WAFFEN-EXPORT Sowieso nicht fahren
Ein Abgesandter des saudischen Königshauses wußte nicht recht, warum Franz Josef Strauß ihn so dringend zu sehen wünschte. Ob er nicht an einem Wochenende nach München kommen könne, ließ der bayrische Ministerpräsident kürzlich nachfragen, dann nämlich könne er sich viel Zeit nehmen, und das Treffen bleibe am ehesten unbemerkt.
Als am vergangenen Donnerstag publik wurde, daß der CSU-Chef diese Woche zu einer Reise nach Israel aufbricht, sah der Saudi im nachhinein klarer. Ihm erschloß sich auch manche erstaunlich offene Anmerkung aus dem Gespräch mit dem Münchner Regierungschef:
Eine »Person des internationalen Lebens« (Strauß über Strauß) wollte wieder einmal etwas größere Politik machen. Der Bayer hatte wohl den Eindruck gewonnen, die Bonner Nahostpolitik sei in einer heillos verfahrenen Lage, er als der wahre Staatsmann einmal mehr dringend gefordert.
Jeder wisse doch, welch bedeutende Rolle Saudi-Arabien in der nahöstlichen Krisenregion spiele, schmeichelte Strauß dem Gast in München. Die Bundesregierung müsse mithelfen, die Sicherheit des strategisch wichtigen Landes am Golf zu garantieren. Und deshalb - klagte er - könne er überhaupt nicht begreifen, warum eine militärische Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit dem Königreich nicht zustande komme.
»Wenn ich in der Regierung wäre«, so Strauß ohne Umschweife, »hätte ich keine Sekunde gezögert, alle Waffenwünsche Saudi-Arabiens zu erfüllen.« Dann fügte er - zum Erstaunen des Besuchers - hinzu, wenn die Israelis bei ihm nach Waffen fragten, »würde ich auch deren Wünsche erfüllen«. Denn: »Wir müssen unsere Freunde in dieser Region stärken.«
Fertige Urteile über die in Bonn hatte der bayrische Ministerpräsident natürlich auch parat. »Feiglinge« schimpfte er die regierenden Parteifreunde. Einen ernannte er zum Hauptverantwortlichen für den Wirrwarr in der deutschen Nahostpolitik - Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Strauß: »Er ist der Oberfeigling.«
Wie so oft hat Strauß eine Schwachstelle der Koalition entdeckt. Ungeniert stochert er in der Wunde.
Kanzler Helmut Kohl, der von seinem Vorgänger Helmut Schmidt eines der heikelsten außen- und innenpolitischen Probleme erbte, erweist sich als unfähig, eine Lösung zu finden. Die Beziehungen zu den Saudis sind ruiniert, weil die Deutschen - entgegen einer festen Zusage - jeglichen Rüstungsexport in das arabische Land blockieren. Das Verhältnis zu den Israelis aber ist gleichwohl äußerst gespannt.
Schmidt hatte vor Jahren schon dem damaligen König Chalid deutsche Waffenhilfe in Aussicht gestellt, unter anderem den weltweit begehrten Prestige-Panzer »Leopard 2«. Das sollte, so die Sprachregelung, ein »Beitrag zur Stabilisierung der Region« sein. Aber nach langwierigen Querelen mußte Schmidt sich und den Saudis eingestehen: Für dieses Geschäft gebe es in der sozialliberalen Koalition keine Mehrheit.
Helmut Kohl glaubte, er könne einlösen, was seinem Vorgänger nicht möglich war. Doch auch er kapitulierte schließlich - vor den Widerständen in der christliberalen Koalition und unter dem Druck der Israelis. Bei seinem peinlichen Gang nach Dschidda mußte er im Oktober 1983 wie sein Vorgänger zugeben, er könne die Wünsche der Saudis nach dem »Leo 2« nicht erfüllen.
