AUSBILDUNG Soweit die Füße tragen
Sie kraxeln auf den Monte Rosa, seilen sich in Höhlen ab, tauchen in die
Adria, zelten im Teutoburger Wald, radeln keuchend durch die Weinberge am Rhein und trampen - ob's stürmt oder schneit - von Lappland bis zum Mittelmeer.
Mal in Räuberzivil, mal ordentlich in Uniform, mit nichts als dem Hute in der Hand, 110 Mark im Brust- und gewöhnlicher Marschverpflegung im Brotbeutel pirschen und walzen sie truppweise durchs Nato-Land, um sich auf Befehl ihrer Krone als Wagehälse und Tausendsassas zu gebärden: Die Landstreicher sind Landsknechte im Dienst der Britischen Majestät.
Mit ihren Streifzügen unterziehen sich die Queen-Soldaten einer militärischen Pflichtübung, die unter der Bezeichnung »Adventure Training« - zu deutsch etwa: Abenteuer-Übung - schon zur englischen Armee-Tradition gehört. Colonel Hutchins aus dem Hauptquartier der britischen Rheinarmee in Mönchengladbach: »Das ist so alt wie die moderne britische Armee und wird überall auf der Welt praktiziert, wo immer unsere Soldaten sind.«
Trainingsziel ist es, laut Vorschrift »Initiative, Selbstvertrauen, Findigkeit, Ausdauer und Führungsqualitäten« auch der schlichten Dienstgrade zu entwickeln. Rheinarmee-Oberst Hutchins ist überzeugt davon, daß nicht zuletzt diese Sonderausbildung zu Britanniens Schlachtenglück stets beigetragen hat.
Zwar wird der Erfolg der Husarenstückchen, zu denen die Soldaten ermuntert werden, »an der Überwindung von Hindernissen durch eine gut geführte und disziplinierte Mannschaft« gemessen, doch haben die Abenteuer-Trainer neben solcher Erziehung zu militärischer Team-Arbeit noch ein anderes wehrpolitisches Ziel im Visier: Sie betreiben damit Schleichwerbung für das Leben unter den Soldaten. Berichte in englischen Lokalblättern über besonders attraktive Mutproben abenteuernder Army-Trupps sollen wehrfähige, aber bis dahin desinteressierte Söhne Albions in die Rekrutierungsbüros locken.
Tatsächlich finden Soldaten beim Adventure Training mehr Abwechslung als Pfadfinder beim Geländespiel: Das Spielfeld reicht von Skandinavien bis Sizilien, von der Lüneburger Heide bis an die irische Küste; und trainiert werden darf nicht allein sturer Fußmarsch, sondern Bergsteigen, Kanufahren, Segeln, Tauchsport, Höhlenforschung und Radfahren, dies »aber nicht über kurze Strecken im Flachland«.
An den einzelnen Wagestücken können Gruppen von vier oder auch von zweihundert Soldaten teilnehmen. Die Führung obliegt jeweils einem Offizier, der vor dem Aufbruch ins Abenteuer seiner Kommandostelle einen präzisen Trainingsplan zur Genehmigung einzureichen hat.
Bei der britischen Rheinarmee (Sollstärke 55 000 Mann) hat der zuständige Stabsoffizier jährlich rund 250 Trainingsgesuche zu bearbeiten. Für genehmigte Bravourstreiche steht der Rheinarmee in diesem Jahr ein Fonds von 43 000 Pfund (480 000 Mark) zur Verfügung. Ein Drittel davon wird für Ausrüstung, ein Drittel für besondere Kleidung und ein Drittel als Reisegeld-Zuschuß ausgegeben. Außerdem stehen für zivile Reiseführer und Bergsteiger, die von den Soldaten manchmal angeheuert werden, weitere 6500 Mark zur Verfügung.
Alles andere müssen die Soldaten beisteuern, denn ganz gleich, in welcher Ecke Europas sie ihre Taten vollbringen wollen: Die finanzielle Wegzehr beträgt
zehn englische Pfund (110 Mark) und keinen Penny mehr.
Mit dieser Summe in der Tasche machten sich die britischen Artilleristen aus Münster auf den Weg, die den Auftrag bekommen hatten, ihre Kanone nach London zu schaffen. Am Pier in Hoek van Holland sammelten sie so lange Geld von Privatpassagieren, bis sie außer Fahrt- und Frachtkosten für sich und das Geschütz auch noch den Lunch an Bord bezahlen konnten.
Ein anderer Trupp, der von Berlin aus nach England aufbrach, vertraute nicht fremden Brieftaschen, sondern den eigenen Beinen. Von diesem Beispiel angespornt, legten 15 Soldaten des Royal Corps of Signals 800 Kilometer zu Fuß in zehn Tagen zurück, wobei sie halb Deutschland und ganz Luxemburg durchwallten.
Vierzehn Soldaten des 13. Nachrichten -Regiments aus Aachen stakten zwei Wochen lang in Kanus die Maas entlang, von Charleville in Frankreich bis Roermond in Holland. 30 Mann der 7. Transporteinheit in Mönchengladbach walzten nach La Spezia und kühlten ihren Mut bei Tauchversuchen im Mittelmeer. Andere Gruppen abenteuerten in den Dolomiten und den Walliser Alpen herum oder wählten das weniger strapaziöse Trainingsthema, ohne die üblichen Hilfsmittel eine Karte der Nordseeinsel Langeoog anzufertigen.
Auch die weiblichen Angehörigen der Rheinarmee nehmen an derlei Mannestaten teil: Sechs Damen des Women's Royal Army Corps bestanden den Härtetest, indem sie binnen fünf Tagen radfahrend von Aachen über Trier nach Koblenz hetzten.
Zumal in England werden sturmerprobte Tommys nicht nur zu schweißtreibenden, sondern auch zu beinahe galanten. Abenteuern angehalten. So bekam ein simpler Infanterist den Auftrag, einer Filmdiva den Lippenstift zu rauben. Sein Kamerad bestand das Abenteuer, in die Live-Sendung einer Fernseh-Show zu platzen: Ganz England konnte zusehen, welche Früchte das Adventure Training tragen kann.
Zuweilen verstehen die nüchternen Soldaten Ihrer Majestät, militärische Notwendigkeit mit persönlichem Nutzen zu verquicken. Als Paradebeispiel dafür gilt der pfiffige Gefreite Tony Crook, der in Osnabrück den Befehl bekam, sich an einen möglichst weit entfernten Punkt des europäischen Nato-Territoriums zu begeben.
Gefreiter Crook trabte zielbewußt nach Barnstaple an der englischen Atlantikküste. Dort wohnen seine Braut und seine Eltern.
Adventure-Training in den Alpen: Im Dienst der Krone ...
Adventure-Training auf dem Rhein
... auf Jagd nach Lippenstiften.