kleinere Übel in empfehlen. So mußte Husák den lebenden Leichnam Novotný wieder in die Partei aufnehmen -- und außerdem die Hauptverantwortlichen für die Terrorprozesse der Stalinzeit: die ehemaligen Minister Bacilek (Sicherheit) und Rais (Justiz) sowie den Ex-Premier Si roký und den Parteisekretär Pavol David (die beiden hatten 1954 Husák wegen »bourgeoisem Nationalismus« zu lebenslangem Kerker verurteilen lassen).

Als Besatzer-Chef Breschnew im Mai Prag besuchte, hielt er in den »Auto-Praga«-Werken eine Rede -- nicht vor Arbeitern, sondern ausgesuchten Funktionären. »Im Namen der Arbeiter« begrüßte ihn KP-Mitglied Jiri Uchytil. Der hatte bis 1954 die Polizei-Sondertruppe »Jasan« kommandiert, die den Partei-Generalsekretär Slánský und den Außenminister Clementis verhaftet hatte; beide wurden hingerichtet.

Diesen Streich können dem sowjetischen Generalsekretär nur Novotný-Anhänger mit Wissen sowjetischer Breschnew-Feinde gespielt haben.

Novotný aber erhielt am Tage seiner Wiederaufnahme in die Partei per Dienstwagen einen Blumenkorb -- von der Botschaft der UdSSR in Prag.

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