Zum Trost bot der Kanzler ein Ersatzgeschäft an: Er offerierte in Dschidda eine Liste mit Kriegsgerät, auf der, zur gefälligen Bedienung, alles verzeichnet war, was gut und teuer ist - außer dem Leo 2. Mit im Angebot: die Flugabwehrpanzer »Roland« und »Gepard« sowie der Schützenpanzer »Marder«.
Die Saudis waren zwar enttäuscht, sie hatten sich nun mal auf den Parade-Panzer kapriziert. Inzwischen freilich mußten sie feststellen, daß auch die von Kohl avisierte Ersatzliste das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. Der ganze Waffendeal scheitert womöglich, weil die Deutschen den Export an Bedingungen knüpfen, die von den Saudis kaum erfüllt werden können.
Die Enttäuschung wächst sich zum außenpolitischen Debakel aus. Kohl selber und auch Strauß hatten in Gesprächen mit saudischen Prinzen den Eindruck vermittelt, das Geschäft sei schon gelaufen. Plötzlich aber präsentierten die Bonner bei den Verhandlungen im vergangenen Jahr drei »Rahmen«-Bedingungen für das Geschäft. Die Saudis sollten sich verpflichten, *___das deutsche Kriegsgerät nicht in andere Länder ____weiterzuverkaufen ("Endverbleibsklausel"); *___die Waffen nur zur eigenen Verteidigung einzusetzen; *___das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
Die Araber waren zwar bereit, über die beiden ersten Punkte mit sich reden zu lassen; den dritten aber, die Anerkennung Israels, empfanden sie als unverschämt. Wer so etwas verlange, erklärten sie den deutschen Emissären, mische sich in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates und verletze dessen Souveränität.
Der Kanzler selber versuchte die aufgebrachten Saudis zu beruhigen. Das Geschäft, ließ er König Fahd ausrichten, werde schon zustande kommen, er müsse nur den »Klärungsprozeß« in der FDP abwarten. Ganz offen schob Kohl alle Schuld auf Genscher: »Ich habe einen störrischen Partner, und den muß ich noch bearbeiten.«
In der Tat verfolgt der Außenminister nur ein Ziel: Er möchte seinerseits, wie schon in der alten Koalition, dem Regierungschef alle Verantwortung für das brisante Waffengeschäft aufhalsen. Sosehr er sonst auf seine Kompetenz pocht, in dieser Sache soll Kohl wie damals Schmidt den Vortritt haben. Genscher beschränkt sich auf bissige Kommentare über den außenpolitischen Dilettantismus seines Kanzlers - und aus dem Hintergrund sucht er das Unternehmen zu torpedieren.
Er sei, so berichtete Genscher Vertrauten, »vom Stuhl gefallen«, als er erfahren habe, daß Kohl im Januar 1984 bei seinem Besuch in Jerusalem den Israelis Konsultationen vor eventuellen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien zusagte. Damit habe sich der Kanzler, entgegen öffentlichen Äußerungen, doch in eine Abhängigkeit von der israelischen Regierung begeben. Die »Tragweite« dieser Zusage habe Kohl »offenbar bis heute nicht erkannt«.
Nach Ansicht des Außenministers hat der Kanzler »ohne Not« den Israelis eine Art Mitsprache bei deutschen Angelegenheiten eingeräumt. Sie bräuchten
jetzt nur »in Ruhe abzuwarten«, bis der Kanzler sich melde. Die Reaktion der Israelis aber stehe schon jetzt fest: ein unnachgiebiges Nein.
Genscher erfuhr überdies, Strauß empfehle dem Kanzler als Patentlösung, die Israelis durch Lieferung von exklusivem Kriegsgerät ruhigzustellen.
Israel, erklärte der CSU-Vorsitzende letzte Woche auch öffentlich in einem Interview mit der Zeitschrift »Wehrtechnik«, solle »dafür Verständnis haben, daß angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ein Nein der Bundesregierung zu Waffengeschäften beim Bürger kein Verständnis finden würde«. Israel, fügte er süffisant hinzu, erziele selber 20 Prozent seiner Industrieausfuhr mit Rüstungsexport und liefere Waffen sogar »an die feindlich eingestellten Staaten«.
Der Außenminister hält indes die Erwartung, der israelische Regierungschef Schimon Peres lasse sich durch einen Kuhhandel besänftigen, für abwegig. Die Israelis, sagt er, würden zwar nehmen, was sie kriegen können, aber dem Export nach Saudi-Arabien »niemals zustimmen«. Er werde, so Genscher, überhaupt nichts unternehmen, um dem Kanzler aus der Misere zu helfen.
Die ist, dank Kohls Ungeschicklichkeit, groß genug. Denn der Kanzler hatte den Saudis ohne Not schon Pfingsten 1983 Zusagen gemacht.
Damals schaute bei Kohl daheim in Oggersheim Prinz Sultan Ibn Abd el-Asis vorbei. Der saudische Verteidigungsminister hatte fast drei Wochen auf der Bühler Höhe gekurt und wollte dem Kanzler nur höfliche Aufwartung machen. Ein deutscher Dolmetscher, so vermerkten die Beamten in Genschers Außenamt, war nicht dabei.
Als der Prinz ging, hatte er, verbreiten die Saudis heute, eine klare Zusage des Kanzlers für jenes Geschäft, das Kohl dann offiziell beim Herbstbesuch in Dschidda offerierte. Jedenfalls habe der Minister dies der Übersetzung seines eigenen Dolmetschers entnommen.
Der Milliarden-Handel mit den Herren aus dem Morgenland schien zunächst wie geschmiert anzulaufen. Nahezu zwei Wochen lang reiste im Dezember 1983 eine saudische Militärdelegation von Rüstungsbetrieb zu Rüstungsbetrieb. Die Soldaten des Königs bekamen alles gezeigt, was sie sehen wollten - bis auf den Wunderpanzer Leo 2.
Auch über die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen schienen die Partner zunächst einig zu werden. Unter strikter Geheimhaltung reiste im Juli 1984 unter Leitung von AA-Staatssekretär Andreas Meyer-Landrut eine Bonner Regierungsdelegation nach Riad, um die Feinabstimmung vorzunehmen. Mit von der Partie: Horst Teltschik, Kohls außenpolitischer Abteilungsleiter im Kanzleramt, sowie hohe Beamte des Verteidigungs- und Wirtschaftsministeriums.
Die Kundschafter mußten sich zwar aufs neue die Klagen der Wüstenherrscher über die Weigerung der Bonner Christliberalen anhören, das angestrebte Geschäft mit dem Leo 2 zu krönen. Doch sie einigten sich mit den Saudis auf ein Memorandum der Außenminister, in dem die Waffen-Empfänger, unter anderem, die Existenzberechtigung aller Staaten der nahöstlichen Krisenregion anzuerkennen versprachen.
»Nun steht nichts mehr im Wege, weder politisch noch juristisch«, freute sich noch in Riad ein Mitglied der Bonner Delegation, »die militärische Zusammenarbeit ist gesichert.«
Die Saudis konnten die von den Bonnern geforderten Formeln in der Tat ohne Gesichtsverlust akzeptieren: Sie hatten sich, ohne Israel beim Namen zu nennen, schon 1982 bei der arabischen Gipfelkonferenz im marokkanischen Fes zum »Frieden zwischen allen Staaten der Region einschließlich des zukünftigen unabhängigen palästinensischen Staates« bekannt.
Doch seit die Bonner die direkte Anerkennung Israels durch Saudi-Arabien zur Geschäftsgrundlage erhoben haben, sind die Beziehungen der Christliberalen zum saudischen Königshaus, entgegen allen Beschwichtigungsformeln aus dem Kanzleramt, ausgesprochen frostig. Ein Saudi-Diplomat über die Hinhaltetaktik: »Die Deutschen sind feige. Sie verschanzen sich hinter moralischen Skrupeln und Verpflichtungen.«
Vor allem Hans-Dietrich Genscher bekommt den Ärger der Saudis zu spüren: Obwohl der AA-Vorsteher tagelang antichambrierte, bekam er bei seinem Amtskollegen Prinz Saud el-Feisal im vergangenen Herbst am Rande der Uno-Vollversammlung in New York keine Audienz. »Das Verhältnis der beiden«, weiß ein Diplomat, »ist kaputt.«
König Fahd schützte Zeitnot vor, als er Anfang Februar eine Einladung Kohls zu einem Zwischenstopp in Bonn ausschlug und von seiner Staatsvisite in Washington direkt nach Hause flog. Der König, versichern Fahd-Gehilfen, werde dem Kanzler aus dem Wege gehen, solange dieser nicht für Klarheit über das Waffengeschäft sorge.
Das aber fällt Helmut Kohl schwer. Auf Drängen seines Vertrauten Teltschik traf sich zwar eine Delegation mit Genschers Staatssekretär Meyer-Landrut an der Spitze erst diesen Monat wieder in aller Stille mit Saudi-Abgesandten. Doch Kohls Außenminister hält seinen Widerstand gegen das Rüstungsgeschäft aufrecht.
Genscher bezweifelt, im Gegensatz zu Kohl und dessen Vorgänger Schmidt, nicht nur, daß die Saudis als Gegenleistung für das Waffengeschäft verstärkt Exportaufträge in die Bundesrepublik vergeben (SPIEGEL 41/1984). Er hat von Ägyptens Präsident Husni Mubarak beim Staatsbesuch des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in Kairo auch zu hören bekommen, daß selbst gemäßigte arabische Politiker dem Regime in Riad keine allzu lange Lebensdauer mehr voraussagen. Ein Bonner Diplomat über die herrschenden Saudis: »Die erkaufen sich doch nur noch ihr Überleben - nur geben sie ihr Geld den falschen Leuten.«
Die Falschen, das sind in den Augen des Bonner Außenministers die radikalen Regenten in Nahost. Die, so fürchtet er, würden deutsche Waffen für die Saudis zum Anlaß nehmen, ihrerseits in Bonn vorstellig zu werden. Libyer, Iraker und Iraner haben bereits bei den Westdeutschen angefragt. Es werde unmöglich sein, argumentiert Genscher, solchen Regimen deutsches Kriegsgerät _(1975 in Riad. )
mit dem Argument vorzuenthalten, Bonn bediene ausschließlich »gemäßigte« Nahost-Regierungen.
In seinem Amt hat Genscher strikte Order ausgegeben, alle Vorkämpfer des Waffenhandels, insonderheit sein Staatsminister Jürgen Möllemann, hätten sich zurückzuhalten. Nur CDU-Staatsminister Alois Mertes hat freien Auslauf. Er ist ohnehin ein Gegner des Geschäfts und hat die von den Saudis abgelehnte Anerkennungsklausel für Israel durchgesetzt.
Mit größtem Unbehagen registriert Kohl, wie sein Außenminister geschickt eine Einigung mit den Saudis hintertreibt und den Kanzler in ein außenpolitisches Desaster hineinschlittern läßt. »Genscher läßt alle murksen, die Widerstände aufbauen«, klagt ein Kohl-Helfer aus dem Kanzleramt über die Taktik des Außenministers. »Aber die Verantwortung kann nicht hin und her geschoben werden. Entweder machen wir das gemeinsam oder gar nicht.«
Franz Josef Strauß aber hat nur zweierlei im Sinn: Der Krach mit den Saudis gibt ihm, zum einen, willkommene Gelegenheit, seine christlichen Parteifreunde in Bonn einmal mehr bloßzustellen. Sie ermöglicht ihm, zum anderen, sich tatkräftig für die bayrische Rüstungsindustrie einzusetzen, die auch den Leo 2 produziert.
Gefahren für Israel kann er gar nicht erkennen. Für den christsozialen Außenpolitiker in München ist die Lösung eigentlich ganz einfach. »Schickt''s den Saudis doch die Panzer«, sagt Franz Josef Strauß, »die können den doch sowieso nicht fahren.«
1975 in Riad.